Orbán spielt Putins Spiel
Ungarns Regierung blockiert weiterhin die nächsten 500 Millionen Euro EU-Militärhilfe für die Ukraine – und auch das elfte Sanktionspaket gegen Russland. Die Begründung aus Budapest ist fadenscheinig.
Vor dem Treffen der EU-Außenminister klang Jean Asselborn noch zuversichtlich. Ungarns Regierung werde die nächsten Sanktionen gegen Russland wegen des Überfalls auf die Ukraine schon nicht blockieren, sagte Luxemburgs Chefdiplomat am Montagmorgen in Brüssel. »Sie haben das zehnte Paket nicht blockiert und werden auch nicht 11. Paket blockieren«, sagte Asselborn. »Sie trauen sich nicht, das zu tun.«
Derzeit aber deutet wenig darauf hin, dass die Regierung des autokratischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán ihre Blockadehaltung zeitnah aufgibt – zumal das nicht der einzige Punkt ist, an dem sie sich querstellt. Orbán hält auch die nächsten 500 Millionen Euro an EU-Militärhilfe für die Ukraine auf. Und anders als bei den Sanktionen, mit denen auch noch andere Länder Probleme haben, tut er das im Alleingang. Wie mehrere Diplomaten dem SPIEGEL unabhängig voneinander bestätigten, hat Ungarn am Montag als einziges EU-Land seinen Einwand gegen die nächste Tranche aus der sogenannten Europäischen Friedensfazilität (EPF) geltend gemacht.
Budapest begründet das vor allem damit, dass die Ukraine die ungarische OTP Bank auf eine Liste von Kriegsunterstützern gesetzt hat – zu Unrecht, wie Ungarns Regierung findet. »Wir können kein grünes Licht geben, solange OTP auf der Schwarzen Liste bleibt«, sagte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó bereits vergangene Woche. »Das gilt auch für Sanktionen.«
In Brüssel und anderen Hauptstädten hatte man die ungarische Drohung lange als den üblichen Theaterdonner aus Budapest betrachtet, dem am Ende immer eine Zustimmung zu den Ukraine-Maßnahmen gefolgt war. Denn die Kriegsunterstützer-Liste ist lediglich ein Pranger, Sanktionen der ukrainischen Regierung sind mit der Listung nicht verbunden. Zudem stehen Unternehmen von zehn weiteren westlichen Ländern auf der Liste. Aus Griechenland etwa sind fünf Firmen dabei, aus Frankreich vier, aus den USA drei, Deutschland ist mit dem Handelskonzern Metro vertreten. Doch kein Land stellt deshalb die Hilfe an die Ukraine infrage – bis auf Ungarn.
Unter den anderen Mitgliedsländern sorgt das für wachsenden Frust. Vor laufenden Kameras fällt die Kritik noch diplomatisch aus. Eine schnelle Einigung auf die Militärhilfen und das elfte Sanktionspaket sei »eine Frage der Glaubwürdigkeit für die EU«, sagte Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis. Aber einige Mitgliedsländer würden »Dinge miteinander verbinden, die nichts miteinander zu tun haben« – etwa die Ukraine-Militärhilfe, die Sanktionen und die Kriegsunterstützer-Liste. Wer von der Kriegsunterstützer-Liste genommen werden wolle, solle direkt mit der ukrainischen Regierung darüber sprechen, sagte Landsbergis. »Aber das Paket muss durchgehen.«
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wollte erst gar nicht über Ungarn reden. Als die Grünenpolitikerin nach Orbáns Blockade gefragt wurde, tat sie, als hätte sie eine andere Frage gehört.
Hinter verschlossenen Türen aber wurde Baerbock deutlicher, wie Diplomaten nach dem Ministertreffen berichteten: Die Grünenpolitikerin habe ebenso wie ihre französische Kollegin Catherine Colonna ihrem Unmut über Ungarns Verhalten Luft gemacht – während Ungarns Szijjártó abermals die Vorwürfe gegen die OTP Bank zurückgewiesen habe.
Dass die Bank nicht der eigentliche Grund für die Blockade ist, gilt unterdessen als ausgemacht. Die Beziehungen zwischen Budapest und Kiew sind schon lange vergiftet. Ungarns Regierung beschwert sich nicht nur immer wieder über angebliche Schikanen gegen die ungarische Minderheit im Westen der Ukraine. Sie weigert sich auch standhaft, der Ukraine militärische Hilfe zu leisten und sich aus der Energieabhängigkeit von Russland zu lösen. Man stehe auf der Seite des Friedens und des ungarischen Volks, lautet die offizielle Begründung von Regierungschef Orbán – dem auch deshalb mittlerweile der Ruf anhaftet, eine Art Vertreter von Russlands Präsident Wladimir Putin in der EU zu sein.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj soll indes darüber nachgedacht haben, die »Druschba«-Pipeline, durch die Ungarn russisches Öl bezieht und die durch die Ukraine verläuft, kurzerhand in die Luft zu jagen. Das berichtete die »Washington Post« unter Berufung auf durchgesickerte US-Geheimdienstdokumente. Szijjártó sprach prompt von einer Drohung »gegen die Souveränität Ungarns«. Zuvor soll die ukrainische Pipeline-Betreiberfirma Ukrtransnafta laut ungarischen Medienberichten gedroht haben, die Öllieferungen ganz einzustellen, sollte Ungarn seine Beschränkungen für ukrainische Agrarimporte nicht lockern.
Nach dem Ministertreffen blieb dem EU-Außenbeauftragen Josep Borrell nur zu mahnen, dass bei der Militärhilfe für die Ukraine die Zeit drängt. »Jeder Tag, um den sich unsere Lieferungen verzögern, kostet Menschenleben«, sagte der Spanier. Allein, für Ungarns Regierung scheint das ein akzeptabler Preis zu sein.
Da wirkte es beinahe ironisch, dass es am Rande des Ministertreffens auch um die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU ging. Auf diesen Politikfeldern herrscht Einstimmigkeitszwang, jeder der 27 EU-Staaten hat ein Veto. Unter anderem auf Betreiben Baerbocks hat sich am Montag eine »Freundesgruppe« aus zehn Mitgliedsländern gegründet, neben Schwergewichten wie Deutschland und Frankreich gehören auch kleinere Länder wie die Benelux-Staaten, Finnland oder Rumänien dazu. Sie wollen das Außenpolitik-Veto gemeinsam zurückdrängen.
Wenn man keine gemeinsame Stimme finde, führe das dazu, »dass man als weltpolitischer Akteur nicht wirklich vorkommt«, sagte Baerbock. Das Problem: Für eine gänzliche Abschaffung des Einstimmigkeitszwangs bräuchte man eine einstimmige Entscheidung aller EU-Staaten. Und zu denen gehört auch Ungarn.