Nachrichten in der Welt


Nachrichten der Welt

News des Tages: Smog in New York, Umweltschäden am Fluss Dnjepr, Überlegungen zu Vierkoalitionen gegen die AfD

June 08
19:44 2023

1. A Clockwork Orange

Seit Wochen brennen in Kanada großflächig Wälder. Die Zahlen allein für dieses Jahr: mehr als 2200 Feuer registriert, rund 3,8 Millionen Hektar Wald vernichtet – das entspricht etwa 15 Mal dem Saarland. Vielen Menschen rücken sie aber erst jetzt ins Bewusstsein, wenn sie die Bilder von New York sehen: Der Rauch zieht von Neufundland entlang der US-Ostküste Richtung Süden und verhüllt ganze Landstriche in apokalyptisch wirkenden Dunst – Klimakrise live. Die lang anhaltende Trockenheit dürfte für die meisten Brände eine Ursache sein.

In Kanada brachten Rettungskräfte Tausende Menschen in Sicherheit. Von der Luftverschmutzung aber sind mehr als hundert Millionen Menschen in den USA betroffen – die US-Umweltbehörde EPA rief die Warnstufe Orange für die betroffenen Gebiete aus. New Yorks Skyline sieht aus wie Los Angeles im Film »Blade runner«, die Freiheitsstatue steht in gelbem Nebel, Flüge wurden gestrichen, Sportveranstaltungen abgesagt. Viele Menschen setzen wieder Schutzmasken auf. Doch woran liegt es, dass wir uns erst dann so richtig für die Brände interessieren, wenn sie eine Stadt erreichen, die fast jeder kennt? Warum tangiert es uns viel weniger, wenn es brennt, wo kaum Zivilisation ist?

Eine Frage, die sich auch mein Kollege, der frühere Peking- und heutige New-York-Korrespondent Bernhard Zand stellt, der zurzeit daheim in Österreich ist. Womöglich, weil die Auswirkungen viel direkter zu spüren sind als in der fernen Prärie. Bernhard rief heute seine alte Luftqualitäts-App auf: Der sogenannte PM2,5-Wert misst die Konzentration der besonders gefährlichen, bis in die feinsten Lungenkapillaren eindringenden Luftpartikel; er beträgt in New York derzeit 189. Das ist das etwa Achtfache des Grenzwerts, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für vertretbar hält. Gestern lag der Wert noch bei 409.

Als Bernhard im Winter 2013 in Peking lebte, betrug die Zahl dort einmal 845 und überschritt den WHO-Wert um fast das 35-fache. »Ein Wert von 189 galt auch damals in Peking als schlecht«, so Bernhard, »aber es gab Leute, die gingen unter 200 noch joggen.« Anders als aktuell in New York war die schlechte Luft in China nicht Folge aktueller Waldbrände, sondern kam aus den Schloten von Fabriken und Zementwerken. Inzwischen ist die Feinstaubbelastung in Chinas Hauptstadt deutlich zurückgegangen.

Dass die langfristigen Belastungen des Klimawandels zurückgehen, ist dagegen kaum zu erwarten.

  • Lesen Sie hier mehr: New York City versinkt in Rauch

  • Lesen Sie auch: EU will Kanada mit Feuerwehrleuten beim Kampf gegen Waldbrände unterstützen

  • Sehen Sie hier das Video: Warnstufe Orange

2. Wasser läuft geschmiert

Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms wird verheerende Folgen für die Natur haben. Nach ukrainischen Angaben sind bereits mehr als 600 Quadratkilometer Land überschwemmt worden, Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach bei seinem Besuch vor Ort von »der größten von Menschen verursachten Umweltkatastrophe in Europa seit Jahrzehnten«. Die ukrainische Organisation Ecoaction fürchtet ein »Massensterben von Wasserorganismen – Fischen, Muscheln, Schalentieren, Mikroorganismen und Wasservegetation«, aber auch von Nagetieren. Das werde auch die Wasserqualität beeinträchtigen.

Der zerstörte Damm staute 18 Milliarden Kubikmeter Wasser, die nun über den Dnjepr zum Schwarzen Meer fließen. Die riesige Wassermenge könnte das Meer in einigen Bereichen zeitweise entsalzen, erklärt Ecoaction. Doch nicht nur das Meer ist betroffen, auch die Region entlang des Flusses wird auf Dauer in Mitleidenschaft gezogen. Meine Kollegin Alina Schadwinkel hat mit Expertinnen und Experten gesprochen, was es heißt, wenn bis zu 450 Tonnen Maschinenöl in den Fluss Dnjepr gelangen, die vermutlich aus dem dortigen, ebenfalls beschädigten Wasserkraftwerk stammen.

»Auch wenn es im Vergleich zu historischen Ölkatastrophen wie der Explosion der DeepWater Horizon Plattform 2010 im Golf von Mexiko eine deutlich geringere Menge Öl ist, sind die potenziellen Folgen nicht zu unterschätzen«, so die Forscherin Sarah Johann von der Universität Frankfurt.

Die Tierwelt sei auf einer Fläche von mindestens 5000 Quadratkilometern betroffen, schätzt ihrerseits die Organisation Ukrainian Nature Conservation Group. »Manche Arten haben am 6. Juni möglicherweise mehr Schaden erlitten als in den letzten 100 Jahren.« Allein bei den Fischen werde es »mindestens sieben bis zehn Jahre dauern«, bis sich die Bestände wieder erholten. »Alle Lebewesen, die den Kachowka-Stausee bewohnen, sind bereits tot oder werden in den nächsten Tagen sterben.«

Es ist eine Katastrophe mit Ansage, schreibt Alina . Seit 2014 weise das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei immer wieder darauf hin, dass Militäraktionen auch der Umwelt schaden und diverse Risiken für Gewässer, Tier- und Pflanzenwelt mit sich bringen. Auch Menschen sind betroffen, meine Kollegin Christina Hebel hat mit Angehörigen gesprochen , deren Verwandte panisch auf Dächern sitzen und auf Hilfe warten.

Anders als der ukrainische Präsident Selenskyj will sich Kremlchef Wladimir Putin das mutmaßlich durch Russland verursachte Elend nicht vor Ort ansehen und ins südukrainische Gebiet Cherson reisen. »Nein, derzeit gibt es keine solchen Pläne«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Lieber telefonierte Putin heute mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa, um sich von ihm einen geplanten Friedensvorstoß afrikanischer Staats- und Regierungschefs übermitteln zu lassen. Anscheinend begrüßte er die Initiative. Nur, um dann womöglich gleich den nächsten militärischen Befehl zu erteilen, der Ukraine zu schaden.

  • Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Hilferufe vom russisch besetzten Dnjepr-Ufer – »Niemand kommt und rettet meine Eltern«

  • Und hier finden Sie Alinas Analyse: Ein »Cocktail an Giftstoffen« spült ins Dnjepr-Delta

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Zahl der Bunkerplätze in Deutschland offenbar niedriger als gedacht: Wegen des russischen Angriffskriegs ließ das Bundesamt für Bevölkerungsschutz die Bunker und Schutzräume im Land neu auszählen. Platz wäre demnach nur für einen Bruchteil der Bevölkerung.

  • Selenskyj verurteilt schleppende Fluthilfe, Helfer angeblich von russischer Seite beschossen: Nach dem Dammbruch kommt laut ukrainischer Regierung zu wenig Hilfe aus dem Ausland. Zugleich würden Helfer vom Feind attackiert. Und: Das THW schickt Lastwagen ins Flutgebiet.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

3. Vier gegen einen

Im kommenden Jahr finden in drei Bundesländern Landtagswahlen statt. Und da verhält es sich ein wenig so wie mit den Waldbränden und den Umweltschäden: Alle wissen, was für ein Desaster auf einen zukommen könnte, doch so richtig wird man sich erst dann dafür interessieren, wenn das Unvorstellbare eingetreten ist: Die AfD könnte in Sachsen, Thüringen und Brandenburg stärkste Kraft werden. Dass dies kein utopisches Szenario ist, kann man daran erkennen, dass die rechtsextreme Partei in Umfragen in allen drei Ländern schon mal auf Platz 1 lag oder liegt. Es bleibt nicht mehr viel Zeit für die etablierten Parteien, die AfD in der Wählergunst zu drücken.

Der Umgang mit dem Erstarken der Rechten fällt unterschiedlich aus. In Sachsen versucht Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) die vermeintlichen Sorgen seiner Bürgerinnen und Bürger ernstzunehmen – und sich inhaltlich stark an der Politik der AfD zu orientieren. Jüngstes Beispiel: Er schlug eine »Obergrenze« von 200.000 Personen im Jahr vor, die einen Asylantrag stellen dürfen. Damit griff er eine Idee auf, die bereits 2016 der damalige Innenminister Horst Seehofer aufbrachte und die damals schon scheiterte. Kretschmer hält mit Blick auf aktuelle Fluchtzahlen dennoch eine jährliche Obergrenze für den Zuzug von Migrantinnen und Migranten für notwendig. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen allerdings, dass die AfD hinzugewann, wenn sich die Union inhaltlich in ihre Nähe begab.

In Thüringen gibt es offenbar eine andere Strategie, die AfD außen vor zu halten. Thüringens Grünen-Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich zeigt sich offen für Regierungsbündnisse mit mehr als drei Partnern. »Ich sehe das als Verantwortung von Demokratinnen und Demokraten, wenn es darum geht, ein Land regierbar zu machen«, sagte Rothe-Beinlich im Thüringer Landtag in Erfurt. Wenn es bei der Landtagswahl 2024 zu schwierigen Wahlergebnissen komme, ohne offensichtliche Mehrheiten, »dann muss man überlegen, wie es trotzdem gelingt, gegen die rechtsextreme AfD – und das ist sie hier ganz klar – ein demokratisches Bündnis zu schmieden«, sagte sie. Dabei sehe sie alle in der Verantwortung, die sich als Demokraten verstünden.

Der Landesverband der AfD in Thüringen wird vom als besonders radikal geltenden Fraktionschef Björn Höcke angeführt, der per Gerichtsbeschluss als Faschist bezeichnet werden darf. Erst vor wenigen Tagen wurde Höcke wegen Verwendung von NS-Vokabular angeklagt. Sein Landesverband wird vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.

  • Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Thüringer Grüne zeigen sich offen für Anti-Höcke-Koalition

Was heute sonst noch wichtig ist

  • US-Schauspieler Jay Johnston wegen Teilnahme am Kapitolsturm festgenommen: Er spielte in Comedyserien und Hollywoodfilmen mit – doch nun erwartet Schauspieler Jay Johnston ernsthafter juristischer Ärger. Er bekam in Los Angeles Besuch von der Polizei. Es geht um den 6. Januar 2021.

  • Not der IT-Branche ist so groß wie nie: Der Mangel an Fachkräften hat sich zum Bremsklotz für die deutsche Wirtschaft entwickelt. Eine Schlüsselbranche ist besonders betroffen – mit langfristiger Wirkung.

  • Spanien ermittelt gegen sieben Airlines wegen unlauterer Preispolitik: Billig-Airlines punkten mit unschlagbar günstigen Ticketpreisen. Dass der Flug am Ende oft überraschend teuer wird, hängt mit einem Trick zusammen, den die spanische Regierung nun unterbinden will.

  • China plant offenbar Bau von Spionagestation auf Kuba: US-Geheimdienste sind laut dem »Wall Street Journal« alarmiert: Peking soll den Bau einer Abhörstation auf Kuba planen. Der mittellose Inselstaat kassiert demnach mehrere Milliarden US-Dollar.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Cook in die Röhre

Seit Apple-Chef Tim Cook im Amt ist, hat sich der Börsenkurs des Technologiekonzerns im kalifornischen Cupertino verneunfacht. Und das, obwohl unter der Ägide von Cook kaum nennenswert neue Produkte von Apple auf den Markt kamen. Mein Kollege Matthias Kremp, der über Apple schon kundig berichtete, als technologiefernere Kollegen noch moserten, der iPod werde sich niemals durchsetzen, konstatiert auch jetzt, dass die Vorstellung des Brillencomputers Vision Pro Apple in eine neue Sphäre katapultieren könnte – und Cook damit dem Gründergenie Steve Jobs fast ebenbürtig wäre.

Vor ein paar Tagen habe ich Sie abstimmen lassen wollen, welche Überschrift über Matthias´ Text stehen soll. Durch einen technischen Fehler führte die hinterlegte E-Mail-Adresse ins Leere. Dafür entschuldige ich mich. Wir haben aber mal grob geschätzt, dass sich die Zeile »Seine Brille geschehe« mit rund 74,3 Prozent durchgesetzt hätte. Daher ist sie es auch geworden.

  • Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Seine Brille geschehe

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • »Ich habe gelernt, auf meinen Körper zu hören«: Die Lehrerin Isabell Renner war oft gestresst und hatte das Gefühl, sich ständig beweisen zu müssen. Doch sie hat es geschafft, dem Druck zu entfliehen – dank einfacher Routinen in vier grundlegenden Bereichen .

  • Was im Kopf von Schwangeren und Müttern passiert: Sobald ihr Baby geboren ist, soll die Frau sich kümmern. Aber woher weiß sie, wie das geht? Gibt es mütterlichen Instinkt? Neurowissenschaftler beginnen zu verstehen, wie die Geburt das Gehirn für immer verändert .

  • So groß waren die Preisunterschiede bei Strom und Gas noch nie: Wer wagt, der spart: Strom- und Gasanbieter buhlen mit günstigen Verträgen um Kunden. Aber ist das alles seriös?

Was heute weniger wichtig ist

Bodybilder: In einer dreiteiligen Netflix-Dokumentation spricht Arnold Schwarzenegger, 75, über sein Leben. Er thematisiert auch die Affäre mit seiner Haushälterin und Belästigungsvorwürfe. Und er gibt erneut Auskunft über seine Kindheit im österreichischen Thal. »Je älter ich wurde und je mehr ich über die Welt außerhalb Österreichs las, desto mehr hatte ich das Gefühl, nicht am richtigen Ort zu sein«

Mini-Hohlspiegel

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Und heute Abend?

Ist mal wieder Zeit für Sport. Wobei Sport ja nicht gleich Sport treiben bedeuten muss. Für Millionen Menschen ist zum Beispiel das Schauen der »Sportschau« gleichbedeutend für Sport. Zumindest war das bei uns zu Hause so: Samstags hieß es ab 18 Uhr immer, »jetzt ist Sport« – und mein Vater versank im Sessel.

Unsere Sportschau ist gewissermaßen unser neuer Newsletter »SPIEGEL läuft!«? Darin schreiben meine Kolleg:innen Susanne Amann, Sven Christian, Jan Göbel, Ole Reißmann und Hilmar Schmundt darüber, warum sie laufen und was sie daran so fasziniert. Tipps, Spaß-Booster und Beobachtungen aus der Lauf-Welt – alle zwei Wochen, direkt in Ihr Postfach. Interessiert? Sie müssen ja nicht gleich loslaufen, nur lesen. Es müssen auch nicht gleich Millionen abonnieren, ein paar Hunderttausend reichen uns schon. Hier finden Sie die Themenseite. Und hier können Sie abonnieren.

Einen schönen Abend. Herzlich

Ihr Janko Tietz, Ressortleiter Deutschland/Panorama

Neueste Beiträge

18:16 Spannende Quali zum Singapur-GP: Verstappen kämpft sich zurück, Ferrari erlebt Desaster

0 comment Read Full Article