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Der stetige Geldstrom von Bayer: “Geschmäckle” trübt das Ende der Titel-Langeweile

April 15
10:36 2024

Fußball

Bayer und der Verein sind tiefer miteinander verwoben als andere Klubs.

Bayer und der Verein sind tiefer miteinander verwoben als andere Klubs.

"Vizekusen" war mal, jetzt ist "Titelkusen". Erstmals ist Bayer 04 Leverkusen deutscher Fußball-Meister. Ein Tag zum Feiern für den Klub, ein Tag zur Freude für alle, die die Titel-Langeweile des FC Bayern nicht vermissen. Doch die Meisterschaft stellt nicht alle zufrieden.

"Bayer Leverkusen hat mit sportlichem Geschick eine fabelhafte Saison hingelegt. Es gehört sich, diese Leistung anzuerkennen", heißt es vom Fan-Bündnis "Unsere Kurve" zur historischen ersten Meisterschaft des Klubs. Das "Aber" schwingt lautstark zwischen den Zeilen mit. Und so lautet die weitere Aussage der dpa zufolge: Ein "Geschmäckle" werde bleiben.

Dabei eint die Erleichterung: Endlich ist die Meisterschafts-Langeweile durch den FC Bayern gebrochen. Kein zwölftes Mal in Folge, kein gefühlt mehr pflichtschuldiges Bier-über-den-Kopf-Kippen in der Allianz Arena. Es kann doch noch einen anderen deutschen Fußball-Meister als die Münchner geben. Der heißt Bayer Leverkusen mit dem weltweit umschwärmten Coach Xabi Alonso. Warum ist da dann doch wieder Skepsis?

Vorweggeschickt: So groß wie bei den Triumphen von RB Leipzig im DFB-Pokal ist der Aufruhr nicht. Die Bilder von Kevin Kampl, der nach dem ersten von zwei aufeinanderfolgenden Siegen im Jahr 2022 die Brause des Namensgebers in den Pokal schüttete, schütteln noch heute die Fans des "echten" Fußballs. Brause hat Bayer Leverkusen nicht im Portfolio, bekanntlich ist die Titel-Trophäe der Bundesliga die Meisterschale und bietet so keinen Platz für Getränke aller Art. Gefahr gebannt – trotzdem können sich nicht alle über den neuen Sieger freuen.

"Werbetreibende Tochter"

Denn im Grunde war es Bayer Leverkusen, das die Aktion von Kevin Kampl erst möglich machte. Im Jahr 1999 war es, dass der Leverkusener Klub eine Ausnahmeregelung bekam – nämlich von der 50+1-Regel. Nach der muss der Stammverein nach der Ausgliederung seiner Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft weiter die Mehrheit der Stimmanteile besitzen. Von Anfang an gibt es aber eine Ausnahme: Bayer Leverkusen. Das ist der Grund fürs "Geschmäckle".

Architekt jener Ausnahme ist Wolfgang Holzhäuser. Der heute 74-Jährige ist damals kaufmännischer Geschäftsführer von Leverkusen. Gerade erst geworden, wenige Monate zuvor war er noch beim DFB für die Lizenzierung der Vereine verantwortlich. Er argumentiert in einem "Welt"-Interview im Oktober 1998: "Die Bayer AG hat seit 1904 Breiten- und Spitzensport in Leverkusen erst ermöglicht." Tatsächlich ist der Klub vor 120 Jahren auf Bitten der Belegschaft gegründet worden, so wie es Betriebssportgemeinschaften auch in anderen Unternehmen gibt. Holzhäuser erklärt damals weiter: "Und der Verein versteht sich als werbetreibende Tochter des Unternehmens, deshalb macht ein Mehrheitseigner Bayer AG Sinn."

Der DFB akzeptiert das – und ergänzt die 50+1-Regel durch eine Ausnahmeklausel: Personen oder Unternehmen, die "seit mehr als 20 Jahren den Fußballsport des Muttervereins ununterbrochen und erheblich gefördert" haben, dürfen auch die komplette Stimmenmehrheit übernehmen. Dieser Passus macht nach Vorreiter Leverkusen später auch den VfL Wolfsburg mit Volkswagen und zwischenzeitig auch die TSG 1899 Hoffenheim mit Dietmar Hopp möglich.

Investoren-Übernahme ausgeschlossen

Genau darin sehen Kritiker einen Sittenverfall. Schließlich grenzt die 50+1-Regel den deutschen Fußball doch fast schon nostalgisch ab. Die Vereine der Mitglieder und Fans können nicht komplett verkauft werden. Investoren wie in der Premier League, der spanischen La Liga oder in der französischen Ligue 1, die Klubs mit Millionen oder gar Milliarden zuschütten können, die Klubs einfach kaufen und verkaufen können, die so auch feindliche Übernahmen möglich machen, sind ausgeschlossen. Mitspracherecht der Fans? In England träumen sie nur davon.

Allerdings hat auch die 50+1-Regel bekanntermaßen ihre Tücken. Immer wieder gibt es Streit und Diskussionen, auch das Bundeskartellamt mischt mit. Gegner wie der heutige Geschäftsführer von Bayer Leverkusen, Fernando Carro, sehen die Fälle der Bundesliga-Klubs davonschwimmen, schließlich bedeutet 50+1 einen finanziellen Wettbewerbsnachteil. Zuletzt war die Regel im Zuge des letztlich doch gescheiterten Investoren-Einstiegs bei der Deutschen Fußball-Liga in den Fokus geraten.

Ohnehin gilt die Regel nur für das ausgelagerte Profiteam der Vereine. Und auch so sorgt sie nicht dafür, dass die Teams komplett abgeschottet sind. Die Mehrheit des Kapitals darf sich nämlich im Eigentum privater Investoren befinden. Hertha BSC etwa hat aufgrund knapper Kassen 78,8 Prozent der Finanzanteile an seiner Profiabteilung dem US-Investor 777 Partners übertragen. Schon im Jahr 2005 wäre Borussia Dortmund wohl verschwunden, wenn nicht Aktionäre des börsennotierten Unternehmens einem finanziellen Sanierungskonzept zugestimmt hätten.

Auch RB Leipzig gäbe es nicht in der Liga, wenn der Mutterkonzern nicht Lücken im System gesehen hätte. Obwohl die Sachsen damals nur neun – und heute etwa 20 – stimmberechtigte Mitglieder haben, während es etwa beim BVB 170.000 sind. Obwohl im Vorstand bei der Gründung nur Red-Bull-Mitarbeiter vertreten sind und auch die jetzigen eine Konzernnähe haben, hat der Sächsische Fußballverband die Lizenzierung mit Eintritt in die Dritte Liga – und damit dem Erreichen des deutschen Profifußballs – im Jahr 2013 abgesegnet. Für viele ein Eklat. Das hält RB Leipzig nicht vom Erfolg ab – und Kampl eben nicht vom Herstellen des Brause-Pokals.

Schwarze Null am Jahresende

Bayer Leverkusen ist also nicht längst nicht der einzige Klub, dem einige mit Skepsis begegnen. Doch es ist auffällig, dass sich einzig bei den sogenannten Werksteams Leverkusen und Wolfsburg am Jahresende regelmäßig eine Schwarze Null in den von der DFL veröffentlichten Finanzkennzahlen der Bundesliga-Klubs finden lässt. Die Mutterkonzerne gleichen die Verluste aus. Insbesondere im Nachgang der Corona-Pandemie standen Bayer und Wolfsburg vergleichsweise gut da.

Klar, Gewinne müssen entsprechend ebenso weitergereicht werden wie Verluste, aber es lässt sich schon ruhiger arbeiten. Kein Problem, wenn sich der Transfer eines Fußballers als millionenschwere Fehlentscheidung entpuppt. Die Kosten für den Fehleinkauf beeinflussen dann ja nicht den nächsten Transfer, für den bei anderen Klubs womöglich kein Geld da wäre. Dieses Vorgehen des Verlustausgleichs wird im deutschen Profifußball in Zukunft Strafzahlungen nach sich ziehen. Doch die neue Regel greift erst ab hohen Verlusten – und die Strafen sind verhältnismäßig gering.

Und was ist mit Holzhäusers alter Argumentation der "werbetreibenden Tochter"? Der Bayer-Konzern kämpft am Markt. Die Übernahme des US-Rivalen Monsanto mit dem Unkrautvernichter-Glyphosat Roundup hat dem Unternehmen seit 2018 viel Ärger und sogar Klagen eingebracht. Eine schwere Hypothek, der Aktienkurs sank. Inzwischen ist Bayer an der Börse nur noch rund 27 Milliarden Euro wert – und zwar inklusive von Monsanto. Breuer erwartet vom Fußball-Erfolg keine Auswirkungen auf den Aktienkurs.

Die makellose Bayer-Saison hat laut Sportökonom Christoph Breuer aber auch für die Liga positive Aspekte: Sie tut der Vermarktung gut. Der Professor der Deutschen Sporthochschule in Köln sieht laut dpa einen Aufmerksamkeitsschub. Dieser sei wichtig, "damit die Bundesliga international noch attraktiver wird. Es kann bereits jetzt helfen, wenn die TV-Rechte für das Ausland veräußert werden."

Gesamtmarktwert immens gestiegen

Überhaupt, bei Kritik: Die Saison von Leverkusen läuft herausragend. 42 Pflichtspiele in Folge ohne Niederlage sind mehr als bemerkenswert. Und das – trotz nicht vorhandener Geldsorgen – mit einem Team, das vom Klang her nicht nur aus Superstars besteht. Die Konkurrenz gibt regelmäßig deutlich mehr Geld in den Transferperioden aus. Dribbelstar Florian Wirtz ist seit der U19 im Verein, Innenverteidiger Jonathan Tah spielt schon seit 2015 für Leverkusen – und in dieser Saison stark wie nie zuvor, mit Josip Stanisic hat Trainer Alonso einen beim FC Bayern vorerst aussortierten zum Fast-Nationalspieler gemacht, genauso wie sieben weitere Spieler des Kaders. Der Gesamtmarktwert des Kaders hat sich seit dem 1. Juli 2023 laut transfermarkt.de um 37,4 Prozent erhöht, Leverkusen (594,55 Millionen Euro) klettert damit im Ranking der teuersten Bundesliga-Klubs vom vierten auf den zweiten Platz – der FC Bayern ist mit 929,45 Millionen Euro weit enteilt.

Wie Alonso dem Team seinen Spielstil eingeimpft hat und wie die Spieler nie aufgeben und bis weit in die Nachspielzeit um Tore kämpfen – und sie schießen -, das hat etwas Meisterliches. Es macht Spaß, Bayer Leverkusen zuzuschauen. Aus der oftmals eher biederen, grauen Maus, ist ein begeisterndes Spitzenteam gereift. Doch das "Geschmäckle", es sollte zumindest einen Platz im Hinterkopf haben. Dieses kann nicht einmal die Schadenfreude über den FC Bayern bei allen übertreffen.

Quelle: ntv.de

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