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China und sein Corona-Comback: Zweifel an den Wirtschaftsdaten

August 07
09:18 2020
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Skyline von Peking

Foto: Qianlong/ Qianlong – Imaginechina/ AP

Der Aufstieg Chinas zur führenden Wirtschaftsmacht ist gut dokumentiert: Mehr als vier Jahrzehnte praktisch ununterbrochenen Wachstums haben das Land auf Augenhöhe mit den USA katapultiert – und nebenbei Hunderte Millionen Chinesen aus tiefer Armut befreit.

Selbst in der Weltwirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 schnurrte der chinesische Wirtschaftsmotor fast unbeeindruckt weiter. Mit Wachstumsraten über neun Prozent schob das Land die Weltwirtschaft fast im Alleingang wieder an. Nach dem Corona-Schock richten sich wieder viele Erwartungen an China: Führt es die Weltwirtschaft ein zweites Mal aus dem Abgrund?

Das offizielle Peking hat seine Antwort schon gegeben, eine Art zackiges "Ja, klar!" in Form der amtlichen Wachstumsrate. Zwischen April und Juni ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt demnach schon wieder um
3,2 Prozent gewachsen, während zeitgleich Europa und die USA mehr als 10 Prozent Minus meldeten.

Kann das wirklich sein?

In Paris sitzt Thanh-Long Huynh im Büro seiner Firma und geht der Frage nach, ob man dieses Daten glauben kann. Er hat Karriere als Investmentbanker gemacht, bei der Großbank Société Générale und als Hedgefonds-Manager. 2012 hat er sich selbständig gemacht, QuantCube heißt sein Start-up. 50 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen. Sein Geschäftsmodell ist es, ein unabhängiges Bild von der derzeitigen Lage der chinesischen Wirtschaft zu erstellen – und diese Daten dann an Banken und Investoren zu verkaufen.

Huynhs Firma kooperiert mit der französischen Raumfahrtagentur und wertet Satellitenaufnahmen aus, die Hinweise auf die tatsächliche Bauaktivität schließen. Seine Analysten verfolgen die Routen von 80.000 Frachtern, von denen viele chinesische Häfen anlaufen. Sie überwachen auch, wie schmutzig die Luft in den Industrierevieren gerade ist – ein wichtiger Hinweis auf die Auslastung der Betriebe.

Das Urteil von QuantCube zu Chinas Blitz-Comeback ist eindeutig: Kann nicht sein. Huynh sagt, es sei angesichts der beobachteten wirtschaftlichen Tätigkeit "schlicht unmöglich, dass China schon wieder gewachsen ist".

Huynh stützt sich dabei auf mehrere Indikatoren, die seine Firma entwickelt hat. Dazu gehört ein Handels-Index. Er basiert auf Frachtdaten der großen See- und Flughäfen – und verharrt trotz des offiziellen Aufschwungs mit minus 7,6 Prozent weiter tief im negativen Bereich. Eine Überraschung sei das nicht, die Nachfrage von Chinas wichtigsten Handelspartnern in Europa und Nordamerika sei weiter niedrig, so Huynh.

Noch drastischer fällt die Differenz zu den offiziellen Angaben beim Arbeitsmarkt aus. Die Zahl der offenen Stellen ist laut QuantCube deutlich geringer als von Peking gemeldet – ein Zeichen für ein Andauern der wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Der dritte Index misst den wichtigen privaten Konsum. Und auch der zeigt noch keine vollständige Erholung.

Huynh sagt, er könne derzeit noch keine einzige makroökonomische Kennziffer erkennen, die nicht unter ihrem Vorjahreswert liege. Wenn aber alle Komponenten im negativen Bereich liegen, "kann die Wirtschaftsleistung insgesamt nicht im Plus sein". Auch dann nicht, wenn man das zweite Quartal mit dem sehr schwachen ersten Quartal vergleiche.

Die Unzuverlässigkeit der chinesischen Wirtschaftsdaten hat bereits in der Vergangenheit dazu geführt, dass Ökonomen und Analysten eigene Berechnungen angestellt haben, um ein realistischeres Bild der Entwicklung zu bekommen. Julian Evans-Pritchard zum Beispiel, er ist China-Experte beim Analysehaus Capital Economics mit Sitz in Singapur.

Regelmäßig schickt er an seine Kunden Berichte mit Zahlenkolonnen und Grafiken, die einen besseren Eindruck von der wahren Lage in China geben sollen: Wie hoch ist der Stromverbrauch? Wie viele Staus gibt es in den großen Städten? Oft finden sich in solchen Kennziffern Hinweise, die in den offiziellen Wachstumsdaten verschleiert werden. Als vor einigen Jahren etwa dem chinesischen Bausektor die Puste ausging, schlug sich das in der offiziell vermeldeten Wachstumsrate kaum nieder – hinterließ aber zum Beispiel deutliche Spuren beim Zementverbrauch.

Evans-Pritchard schätzt die Lage in China etwas anders ein als das QuantCube-Team von Huynh. Es sei nicht so, dass die chinesischen Wachstumszahlen frei erfunden seien. Die offiziellen Daten hält er allerdings ebenfalls für geschönt. "Wir schätzen die Daten zur nominalen Wirtschaftsentwicklung für relativ verlässlich ein", sagt er. Allerdings: Überall auf der Welt werden die Wirtschaftsdaten dann korrigiert um einen Deflator, der etwa die Preisentwicklung berücksichtigt, um das reale Wirtschaftswachstum zu beziffern.

Dafür gibt es eigentlich internationale Standards, die in China allerdings offenbar nicht berücksichtigt werden, jedenfalls seit einigen Jahren. "Bis 2012 war das Verhältnis zwischen dem Deflator und der Verbraucherinflation ziemlich stabil", sagt Evans-Pritchard. Seit acht Jahren aber ist das nicht mehr so und Analysten haben Schwierigkeiten, Pekings Rechnung vom nominalen Bruttoinlandasprodukt zum realen nachzuvollziehen.

Die Daten werden womöglich frisiert, damit China seine selbst gesteckten Wachstumsziele doch erreicht. Das ist seit einigen Jahren immer schwieriger geworden, weil Chinas gemessene Wachstumsraten geringer werden. Die Kommunistische Partei hatte sich aber das Ziel gesetzt, die Wirtschaftskraft zwischen 2010 und 2020 zu verdoppeln.

Das Ergebnis ist ein für eine große Volkswirtschaft völlig anormaler Wirtschaftsverlauf: Konjunkturzyklen scheint es – zumindest laut den offiziellen Statistiken – in China in den vergangenen Jahren praktisch nicht gegeben zu haben. Die Wachstumsraten schwankten kaum. Auffällig ist auch: Während andere Industrienationen immer mal wieder Korrekturen an ersten Wachstumsschätzungen veröffentlichen, ist das seit 2012 in China kaum noch der Fall. Das deutet laut Analyst Evans-Pritchard "auf Manipulationen im Hintergrund hin".

Capital Economics hat deshalb einen eigenen Index entwickelt, genannt China Activity Proxy (CAP). Anders als die offiziellen Wachstumsraten zeigt er deutlich, dass das Auf und Ab der Konjunkturzyklen auch in China gilt. Und: Das reale Wachstum der Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren demnach stets deutlich geringer ausgefallen, als von Peking verkündet.

Das gilt auch in der Coronakrise. Laut offiziellen Angaben ist Chinas Wirtschaft in den ersten drei Monaten des Jahres um 6,8 Prozent geschrumpft. Laut der Berechnungen von Capital Economics lag das Minus aber bei mehr als 10 Prozent. Und der Aufschwung im zweiten Quartal ist offenbar geringer ausgefallen, als die von Peking behaupteten Plus 3,2 Prozent. Julian Evans-Pritchard kommt auf weniger als 2 Prozent.

Es geht dabei um mehr als bloße Zahlenklauberei: China ist ein gewichtiger Faktor für die Weltwirtschaft – und gerade in Deutschland sind viele Firmen abhängig vom Handel mit Fernost. Manchmal wenden sie sich dabei auch an Philipp Hauber, er ist Forscher am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) und verfolgt die Entwicklung der chinesischen Volkswirtschaft genau. Seine Prognosen fließen dann ein in die Konjunkturprognose für Deutschland, das besonders stark vom Handel mit China profitiert.

China glätte den Konjunkturzyklus auffällig, sagt auch Hauber. Dass die offiziellen Zahlen die konjunkturellen Schwankungen nicht besonders gut abbilden "zeigt zum Beispiel der tiefe Abschwung der chinesischen Wirtschaft 2015/2016", sagt Hauber. Damals habe es eine "richtige Delle" im Außenhandel mit China gegeben. In den offiziellen Wachstumszahlen war das aber kaum ablesbar. Das IfW berechnet deshalb ebenfalls alternative Indikatoren.

Allerdings: Ausgerechnet in der aktuellen Krise deutet sich womöglich ein Umdenken in China an. Die Behörden haben – vor einem Jahr noch undenkbar – im ersten Quartal ohne Umschweife eingeräumt, dass Chinas Wirtschaft massiv eingebrochen ist. Erstmals sind sie auch von ihrem offiziellen Wachstumsziel abgerückt.

Damit ist auch der politische Druck gesunken, dieses Ziel zu erreichen – und sei es durch Manipulation.

Icon: Der Spiegel

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