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Warum die Wirtschaft in Deutschland besser durch Corona kommt als anderswo in Europa

September 14
21:13 2020
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Container im Hamburger Hafen: "Der Welthandel kommt überraschend gut zurück"

Foto: Daniel Reinhardt / picture alliance / dpa

Die Prognosen für die deutsche Wirtschaft sind so pessimistisch wie seit Jahren nicht mehr. Aber in anderen Ländern Europas wecken sie Neid.

Um 5,8 Prozent werde das Bruttoinlandsprodukt 2020 schrumpfen, sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier voraus. Nur um 5,8 Prozent. Für die anderen großen Volkswirtschaften auf dem Kontinent sieht es viel düsterer aus: Spanien, Italien, Großbritannien und wohl auch Frankreich müssen sich auf ein zweistelliges Minus gefasst machen.

"Die Wirtschaftsentwicklung in Europas großen Staaten ist extrem heterogen", sagt Gabriel Felbermayr, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Deutschland kommt bislang besser durch die Pandemie als die anderen: gesundheitlich und auch wirtschaftlich. Das war schon im Frühjahr so, als die erste Corona-Welle durch Europa jagte. Im zweiten Quartal – dem schlimmsten für die globale Wirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg – war der Einbruch hierzulande nur etwa halb so tief wie etwa in Spanien oder Großbritannien.

Und während diese Staaten noch heftig mit den Folgen des Corona-Crashs kämpfen, hat sich hierzulande die Konjunktur schneller erholt als erwartet. Die Stimmung hellt sich auf: bei den Unternehmen und führenden Ökonomen des Landes.

"Die anhaltend gute Binnennachfrage in Deutschland hilft der Wirtschaft sehr", erklärt Felbermayr. Und der Chef des Münchner Ifo-Instituts Clemens Fuest: "Deutschland steht unter den großen Volkswirtschaften mit am besten da."

Wieso läuft es bei uns so viel besser als anderswo?

1. Deutschlands Wirtschaft war vor Corona gesünder

"Diese Krise ist auf Volkswirtschaften getroffen, die ganz unterschiedlich stabil waren", sagt Felbermayr. Italien litt unter einer jahrzehntelangen Stagnation, Spanien unter den Nachwirkungen der Eurokrise, Großbritannien unter der Brexit-Ungewissheit, Frankreich unter einem Dauer-Reformstau.

Die deutsche Wirtschaft hatte kein derart gravierendes Strukturproblem. In fast zehn Jahren Boom konnten viele Unternehmen Reserven aufbauen. Und zahlreiche Betriebe hatten zu Beginn der Pandemie noch massenhaft Aufträge zum Abarbeiten.

2. Die Politik musste die Wirtschaft nicht so bremsen

Erst Italien, dann Spanien, Frankreich und Großbritannien. Alle waren zeitweise Zentren der Pandemie: mit zwischenzeitlich mehr als 900 Todesfällen pro Tag. Um die Welle zu stoppen, versetzten die Regierung in Rom und Madrid wochenlang weite Teile ihrer Wirtschaft in einen künstlichen Winterschlaf. London startete den Lockdown später, dafür dauerte er länger und richtete umso größere Schäden an.

Deutschland traf das Virus längst nicht so hart, und die Einschränkungen für die Unternehmen waren geringer. "Anders als etwa in Frankreich hatten wir in Deutschland keinen flächendeckenden Shutdown", sagt Ifo-Chef Fuest. Mit Ausnahme der Autoindustrie sind viele Firmen mehr oder weniger weiter gelaufen."

3. Deutschlands Industrie ist virusresistenter

Frankreich, Spanien und Italien zählen zu den attraktivsten und einnahmestärksten Urlaubszielen der Erde. Umso stärker reißt der Kollaps des internationalen Tourismus ihre Volkswirtschaften mit nach unten. In Deutschland ist der Reisesektor längst nicht so bedeutend. Umso wichtiger ist dafür die Industrie. Und "für Industriegüter spielen Reiserestriktionen so gut wie keine Rolle", sagt Felbermayr. "Der Welthandel kommt überraschend gut zurück – erst ist noch ein Zehntel unter dem Normalniveau. Davon profitieren die industriestarken Länder". Wie beispielsweise auch Polen, wo die Rezession noch schwächer ausfallen dürfte.

Deutschlands Exporte sind noch immer deutlich niedriger als vor einem Jahr. Doch "sie haben sich erstaunlich gut erholt", sagt Ifo-Chef Fuest. "Die deutsche Exportindustrie ist flexibel: Wenn es in einem Markt schlecht läuft, erschließt sie andere Märkte – gerade zum Beispiel in Osteuropa." Auch das Geschäft mit China zieht wieder an. Zudem habe die deutsche Exportwirtschaft eine vielfältige Produktpalette zu bieten, sagt Fuest. Auto und Maschinenbau laufen gerade schwach, dafür gehen die Ausfuhren der Pharmabranche nach oben.

4. Der Bund hat mehr Geld zum Retten

So spendabel wie in dieser Krise war der deutsche Staat noch nie. Das Kurzarbeitergeld wird verlängert und verlängert, mittelständische Unternehmen und Selbstständige können Überbrückungshilfen beantragen, und um die Konsumenten zum Einkaufen zu verlocken, verzichten Bund und Länder auf einen Teil der Mehrwertsteuer. Großbritanniens Regierung hingegen lässt ihr Kurzarbeiterprogramm wohl mit Monatsende auslaufen, dann droht Hunderttausenden Menschen die Arbeitslosigkeit. Auch die Staatshilfen Italiens oder Spaniens sind bescheiden – verglichen mit den Milliarden aus Berlin.

"Deutschland hat unglaublich viel Geld in die Hand genommen. Es gibt wenige Zweifel, dass der Staat das auch durchhalten kann", sagt Felbermayr. Wenn sich der Bund Geld am Kapitalmarkt leihen will, kann er damit sogar Profit machen, denn die Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen sind negativ; zurzeit kriegen die Gläubiger über die gesamte Laufzeit hinweg vom Bund etwa vier Prozent weniger zurück, als sie ihm geborgt haben. Deutschlands Schuldenberg wird zwar wegen der Pandemie stark wachsen: laut Ifo von knapp 60 Prozent auf rund 80 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Doch verglichen mit Frankreich oder Italien ist das immer noch eine niedrige Quote.

5. Aber gut ist es noch längst nicht

Deutschlands wichtigster Aktienindex Dax hat seine Verluste aus der ersten Pandemiewelle wettgemacht, die Lufthansa ist erst mal gerettet, die Arbeitslosigkeit nur moderat gestiegen – und die Zahl der pleitegegangenen Betriebe sogar gefallen. Aber die Börsen schwanken stark, Deutschlands größte Fluglinie baut womöglich Tausende Stellen ab, noch immer sind mehr als vier Millionen Menschen in Kurzarbeit – und Experten befürchten eine Welle von Insolvenzen, sobald Unternehmen, die sich wegen Corona überschuldet haben, dies wieder anzeigen müssen.

Und was passiert, wenn die Corona-Infektionszahlen hierzulande so hochschnellen wie in Frankreich, Tschechien oder anderen Nachbarländern? Oder wenn die Weltbörsen abermals crashen?

Die Lage ist fragil. Und zur wirklichen Erholung fehlen immer noch ein paar Prozent. "Wir werden das alte Niveau der Wirtschaftsleistung nicht so schnell wieder erreichen", sagt Ifo-Chef Fuest.

Und IfW-Präsident Felbermayr wundert sich gar über die allzu hoffnungsvolle Stimmung: "Es ist schwer zu verstehen, warum die Unternehmen die Wirtschaftslage ähnlich gut einschätzen wie im August letzten Jahres. Der Optimismus in Deutschland ist überzogen." Zwar zeigten sich viele Betriebe nach außen sehr positiv gestimmt. "Doch sie investieren kaum, da sieht es grauenvoll aus, auch in Deutschland."

Solange Handelspartner wie Frankreich, Italien, Großbritannien und Spanien schwächeln, hat auch die hiesige Exportindustrie ein Problem. Deutschlands Wirtschaft wird die Coronakrise hoffentlich meistern. Aber sicher nicht im Alleingang.

Icon: Der Spiegel

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