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Streiks im öffentlichen Dienst: Klatschen oder Klatsche für die Helden?

September 22
07:17 2020
Mitarbeiterin am Städtischen Krankenhaus in Kiel (März 2020): Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und Deutscher Beamtenbund fordern 4,8 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Icon: vergrößern

Mitarbeiterin am Städtischen Krankenhaus in Kiel (März 2020): Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und Deutscher Beamtenbund fordern 4,8 Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes

Foto: Frank Molter/ DPA

Alles wie immer, und doch so anders: Ende August präsentierten die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und der Deutsche Beamtenbund ihre Lohnforderungen von 4,8 Prozent mehr Lohn für die 2,3 Millionen Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in den Kommunen und die 200.000 Beamten des Bundes. Die Arbeitgeber lehnen die Forderungen als "völlig überzogen" ab, legten ihrerseits aber kein Angebot vor.

Ver.di startet eine Serie von Warnstreiks quer über das Land verteilt: in Augsburg und Koblenz, Remscheid, Neubrandenburg, in Kiel. Betroffen werden Stadtverwaltungen und Wasserwerke sein, aber auch Krankenhäuser und Kitas. Und ihre Zahl wird sich steigern, bis die Verhandlungen beginnen.

Aber ist das in Zeiten von Corona kein überholtes Ritual? Warnstreiks in Kitas, nachdem das Virus den Betrieb dort für Monate lahmgelegt und Familien an den Rand ihrer Belastbarkeit geführt hat? 4,8 Prozent mehr Lohn, während sich die Wirtschaft mühsam und unsicher versucht, aus einem Tiefenrausch zu befreien. Für Menschen mit relativ sicheren Jobs und geringeren Gefahren von Einkommensverlusten etwa durch Kurzarbeit? Während sich der Staat und damit auch die Kommunen überschulden, um den Folgen der Pandemie zu trotzen?

Eine solche Tarifrunde und die Diskussion über die Forderung ist eine notwendige Zumutung. Denn es geht um jene, die noch vor wenigen Monaten als "Helden des Alltags" gefeiert wurden, als die Menschen im Maschinenraum, die dieses Land am Laufen halten – in Kitas, Krankenhäusern und Seniorenheimen, bei Müllabfuhr, in Verwaltungen, im Jobcenter. Die Tarifrunde hat außer die Betroffenen bislang kaum jemanden interessiert.

Es geht auch darum, wie die Gesellschaft das Dilemma löst, wenn Anspruch und Realität aufeinandertreffen. Es ist einfach mit einem Hashtag, einem Like oder einem schnell gedrehten Handyvideo vom eigenen Balkon ebenso aufrichtig wie beliebig Anerkennung auszudrücken. Es ist etwas anderes nach Monaten des Lockdowns vor der verschlossenen Tür einer Kita sich konkret mit der Forderung nach mehr Wertschätzung auseinanderzusetzen.

Nicht nur in dieser Tarifrunde, sondern auch in vielen, die folgen werden, wird nach der Antwort auf die Frage gesucht werden müssen, wie die Lasten von Corona verteilt werden sollen.

Schließlich bietet die Auseinandersetzung die Möglichkeit, den Zweiflern und Leugnern zu zeigen, das eine demokratische Gesellschaft, die sich als soziale Marktwirtschaft versteht, auch in der Pandemie funktioniert: Zu den existenziellen Prinzipien gehört, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Tarifverhandlungen über ihre unterschiedlichen Positionen verhandeln, notfalls hart und notfalls mit Streiks, um am Ende einen Kompromiss zu finden, der die Interessen so gut es geht ausgleicht.

Es wäre in diesen Zeiten nicht das schlechteste Signal.

Icon: Der Spiegel

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