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News: Letzte Generation, Michael Sandel, Kapitalismus, Annalena Baerbock, Hubertus Heil

June 05
10:42 2023

Attacke auf die Superreichen

Dem Philosophen Jean-Jacques Rousseau wird ein simpler, aber kluger Satz zugeschrieben, der während der Französischen Revolution populär geworden sein soll. »Wenn die Menschen nichts mehr zu essen haben, dann werden sie die Reichen essen«, soll er gesagt haben.

»Eat the rich« ist bis heute ein Kampfslogan der radikal Linken. Und so ist es nicht allzu verwunderlich, dass sich nun auch die Klebetruppe Letzte Generation in einer neuen Kampagne die Superreichen als Zielpersonen auserkoren hat.

»Die Klimakatastrophe kommt nicht einfach so. Sie wird gemacht – und zwar in erster Linie von den Reichen. Deshalb werden wir in den nächsten Wochen an die Symbole des modernen Reichtums gehen, die nationale Aufmerksamkeit auf die rücksichtslose Verschwendung der Reichen lenken und die Ungerechtigkeit sichtbar werden lassen«, heißt es in einem Planungspapier der Gruppe.

Vor ein paar Wochen richtete sich die Wut der Orangewesten bereits gegen den hedonistischen Lebensstil. Am Berliner Ku’damm besprühten sie einige Schaufenster und Fassaden mit Farbe.

Prada, Rolex und Co. sollten also dieser Tage vermehrt einen Blick darauf werfen, wer sich so vor ihren Läden tummelt. Und wenn der Spuk vorbei ist, werden wir uns wieder darüber unterhalten, wofür genau er eigentlich gut war.

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Sandels Abrechnung

Michael Sandel gilt als ein Philosoph, dessen Gedanken nicht nur der Bundeskanzler sehr schätzt. Der Professor aus Harvard schafft es, für seine Thesen so zu argumentieren, dass sie massentauglich sind. Wo Sandel spricht, füllt er Hallen. Ganz erstaunlich für einen, der deutlich mehr Tiefgang hat als andere, die sich für erfolgreiche Philosophen und Autoren halten – und vergeblich auf volle Hallen hoffen.

Nun hat Sandel ein neues Buch geschrieben, das sich mit dem »Unbehagen in der Demokratie« beschäftigt. Es geht unter anderem um Globalisierung und die Reformbedürftigkeit des Kapitalismus, um die Problematik von Reichtum ganz generell. Allzu weit entfernt von der Kritik der Klimaaktivisten (siehe oben) liegt Sandel also nicht.

Er stellt allerdings nicht das Klima ins Zentrum seiner Überlegungen, sondern den klassischen Ungerechtigkeitsbegriff, die berühmte Schere zwischen Arm und Reich, die unterschiedliche Wertschätzung von Arbeit.

Sandels scharfe Kritik gilt der Selbstherrlichkeit der gesellschaftlichen Eliten. »Das ist der Hochmut der Leistungsgesellschaft: sich so am eigenen Erfolg zu ergötzen, dass dabei völlig vergessen wird, wie viele Menschen dazu beitragen müssen«, sagte der Professor im SPIEGEL-Gespräch mit meinem Kollegen Thomas Schulz.

Das Gefühl, nicht mehr beachtet zu werden, könne zu unterschwelligem Groll werden, »der nun in vielen Gesellschaften populistische Bewegungen befeuert: etwa mit Trump in den USA, Le Pen in Frankreich, der AfD in Deutschland«, sagt Sandel und warnt: »Diese Entwicklung läuft teils seit Jahrzehnten, aber sie wird sich weiter richtig hochschaukeln, wenn nichts unternommen wird.«

Ein Satz, den man auch als dringenden Arbeitsauftrag an jenen Mann verstehen kann, der Sandel so schätzt und seinen eigenen Wahlkampf mit dem schönen Wort »Respekt« bestritten hat. Olaf Scholz und die SPD müssen dringend überlegen, warum ihr Gerechtigkeitsbegriff offenbar nicht mehr verfängt, warum der »Respekt« nicht mehr wirkt – und die AfD in Umfragen mittlerweile so beliebt ist wie die Sozialdemokratie in Deutschland.

Ich vermute, anders als CDU-Chef Friedrich Merz, der Erfolg der AfD liegt nicht nur darin begründet, dass der eine oder andere TV-Moderator, die eine oder andere TV-Moderatorin in ARD und ZDF »Liebe Zuschauer (Pause) innen« sagt.

Huch, halb gegendert – haben Sie’s gemerkt?

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Aufhören zu atmen

Und wie es der Zufall so will (oder eben auch nicht), widmet sich die re:publica, die größte Digitalkonferenz Europas, ab heute ebenfalls dem Thema Geld (»CASH«) und setzt den Klimaschutz mit in den Mittelpunkt: »Wenn wir lesen, dass die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung für 50 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich sind, ist klar, dass die anderen 90 Prozent den Klimawandel nicht aufhalten werden, selbst wenn sie ab sofort aufhören zu atmen«, schreiben die Veranstalter.

Drei Tage lang will man dem »Strom des Geldes« folgen und sich keiner geringeren Frage widmen als folgender: »Ob Demokratien und Sozialsysteme aus der Zeit gefallene Luxusgüter sind, oder ob es nicht eher das Konstrukt globaler Marktwirtschaft ist, das unter den Folgen der Krisen zu kollabieren droht.« Es geht also um nichts Geringeres als die Systemfrage.

Aus dem alten System namens Bundesregierung wird der eine oder andere ebenfalls zugegen sein, auf einem Panel sitzen, einen Vortrag halten oder sich einer Fragerunde aussetzen: Robert Habeck (Thema Angebot und Nachfrage), Christian Lindner (Die Finanzierung unserer Zukunft), Claudia Roth (Kulturwandel! Digitale Konzepte für die Kultur), Svenja Schulze (Click, Hire, Fire? Improving the Global Reality and Future of Platform Work) und Volker Wissing (Wie geht’s der Digitalstrategie?).

Wir können davon ausgehen, dass diesmal keiner der Politiker seinen eigenen Fragesteller oder seine eigene Fragestellerin mitbringt. Als bekannt wurde, dass beim letzten Mal das Kanzleramt die TV-Journalistin Linda Zervakis engagiert hatte, um Scholz auf der re:publica zu befragen, war die mediale Empörung groß. Da half der dezente Hinweis, man habe der Moderatorin ja nur eine Kostenpauschale und kein Honorar gezahlt, angesichts der Höhe dieses Betrages nicht wirklich weiter.

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Die Frage der Verlockung

Gestern sind Außenministerin Annalena Baerbock und Arbeitsminister Hubertus Heil nach Südamerika aufgebrochen. Und auch auf dieser Reise spielt das Thema Geld eine Rolle, zumindest indirekt.

Die Ministerin und der Minister wollen um Fachkräfte für Deutschland werben. Die Verdienstaussichten in Deutschland dürften dabei ein gewisses Motivationsmoment haben. Zugleich zeigen sie ein uraltes Dilemma auf, das in der öffentlichen Debatte eher vernuschelt wird: Die Frage ist, wie offensiv die Bundesregierung ihr Werben gestaltet – und ob es am Ende nicht ausgerechnet diejenigen nach Deutschland lockt, die im eigenen Land vielleicht am dringendsten gebraucht würden. Eine konkrete Antwort, wie dieses Dilemma gelöst werden könnte, kenne ich nicht.

Bei ihren Treffen wird Baerbock auch den russischen Angriffskrieg thematisieren und für die weitere Unterstützung der Ukraine werben. Vor allem auf ihrer ersten Station könnte das eine interessante Herausforderung sein, der letzte Besucher aus Deutschland jedenfalls wäre daran fast gescheitert.

Als Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Amtskollegen Luiz Inácio Lula da Silva Anfang Februar in Brasilien besucht hatte, sagte dieser nach einem langen Gespräch mit Scholz: »Ich habe nicht ganz verstanden, wer diesen Krieg angefangen hat.«

Hoffentlich ist diese Wissenslücke mittlerweile gefüllt.

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Verlierer des Tages…

…sind die PR-Strategen von Rammstein, jener Band also, der vorgeworfen wird, Gewalt nicht nur zu besingen, sondern nach den Konzerten auch auszuüben. Womöglich mithilfe von K.-o.-Tropfen, die Aussagen vieler Frauen jedenfalls zeichnen ein erschütterndes Bild.

Der Druck also ist groß, umso schwächer war das erste, nicht von Anwälten kommunizierte Statement der Band, veröffentlicht via Instagram. »Durch die Veröffentlichungen der letzten Tage sind in der Öffentlichkeit und vor allem bei unseren Fans, Irritationen und Fragen entstanden. Die Vorwürfe haben uns alle sehr getroffen und wir nehmen sie außerordentlich ernst«, hieß es da. »Unseren Fans sagen wir: Es ist uns wichtig, dass Ihr euch bei unseren Shows wohl und sicher fühlt – vor und hinter der Bühne. Wir verurteilen jede Art von Übergriffigkeit und bitten euch: beteiligt euch nicht an öffentlichen Vorverurteilungen jeglicher Art denen gegenüber, die Anschuldigungen erhoben haben. Sie haben ein Recht auf ihre Sicht der Dinge. Wir, die Band, haben aber auch ein Recht – nämlich ebenfalls nicht vorverurteilt zu werden.«

Viele Worte um nichts. Schon klar, konkrete Aussagen zu den Vorwürfen sind aus juristischen Gründen heikel, ein Eingeständnis käme einem Insolvenzantrag gleich. Doch etwas konkreter hätte es schon sein dürfen. So jedenfalls bleibt der Eindruck, die Band um Sänger Till Lindemann habe nicht viel zu dementieren.

Hinter der wortreichen Nichtssagerei könnte – reine Spekulation natürlich – auch ein finanzielles Interesse liegen. Es stehen vier Konzerte in München an, von einem »Meilenstein in der Münchner Musikgeschichte« ist bereits die Rede, 240.000 Fans werden erwartet. Das Festival der Superlative soll wohl so ungetrübt wie möglich bleiben.

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Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Feuer im Harz – Etwa hundert Touristen vom Brocken evakuiert: Bei einem Brand im Harz sind zwei Hektar Land in Flammen aufgegangen. Wanderer wurden mit Bussen in Sicherheit gebracht. Noch immer dauern die Löscharbeiten an.

  • AfD-Kandidat in Schweriner OB-Stichwahl: Bei der Oberbürgermeisterwahl in Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin konnte keiner der Anwärter die absolute Mehrheit einfahren. Nun muss Amtsinhaber Rico Badenschier in die Stichwahl – gegen einen Kandidaten der AfD.

  • In Umfragen steht die AfD derzeit gut da. Für CDU-Chef Friedrich Merz ist das offenbar Anlass, sich nochmals deutlich zu distanzieren: »Es wird keinerlei Zusammenarbeit mit dieser Partei geben.«

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Der Türkei droht ein Exodus ihrer Elite: Bereits vor der Wahl wollten drei von vier jungen Türken das Land verlassen. Nach Erdoğans erneutem Sieg dürfte sich dieser Trend verschärfen. Vor allem Hochqualifizierte zieht es weg .

  • »Kämpft um euer Leben, nicht um eure Brüste«: Uta Melle, 54, lebt in Berlin. Vor vierzehn Jahren hat sie sich nach einer Krebsdiagnose erst ihre Brüste und dann die Eierstöcke entfernen lassen. Mit einem Fotoprojekt und Vorträgen unterstützt sie andere erkrankte Frauen.

  • Mein künftiger Arbeitgeber schlägt einen Persönlichkeitstest vor – muss ich da mitmachen? Klaus bewirbt sich auf eine Führungsposition – und erhält die Einladung zu einem freiwilligen Persönlichkeitstest. Was verspricht sich die Firma davon? Und mindert es seine Chancen, wenn er nicht mitmacht?

  • So schlägt sich der Wasserstoff-Lkw von Daimler im Belastungstest: Beim Auto läuft alles auf Batterieantrieb hinaus. Für saubere Laster hingegen favorisieren viele Wasserstoff, erst recht im Fernverkehr. Eine Mitfahrt im Mercedes-Brennstoffzellentruck beim Belastungstest .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag – und die Woche!

Ihr Martin Knobbe, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

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