Nach Heimkehr drohen Strafen: Nordkoreaner haben bei Olympia viel zu verlieren
Wegen der Corona-Pandemie verzichtet Nordkorea, an Olympia in Tokio teilzunehmen. Deshalb wird der Staat vom IOC auch für die Winterspiele in Peking 2022 suspendiert. 2024 schickt das Land 16 Athleten nach Paris. Dort kämpfen sie um Medaillen. Ein Scheitern könnte für sie Folgen haben.
Der Flughafen Sunan in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang ist beinahe menschenleer, als die nordkoreanische Delegation am 20. Juli in das Flugzeug Richtung Paris stieg. Die 16 Athletinnen und Athleten in weißen Jacketts, am linken Revers ein Anstecker mit der Nationalflagge Nordkoreas, haben ein Ziel: bei den Olympischen Sommerspielen in Paris Medaillen für Nordkorea ergattern.
Die Teilnahme Nordkoreas an den Spielen signalisiere eine "bemerkenswerte" Rückkehr in die internationale Gemeinschaft, sagte Jean H. Lee, die ehemalige Nordkorea-Korrespondentin von AP, dem Sender BBC. Nachdem sich der Ein-Parteien-Staat aufgrund der Corona-Pandemie noch stärker als vorher von der Welt abgeschottet hatte, entschied sich Nordkorea, nicht an den Olympischen Spielen in Tokio teilzunehmen. Darauf reagierte das Internationale Olympische Komitee (IOC): Das Nationale Olympische Komitee Nordkoreas wurde bis Ende 2022 suspendiert. Damit war das asiatische Land auch von den Winterspielen in Chinas Hauptstadt Peking ausgeschlossen. "Aber in Paris bemüht sich das Land, sich wieder in die internationale Gemeinschaft einzugliedern", sagte Lee.
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Im international isolierten Nordkorea werden ausländische Einflüsse als schädlich und zersetzend bezeichnet, schreibt das Auswärtige Amt. Deshalb ist die Reise zu den Olympischen Spielen für die 16 Sportlerinnen und Sportler aus Nordkorea etwas Besonderes. Denn die Reisegesetze in Nordkorea sind sehr strikt. Ein Großteil der nordkoreanischen Bevölkerung darf nicht einmal innerhalb des Heimatlandes verreisen, geschweige denn ohne staatliche Erlaubnis das Land verlassen. Mit einer Ausnahme: Kann ein Nordkoreaner oder eine Nordkoreanerin etwas Großes für ihre Nation leisten, können sie im Einzelfall auch ins Ausland reisen.
Auf sportdiplomatischer Mission in Paris
Neben dem Kampf um Medaillen hätten die nordkoreanischen Sportlerinnen und Sportler noch ein weiteres großes Anliegen in Paris. Geschult in der uralten nordkoreanischen Kunst der "Sportdiplomatie" sollen sie dem Ausland beweisen, dass das Land normal sei, sagte Ramon Pacheco Pardo, Professor für Internationale Beziehungen am Londoner King’s College London, in der BBC. Die Athletinnen und Athleten würden weniger misstrauisch als andere Menschen aus Nordkorea von der Außenwelt beäugt, so Pacheco Pardo.
"Für Nordkorea hat Sport schon immer eine sehr politische Rolle gespielt. Er wird als Werkzeug für Propaganda genutzt", sagte Lee Jung-Woo, Dozent für Sportpolitik an der Universität in Edinburgh, im Deutschlandfunk. Bei sportlichen Erfolgen sei Nordkorea nationalistisch ausgerichtet. Dabei werde weniger die individuelle Leistung der Athletinnen und Athleten gelobt, als vielmehr die Großartigkeit Nordkoreas als Nation betont. Und bei bisherigen Olympiateilnahmen hat Nordkorea fast immer mehrere Medaillen geholt.
Zehn Wettkampfe der Olympischen Spiele in Paris sind bereits vergangenen. Nordkorea steht aktuell auf dem 44. Rang im Medaillen-Spiegel: Am Sonntag gewann die 29-jährige Pang Chol-mi Bronze im Frauenboxen (Klasse bis 54 Kilogramm). Zuvor holten die Wasserspringerinnen Jo Jin Mi und Kim Mi Rae im Zehn-Meter-Synchronspringen Silber. Die erste Medaille ergatterte die nordkoreanische Delegation vergangenen Dienstag: Im gemischten Tischtennis-Doppel gewannen der Nordkoreaner Ri Jong Sik und seine Mixed-Partnerin Kim Kum Yong ebenfalls Silber.
Ein Zeichen der Annäherung?
Bei der Siegerehrung kam es zu einem großen Olympia-Moment. Wie bei allen Medaillenvergaben machten die Gewinner und Gewinnerinnen auf dem Podest ein Selfie: Ri Jong Sik und Kim Kum Yong aus Nordkorea posierten dafür neben Athleten und Athletinnen aus Südkorea und China. Laut IOC ist das "Victory Selfie" offizieller Teil der Preisverleihung. Es soll den krönenden Moment auf dem Podium festhalten und setzt gleichzeitig ein neues Smartphone des Olympia-Partners Samsung in Szene.
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Die politische Lage zwischen Südkorea und dem mit Atomwaffen ausgestatteten Nachbarn ist sehr angespannt. Im Januar hatte Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un Südkorea als "Hauptfeind" bezeichnet, im Februar brach Nordkorea jegliche Wirtschaftsbeziehungen zu Südkorea ab. Zuletzt schickte Nordkorea Müllballons über die Grenze.
Das Selfie ist eine der wenigen sichtbaren Interaktionen Nordkoreas mit der Außenwelt während der Spiele, einschließlich einer Pressekonferenz der beiden Tischtennis-Stars. Als seltenes Zeichen grenzüberschreitender Einigkeit der beiden verfeindeten Länder ging das Podium-Selfie viral.
Ein Selfie mit ungeahnten Folgen
Aus der Ferne behält die nordkoreanische Regierung nicht nur die sportliche Leistung ihrer Abgesandten in Paris im Auge. Auch das Betragen außerhalb des Heimatlandes – insbesondere Kontakte zum Westen und Südkorea – werden observiert. Die 21-jährige Geräteturnerin An Chang-ok wurde laut BBC in der Bercy Arena sogar von einer Anstandsdame begleitet.
Wie Machthaber Kim Jong-un das Selfie beurteilte, ist unklar. Unter Berufungen auf einen Bericht von Radio Free Asia (RFA) werden die Olympischen Spiele laut BBC in Nordkorea nicht live im Fernsehen übertragen. Eine BBC-Analyse zählt nur eine Handvoll Berichte über die Spiele in den streng kontrollierten Staatsmedien. Trotzdem würden die Menschen in Pjöngjang aus der einen oder anderen Quelle von den Ergebnissen der Olympischen Spiele erfahren, sagte John Everard, britischer Botschafter in Nordkorea von 2006 bis 2008, dem Sender BBC.
Ob die beiden Nordkoreaner für das Selfie mit den Südkoreanern von der Regierung bestraft werden, bleibt abzuwarten. Das entscheidet sich voraussichtlich, wenn die Delegation aus Paris nach Nordkorea zurückgekehrt.
Strafen für alle, die keine Medaille mit nach Hause bringen?
Nach mehr als einem Monat in Paris – in der "schädlichen" westlichen Welt – werden die 16 Sportlerinnen und Sportler zurück nach Nordkorea reisen. Bei ihrer Rückkehr werden sich die Athletinnen und Athleten wahrscheinlich einer zermürbenden "Nachbesprechung" unterziehen müssen, so Jean H. Lee in der BBC. Damit wolle die Regierung sicherstellen, dass die Athletinnen und Athleten auf dem Teppich blieben.
Die Geräteturnerin An Chang-ok, die Tischtennisspielerin Pyon Song-gyong und die Judoka Mun Song-hui bringen sicher keine Medaillen mit nach Hause. BBC-Analysten gehen nicht davon aus, dass Athletinnen und Athleten, die ohne Medaille in die Heimat zurückkommen, bestraft werden würden.
Die gebürtige Nordkoreanerin Kang Ji-hyun schätzt das anders ein. Athletinnen und Athleten ohne sportlichen Erfolg könnten ihren Job verlieren, nennt die nach Südkorea geflüchtete Modedesignerin eine mögliche Strafe im Deutschlandfunk. Sie rechnet mit Strafen. "Die nordkoreanische Partei ist gegenüber den Verlierern nicht gerade großzügig. Nur die nordkoreanischen Athleten, die siegen, werden zu Helden gemacht", sagte sie. Vor eineinhalb Jahrzehnten war Kang Ji-hyun nach Südkorea geflohen.
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Der ehemalige britische Botschafter in Nordkorea, Everard, beschreibt in der BBC, was die Sportlerinnen und Sportler neben den Strafen wohl am meisten trifft. Sie sind für ihre Nation angetreten und gescheitert. Dabei wäre es wohl auch die verpasste Chance auf die Prämien, die für die Athletinnen und Athleten genug Strafe ist. Denn siegreiche Sportler können einen höheren Status in der Gesellschaft und sogar Preise wie ein neues Haus erhalten.
Noch können die Athletinnen und Athleten aus Nordkorea auf weitere Medaillen hoffen. Im Zehn-Meter-Turmspringen können Wasserspringerin Kim Mi-rae und Wasserspringer Im Yong-myong, die Ringerinnen Kim Son-hyang, Choe Hyo-gyong, Mun Hyon-gyong, Pak Sol-gum sowie der Ringer Ri Se-ung und auch der Marathonläufer Han Il-ryong können in den kommenden Tagen weitere Medaillen für Nordkorea gewinnen.
Quelle: ntv.de, rwe