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Bundestagswahl und Demoskopie: Wie immer mehr Umfragen die Politik beeinflussen

April 24
03:27 2021
Konkurrenten Laschet, Söder Bild vergrößern

Konkurrenten Laschet, Söder

Foto: Michael Kappeler / dpa

Die Demoskopie in Deutschland steht vor der nächsten großen Herausforderung. Nachdem ein Umfrageinstitut in dieser Woche schon wenige Stunden nach der Nominierung von Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten zu vermelden gewusst hat, wie sich diese auf die berühmte Sonntagsfrage auswirkt, sollte nun der nächste Schritt folgen.

Wer im hart umkämpften Markt der privaten Umfrageinstitute bestehen will, muss künftig schon vor einem Ereignis wissen, was die Befragten über dessen Ausgang denken werden. Das mag dann zwar nah am Kartenlegen sein, aber irgendeinen Preis muss man im Kampf um Schnelligkeit und Aufmerksamkeit halt zahlen.

Der Umgang mit und die Bedeutung von Meinungsumfragen werden immer abstruser. Es ist schwer, vor lauter Umfragen nicht rammdösig zu werden (ja, auch der SPIEGEL gibt sie gern in Auftrag). Gefühlt gibt es jeden Tag drei neue. Und jeden zweiten Tag wird ein neues Umfrageinstitut aus dem Boden gestampft. Ich habe selbst schon darüber nachgedacht, eines zu gründen, bin mir mittlerweile nur nicht mehr sicher, ob überhaupt noch genügend Leute übrig sind, die danach gefragt werden könnten, was die Leute so denken. Manche Institute haben Befragte sogar schon mit Amazon-Gutscheinen geködert, damit sie ihre persönlichen Ansichten zu, sagen wir, Markus Söder verraten. Oder einfach irgendwas sagen.

Kann man so machen. Was ich weniger glücklich finde ist, wenn Medien fast jede neue Erhebung zur wichtigen Meldung aufblasen und die politische Berichterstattung vornehmlich auf Umfragen fußt. Das trägt zur Politikverblödung bei, zur Reduktion des politischen Diskurses auf flatterhafte Stimmungen (»Aber laut Umfragen sind Sie doch …«).

Noch unglücklicher ist es aber, wenn Politiker ihre inhaltlichen wie personellen Entscheidungen vor allem auf der Grundlage von Umfragen fällen. Als der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel im Herbst 2016 vor der Frage stand, wer für die SPD im darauffolgenden Jahr als Kanzlerkandidat ins Rennen gehen solle, gab er eine Umfrage nach der anderen in Auftrag. Nur für sich. Der Schatzmeister der SPD, der all die teuren Erhebungen finanzieren musste, verzweifelte schier. Gabriel wollte mithilfe der Demoskopie herausfinden, wer der erfolgversprechendere Kanzlerkandidat wäre. Seine Privatumfragen sprachen klar für Martin Schulz. Ein Jahr später war Sigmar Gabriel der beliebteste Politiker Deutschlands.

Politiker, die manisch auf Umfragen starren und alle wesentlichen Entscheidungen davon abhängig machen, tun weder sich selbst noch den Bürgern einen Gefallen. Wohin eine solche Fixierung führen kann, hat der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt gerade eindrücklich bewiesen. Im Rennen zwischen Markus Söder und Armin Laschet sprach sich Rainer Haseloff für den Bayern aus. »Leider geht es jetzt nur um die harte Machtfrage: Mit wem haben wir die besten Chancen?«, so Haseloffs Begründung. »Es geht nicht um persönliche Sympathie, Vertrauen oder Charaktereigenschaften.« Für mich war dies eine der traurigsten Aussagen der jüngeren Vergangenheit. Spätestens wenn Umfragen mehr zählen als Vertrauenswürdigkeit und Charakter, sollte man sich schon fragen, ob einem die Maßstäbe verrutscht sind.

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