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Denkwürdiger Olympia-Showdown: Sprint-Großmaul Lyles liefert und feiert: “Ich bin unglaublich”

August 05
08:26 2024
Noah Lyles ist 100-Meter-Olympiasieger.

Noah Lyles ist 100-Meter-Olympiasieger.

Der Sprint über 100 Meter ist das große Ereignis bei den Olympischen Spielen. Kein anderer Wettbewerb steht weltweit so sehr im Fokus, wie das Duell der schnellsten Männer. Und auch in Paris enttäuschen die Protagonisten nicht – ganz im Gegenteil.

Schon die Inszenierung ist dramatisch. Plötzlich wird es im knisternden Stade de France dunkel, plötzlich sorgen nur noch kleine, geschwenkte Lichter auf den Zuschauerplätzen für ein wenig Licht. Dann bricht eine Laser- und Technoshow los. Der DJ lässt das gigantische Stadion beben. Es sind die letzten Minuten vor dem Start der 100 Meter. Gesucht wird der schnellste Mann der Welt. Gesucht wird der Nachfolger von Olympiasieger-Sensation Marcell Jacobs aus Italien. Der Titelverteidiger ist dabei, hat sich ins Finale aber reingezittert. Ein Kandidat für Gold, für eine nächste Überraschung ist er nicht. Aber wer ist eigentlich der Favorit?

Noah Lyles, der Weltmeister? Na klar. Kishane Thompson, der Jahresschnellste? Sowieso. Fred Kerley, der Mann, der über 100, 200 und 400 Meter pfeilschnell ist? Immer. Die Liste lässt sich fortsetzen. Aber, kleiner Spoiler, die drei genannten holen die Medaillen. In der aufgelisteten Reihenfolge. Aber was ist dieses Finale für ein Drama? Thompson und Kerley kommen gut aus den Blöcken, Lyles nicht. Noch zur Hälfte des Rennens liegt er deutlich hinter den Medaillenrängen. Thompson liegt auf Goldkurs, doch dann fängt Lyles an zu fliegen. An einem nach dem anderen rennt er vorbei, bis er zeitgleich mit dem Jamaikaner Thompson über die Linie rennt.

Wer ist es nun? Niemand weiß es. Alle starren gebannt zur Anzeigetafel. Lyles ahnt, dass er es nicht sein könnte. 28 Sekunden dauert es, bis das Ergebnis kommt. "Ich bin zu Kishane gegangen und habe gesagt: Ich will ehrlich sein, Bruder, ich glaube, du hast gewonnen. Ich war darauf vorbereitet, dass sein Name auftauchen würde, und als ich dann meinen Namen sah, dachte ich: 'Meine Güte, das ist ja unglaublich. Ich bin unglaublich. Genau das wollte ich, diesen harten Kampf gegen unfassbare Gegner. Ich bin der Wolf unter den Wölfen." Und womöglich der Auserwählte, um das neue Gesicht der Leichtathletik zu werden. Die Rolle ist ohne Usain Bolt verwaist. Lyles hat Charme, Mut, Lust auf Sprüche, schnelle Beine, eine Geschichte, wie sie die Amis lieben: arme, prekäre Verhältnisse, Lernstörung, Opfer von Mobbing, Depressionen und die Heldenwerdung. Mit viermal Gold?

Urschrei, Flummi, Ärger

Die knappste Sprint-Entscheidung der Olympia-Geschichte.

Die knappste Sprint-Entscheidung der Olympia-Geschichte.

(Foto: IMAGO/USA TODAY Network)

Lyles ist ein Showman, ein Großmaul, eine höchst sensible Seele. Aus seinen Gefühlen, aus seinem Kampf mit den Depressionen macht er kein Geheimnis. Noch vor dem Finale telefoniert er mit seiner Therapeutin. "Sie sagte: Du musst loslassen, du musst es fließen lassen. Und ich sagte: In Ordnung, ich werde dir vertrauen."

Die Anspannung vor dem Start ist gewaltig. Bei der Vorstellung etwa läuft der Amerikaner Kenneth Bednarek zu schnell aus dem Tunnel. Er wird zurückgepfiffen. Das mag er nicht. Mit verärgertem Blick kommt er schließlich erneut raus. Es ist eine große Inszenierung, die Protagonisten nutzen die Bühne für sich. Manchmal scheint es wichtiger, den Herrmann zu machen, als eine Medaille zu gewinnen. Thompson setzt einen donnernden Urschrei ab, Lyles sprintet wie ein Löwe los, rennt fast die halbe Bahn entlang, springt wie wild. So cool die Männer auch sein wollen, so wahnsinnig nervös sind sie. Sie stehen im Fokus der Weltöffentlichkeit, sind Rennpferde, die einfach nur losgelassen werden wollen. Aber so einfach ist das nicht. Die Vorbereitung zieht sich, lang, sehr lang. Lyles drückt seinen Unmut gestenreich aus, auch die Kollegen sind nicht glücklich über die lange Wartezeit.

Dann der Schuss, dann der Sprint, dann das Drama. Am Ende stehen zweimal 9,79 Sekunden, eine Superzeit. Doch zweimal Gold gibt es nicht. Fünf Tausendstel-Sekunden machen den Unterschied. In der olympischen Geschichte war keine Entscheidung jemals enger. Nach 20 Jahren steht die Sprint-Nation USA wieder oben, dort wo sie immer und ewig sein möchte. Wo sie aber lange keinen Platz fand, weil Jamaika, weil Bolt dominierte. Jetzt hat Lyles geliefert. Er hat geliefert, was er versprochen hatte. Schon bei der Eröffnungsfeier streamte er vom Boot auf der Seine und grüßte als "schnellster Mann der Welt". Er setzte sich selbst unter Druck. Und er will mehr. Zu "100 Prozent" werde er auch Gold über die 200 Meter gewinnen. "Wenn ich aus der Kurve komme, werden sie Depressionen kriegen." Zwischenzeitlich hatte der Dritte, Fred Kerley, der Mann ohne Lächeln, ihm längst scherzhaft zugeraunt: "Redest du Scheiß, Mann?"

Das Drama von Tokio veränderte ihn

Vermutlich nicht. Schon im vergangenen Jahr, als er dreimal Gold bei der WM holte, kündigte er an, dass nun eine neue Dynastie beginne. Vor seinem Triumph im vergangenen Jahr bei der Heim-Weltmeisterschaft war er wieder einmal aus einem ganz tiefen Tal gekommen. Es war eine Geschichte, die die Amerikaner so sehr lieben. Ein Held mit einem schweren Bruch im Lebenslauf. In den vergangenen zwei Jahren (und ein paar Monaten) war verdammt viel über ihn hereingebrochen, zu viel: erst die Pandemie, dann die Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio und schließlich die Black-Lives-Matter-Bewegung. Es ging bis an die Grenzen der Erträglichkeit, und darüber hinaus. Der sensible Sprinter kämpfte mehr mit sich als mit seinen Konkurrenten.

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Im Sommer 2024 vergessen, Lyles ist an der Spitze und will dort bleiben. Er schloss seinen Frieden mit den Spielen. Vor drei Jahren in Tokio litt er unter der geisterhaften Corona-Atmosphäre. Er braucht die Bühne, die Lautstärke, den Push. Über seine Paradestrecke, die 200 Meter, holte er nur Bronze. "Das ist nicht genug", schwor sich Lyles danach. Die Depressionen kamen zurück. Er fokussierte sich noch mehr, arbeitete noch härter, suchte immer neue Wege, sich noch mehr zu verbessern.

Nun die eindrucksvolle Auferstehung. Er ist der Star einer Netflix-Serie, eine Werbefigur. Rapper Snoop Dogg kam, um sich das Olympia-Finale anzuschauen. "Je mehr Augen auf mich gerichtet sind, desto besser bin ich", sagte der 27-Jährige – und dann hielt er tatsächlich Wort.

Quelle: ntv.de

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