“Disinflation ist auf gutem Weg”: Die Zinsen dürften weiter sinken
Wirtschaft
Die fünfte Zinssenkung im Euroraum seit vergangenem Sommer ist beschlossen – und es dürfte nicht die letzte sein. "Wir haben noch keine Diskussion über den Punkt geführt, an dem wir aufhören müssen", sagt EZB-Präsidentin Christine Lagarde.
Angesichts einer schwächelnden Wirtschaft in der Eurozone und der Erwartung einer sinkenden Inflationsrate hat die Europäische Zentralbank (EZB) weitere Zinssenkungen in den kommenden Monaten in Aussicht gestellt. "Wir sind gegenwärtig noch restriktiv eingestellt", betonte EZB-Präsidentin Christine Lagarde während ihrer Pressekonferenz. Eine restriktive Geldpolitik bedeutet, dass die Notenbank die Wirtschaftsaktivität und damit den Preisauftrieb bremst.
Zuvor hatte die Euro-Notenbank, wie von den Märkten antizipiert, eine Senkung ihrer Zinssätze angekündigt. Der als Leitzins fungierende Einlagensatz, zu dem Geschäftsbanken über Nacht Geld bei der EZB parken können, sinkt zum 5. Februar um 25 Basispunkte auf 2,75 Prozent. "Die Entscheidung der EZB bestätigt die Markterwartungen hinsichtlich Zinssenkungen für die nächste Sitzung im März und darüber hinaus bis zum Sommer", sagte Anleihenexperte Patrick Barbe von Neuberger Berman.
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Der Einlagensatz ist in gewisser Weise die Obergrenze für Sparzinsen, solange Banken nicht aus Marketinggründen bereit sind, mehr zu zahlen. Der Neobroker Trade Republic reagierte bereits mit der Ankündigung, ab nächstem Mittwoch nur noch 2,75 Prozent auf Cash zu zahlen, nachdem er am Mittwoch noch bei bestehenden Kunden mit Push-up-Nachrichten um Einlagen zu 3 Prozent geworben hatte.
Lagarde zeigt sich zuversichtlich, dass der Anstieg der Verbraucherpreise in der Eurozone noch in diesem Jahr wieder das EZB-Ziel von zwei Prozent erreichen wird. "Der Prozess der Disinflation ist auf gutem Weg", betont sie. Die Inflationsrate in der Eurozone war zwar jüngst wieder auf 2,4 von zuvor 2,2 Prozent gestiegen, vor allem wegen weiterhin steigender Preise im Dienstleistungssektor. Lagarde zeigte sich aber zuversichtlich, dass dieser insbesondere auf Lohnsteigerungen zurückgehende Effekt nachlassen werde. Das zeigten auch die Markterwartungen, wo die langfristigen Inflationserwartungen alle rund um zwei Prozent liegen und damit im Notenbanker-Sprech "verankert" sind.
"Die Inflationsrate sinkt"
Für die Notenbank stellt sich damit die Aufgabe, ihre Geldpolitik langsam zu lockern, damit sie bei weiterem Rückgang der Inflation nicht mit zu hohen Zinsen das Wachstum abwürgt. "Die Inflationsrate sinkt und wir haben eine wirtschaftliche Erholung", charakterisierte Lagarde ihre Erwartungen an die kommenden Monate. Damit ist Spielraum für sinkende Zinsen, aber die EZB-Präsidentin ließ offen, wie weit sie noch sinken werden.
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Der neutrale Zins, bei dem die Geldpolitik weder expansiv noch restriktiv wirkt, liegt nach Schätzungen von Ökonomen im Bereich von 2,0 bis 2,5 Prozent, die EZB selbst ging zuletzt von einer Spanne von 1,75 bis 2,5 Prozent aus. Damit ist offen, wo die "Terminal Rate", also der Zins am Ende der Senkungsphase, liegen wird. "Langsam muss sich die Notenbank darüber Gedanken machen, wo der Endpunkt der Zinstreppe nach unten ist", sagte Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater. "Zwei oder drei Schritte sind noch drin, dann werden sich Zinsen und Inflation wieder vollständig beruhigt haben."
Sollte sich die Inflation über das Ziel hinaus abschwächen, könnte die EZB sogar über den neutralen Satz hinausgehen, betonte Lagarde. Man werde immer datenabhängig entscheiden, betonte sie, dabei aber immer einen ganzen Korb von Daten betrachten. "Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die EZB die Zinssätze nicht weiter senken wird, zumindest auf ein neutrales Niveau, und wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass sie bis zum Jahresende unter das neutrale Niveau sinken werden", erklärte Mark Wall, Volkswirt für Europa bei der Deutschen Bank.
"Die EZB hat sowohl potenzielle Aufwärtsrisiken (geopolitische Spannungen) als auch Abwärtsrisiken (Wachstumsabschwächung) für die Inflationsentwicklung im Blick", sagte Sonja Marten, Leiterin Research Devisen und Geldpolitik bei der DZ Bank. "Angesichts der zahlreichen Unsicherheitsfaktoren werden die Währungshüter weiterhin in Abhängigkeit der Datenlage über das weitere geldpolitische Vorgehen entscheiden."
Bundestagswahl im Blick
Damit die Zinsen weniger stark sinken, bräuchte es eine deutliche Konjunkturerholung in Europa, ist Carsten Mumm, Chefvolkswirt von Donner & Reuschel, überzeugt. "Auslöser dafür könnten konkret absehbare Strukturreformen zur Ertüchtigung des Standorts durch eine neue Bundesregierung beziehungsweise die neue EU-Kommission oder ein absehbares Ende der Kampfhandlungen in der Ukraine sein."
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Auf Fragen zu den möglichen Auswirkungen einer Hochzoll-Politik in den USA erklärte Lagarde, diese würden "einen globalen Effekt" haben. "Größere Reibungen im Welthandel könnten das Wachstum im Euroraum belasten, indem sie die Exporte dämpfen und die Weltwirtschaft schwächen", sagte Lagarde. Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, würde das in den EZB-Modellen berücksichtigt. Bislang sei das noch nicht erfolgt, es gebe nur Gerüchte und Statements.
"Trump und seine bisherigen erratischen Ankündigungen haben für die europäische Geldpolitik keine Auswirkungen", betonte Kater. "Die europäische Wirtschaft und die europäische Währung Euro sind zu groß, um von den bisherigen Initiativen der neuen US-Regierung beeinträchtigt zu werden."
Quelle: ntv.de