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Corona: Container-Stau an Europas Häfen zu befürchten

April 26
10:26 2020

Wochenlang durften Geschäfte in Europa nicht öffnen – entsprechend voll sind die Lager. Nun kommen auch noch riesige Bestellungen aus Asien an. Wohin mit dem ganzen Zeug?

Die Aufs und Abs der Weltwirtschaft bekommt der Hamburger Hafen meist mit rund sechs Wochen Verzögerung zu spüren. Denn so lange dauert es nach einer Bestellung in Fernost, die Waren dort zu produzieren, zu verpacken – und per Containerfrachter nach Europa zu schippern. In den vergangenen Wochen lief das Geschäft in Hamburg mau: Schuld waren die Nachwirkungen von Phase eins der Corona-Pandemie im Januar und Februar. Damals standen Teile Chinas unter Massenquarantäne, waren unzählige Fabriken in der Volksrepublik dicht, legten entsprechend wenige Frachter gen Westen ab.

Aber das Bild in Hamburg könnte sich rapide ändern: Experten befürchten, dass sich schon bald Container in Europas großen Häfen türmen werden.

"In den nächsten drei, vier Wochen wird eine Menge Fracht in Europa ankommen – und kaum jemand kann sie gebrauchen", sagte Lars Jensen, Chef des Kopenhagener Analysehauses Sea Intelligence, dem SPIEGEL. "In den Terminals wird die Zahl der Container rapide steigen, die gar nicht abgeholt werden." Jensen, einst ein hoher Manager beim dänischen Reederkonzern Møller-Mærsk, arbeitet seit zwei Jahrzehnten in dieser Branche; er kennt die Mechanismen des Geschäfts. Und diese könnten einen Container-Stau in Europas Häfen verursachen.

Denn von Ende Februar bis Anfang März gab es ein Intermezzo in der Coronakrise: In China legten viele Betriebe wieder los. Und ihre europäischen Abnehmer, etwa große Textil- und Handelshäuser, orderten noch in großem Stil Ware. Bis wenig später ihr eigenes Geschäft lahmgelegt wurde: durch Phase zwei der Pandemie mit den Lockdowns in Deutschland, Italien, Frankreich und anderen Staaten.

"Jetzt kommen die Bestellungen von Ende Februar hier an – aber die Importeure haben noch massenhaft Ware in ihren Lagerhäusern, die sie in den letzten Wochen nicht verkauft haben", sagt Jensen. "Wenn die Lager voll sind, was mache ich dann mit weiteren 50 Containern? Wohin bringe ich das Zeug?" Der Anreiz sei groß, die Lieferung nicht sofort aus dem Hafen abzuholen.

Der große Hamburger Terminalbetreiber HHLA hält eine kurzzeitige Container-Flut für möglich – und bereitet sich vor. "Um ihren Versorgungsauftrag […] zu erfüllen, wenn es zu Staus bei der Abholung von Containern im Hamburger Hafen kommen sollte, begutachtet die HHLA derzeit Flächen außerhalb ihrer Anlagen", schreibt ein Unternehmenssprecher auf Anfrage des SPIEGEL. Man strebe einen schnellen Durchlauf der Container an, durch die Auswirkungen der Pandemie seien die weltweiten Lieferketten jedoch stark unter Druck geraten. "Um zu vermeiden, dass die Auslastung unserer Lager auf den Terminals die Kapazitätsgrenze übersteigt und es zu kilometerlangen Lkw-Staus auf den Hafenstraßen kommt, erarbeiten wir vorsorglich ein Flächenkonzept."

Container, deren Inhalte keiner braucht

Parkplätze für Tausende Container in Hafennähe zu finden, wird nicht einfach. Die Fläche muss vermutlich größer sein als ein Fußballfeld sowie einen stabilen, festen Untergrund haben, auf dem die tonnenschweren Behälter nicht bei Regen im Schlamm absacken. Der Zugriff auf einzelne Container muss jederzeit möglich sein – und der Ort gut erreichbar für die Lkw, die sie abholen sollen.

Auch in den Zwischenlagern der Spediteure ist kaum noch Platz. "Die Lagerkapazitäten laufen bei vielen unserer Mitglieder am Anschlag, der Handel nutzt alle verfügbaren Flächen für Ware, für die es keine Verwendung gibt", sagt Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Spedition und Logistik. "Erst bleiben die Warenströme aus Asien aus, jetzt kriegen wir zu viel", sagt Huster. "Da kommen in den Häfen Container mit Inhalten an, von denen man weiß, dass man sie nicht braucht." Entsprechend gering ist der Anreiz, sie abzuholen.

Besonders groß ist der Überfluss offenbar bei Kleidung und Schuhen. "Der textile Einzelhandel ist zusammengebrochen, auch online funktioniert er nicht gut", sagt Michael Reink, Bereichsleiter Standort und Verkehrspolitik beim Handelsverband Deutschland (HDE). "Die Warenlager sind voll, die Geschäfte sind voll." Um den Nachschub unterzubringen, sucht der HDE nun für seine Mitglieder nach Zwischenlagern in Industrieunternehmen.

Doch Modeprodukte verlieren rasant an Wert. Die Ware wird schnell unverkäuflich, vor allem "Fast Fashion" hat mit seinem Geschäftsmodell der im Wochenrhythmus wechselnden Kollektionen ein Problem: Diese müssen ständig massenhaft abverkauft werden, was im wochenlangen Lockdown nicht möglich war. Die Folge: Klamottenstapel im Hafen, in den Spediteurshallen, in den Lagern und Läden der Marken.

So weit wie am US-Ölmarkt – wo Verkäufer am vergangenen Montag mangels Lagerraum den Käufern kurzzeitig sogar Geld dafür zahlten, dass sie den überflüssigen Stoff abnahmen – wird es in der Textilbranche wohl nicht kommen. "Es ist davon auszugehen, dass viele Händler Rabatte anbieten werden", sagt Reink vom HDE. Dass wahrscheinlich auch Ware im großen Stil vernichtet wird, sagt er nicht. Doch das war schon in den Zeiten vor Corona durchaus üblich. Wie hoch die Verluste sein werden, wie viele Betriebe aufgeben müssen, wagt niemand vorherzusagen.

Deutsche Modehändler beteuern jedenfalls, das Problem der angestauten Waren zu lösen. "Wir vereinnahmen alle Textilien in unserem Lager und schaffen dafür aktuell den notwendigen Platz", heißt es auf Anfrage etwa beim Textildiscounter Kik.

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