FDP-Chef über “D-Day”-Papier: Lindner gerät bei Schlagabtausch mit Miosga in Bedrängnis
Politik
Erst der Rausschmiss aus der Ampel-Koalition, dann unangenehme Berichte über das "D-Day"-Papier und personelle Konsequenzen in der FDP. Christian Lindner hat schon bessere Tage im politischen Berlin erlebt. Auch dieser Abend bei Caren Miosga zählt nicht zu seinen Sternstunden.
Wenn der FDP-Chef fast schon um den Zuspruch und Applaus des Publikums bettelt, ist klar: Die vergangenen Wochen haben auch bei einem Politprofi wie Christian Lindner Spuren hinterlassen. Am Sonntagabend sieht sich dieser nicht nur einer angriffslustigen Caren Miosga gegenüber. Er erlebt Zuschauerinnen und Zuschauer im Studio, die die Moderatorin bei jeder kritischen Nachfrage klatschend anfeuern.
Die Sendung am Sonntagabend beginnt zunächst gediegen. Doch auch schon die erste Frage an den früheren Finanzminister hat es in sich: Herr Lindner, befinden Sie sich gerade in einer offenen Feldschlacht? "Nein, diesen Begriff würde ich auch nicht verwenden, in politischen Zusammenhängen", sagt Lindner angesichts der umstrittenen Wortwahl, in dem kürzlich öffentlich gewordenen "D-Day"-Papier seiner Partei. Er bedauere, dass damit "ein ganz falscher Eindruck entstanden ist über die Motive und die politischen Vorhaben dieser FDP".
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Diese falschen Eindrücke versucht er an diesem Abend vehement richtigzustellen, muss aber bohrende Nachfragen und Unterbrechungen von Caren Miosga hinnehmen. Etwa als es darum geht, was er damit meine, er habe das berüchtigte "D-Day"-Papier "nicht zur Kenntnis genommen". Er habe es nicht gekannt, sagt der FDP-Chef und gibt zu, dass er an sich kein Problem damit habe, dass es erstellt wurde. Das wolle er "unumwunden" und "glasklar" sagen. Die FDP habe sich, nach seinem Duktus, auf einen Herbst der Entscheidungen vorbereitet und er habe zu jeder Zeit öffentlich und intern gesagt, die Politik der Ampel sei nicht mehr gut für Deutschland, sondern die Koalition vielmehr Teil des Problems. "Für mich war klar, wir brauchen diesen Politikwechsel."
Warum müsse man dafür dieses Dokument schreiben, hakt Miosga nach. Es gehe darum, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten, entgegnet Lindner. Und: "Ich habe das nicht in Auftrag gegeben." Dann wird es hitzig. Als Lindner auf die vorbereiteten Teleprompter-Reden von Bundeskanzler Olaf Scholz am Abend des spektakulären Ampelbruchs zu sprechen kommt, wirft ihm Miosga vor, abzulenken. Lindner: Er lenke nicht ab, sondern diese Diskussion lenkt vom politischen Kern ab. Als er weiter ansetzt, unterbricht ihn Miosga. "Bitte unterbrechen Sie mich doch nicht bei jedem Satz", sagt Lindner. Die Zuschauerinnen und Zuschauer wollten einfach die Sachverhalte hören. Er erntet Applaus. Es sollte einer der wenigen Momente des Zuspruchs werden. Miosga lässt ihn gewähren und seine Gedanken ausführen.
Keine Kenntnis vom "D-Day"-Papier?
Ein politischer inhaltlicher Wechsel sei erforderlich gewesen, sagt Lindner. So wie die Ampel gearbeitet habe, "konnte ich es nicht mehr verantworten". Deswegen habe er Vorschläge innerhalb der Koalition gemacht, was verändert werden müsse. Darüber sei gesprochen worden. Und es sei ja wohl historische Realität, dass er Scholz angeboten habe, gemeinsam Neuwahlen anzustreben, wenn es zu keiner Einigung komme. Es kam anders. Scholz warf Lindner aus der Koalition und rief allein Neuwahlen aus.
Es wirke so unglaubwürdig, dass Lindner von dem "D-Day"-Papier keine Kenntnis gehabt habe, lässt Miosga nicht locker. Doch wann genau er zum ersten Mal davon erfuhr, will Lindner nicht preisgeben. Er sei durch journalistische Rechercheanfragen darauf aufmerksam gemacht worden. Und überhaupt: Er bekenne sich dazu, dass verschiedene Optionen durchdacht worden seien: entweder politischer Wechsel in der Sache, oder gemeinsam herbeigeführte Neuwahlen, oder die FDP scheidet aus der Ampel-Koalition aus. "Die FDP hätte ein Jahr Stillstands-Ampel nicht weiter verantwortet." Und weiter: "Wir haften dafür mit unser Existenz."
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Doch ist es glaubwürdig, dass der damalige FDP-Bundesgeschäftsführer bereits im Oktober ein derartiges Dokument erstellt und dann den Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Parteichef Lindner nicht informiert? Lindner suggeriert nach der Frage, Miosga wisse nicht, wie in Parteizentralen gearbeitet werde. Schließlich würden Dutzende Dokumente am Tag erstellt, die sich seiner Kenntnis entzögen.
Doch wie kann es sein, dass die Recherchen von der "Zeit" und der "Süddeutschen Zeitung" schon am 15. November Vorwürfe zu einem kalkulierten Ampel-Bruch der FDP und das Wording "D-Day" enthalten und sich die Führung der Partei nicht intern informiert, sondern vielmehr behauptet, eine solche Wortwahl habe es nicht gegeben? Lindner windet sich, erwähnt die "schmerzlichen Rücktritte" von Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann. Und überhaupt werde in Familien und Redaktionen doch auch über Dinge diskutiert…
Die Verantwortung liegt bei den Vertrauten
Er bringt den Satz nicht zu Ende. Miosga: "Das ist überhaupt nicht vergleichbar. Es geht um einen schwerwiegenden Vorwurf, nicht um eine Kleinigkeit. Es geht um den Vorwurf, dass Sie in der Öffentlichkeit staatspolitische Verantwortung proklamieren und im Hintergrund proaktiv, minutiös, generalstabsmäßig einen Ampelbruch geplant haben." Lindner holt aus. Sagt etwa: "Ich habe im ganzen Herbst niemals eine Ampel-Garantie abgegeben, sondern ganz im Gegenteil, habe ich auch öffentlich gesagt (…), es kommt zu einer anderen Politik (…), oder wir müssen den Weg frei machen für eine neue Dynamik."
Mit dem Bundesgeschäftsführer sei ein engster Vertrauter von Lindner zurückgetreten. Er trage die Verantwortung für das Strategiepapier. Sie könne sich nicht vorstellen, dass die beiden so eng zusammenarbeiten und Lindner nichts davon weiß, sagt Miosga. Applaus. Er leugne doch gar nicht, dass das Aus der Ampel durchdacht worden sei, sagt Lindner. Er habe das Papier nicht beauftragt. Und sicherlich gebe es solche Dokumente auch in den Parteizentralen der anderen Ampel-Partner.
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Als es darum geht, inwiefern Lindner nun persönlich Verantwortung trägt, verliert der Parteichef zusehends die Contenance. Er wirft Miosga vor, ihn viel kritischer zu befragen als die Gäste der vorangegangenen Sendungen, die ausgerechnet Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck waren. Das lässt Miosga nicht gelten. Lindner fährt fort: Seine engsten Vertrauten handelten nun mal eigenverantwortlich. Für das Wort "D-Day" und das Papier könne er konkret keine Verantwortung übernehmen. Doch er habe für das Land Verantwortung übernommen, indem er Neuwahlen ermöglicht habe. So kann man es natürlich sehen. Praktisch hat das Scholz in die Wege geleitet, indem er Lindner entließ, die FDP aus der Regierung schied, und er Neuwahlen ankündigte.
Doch war es ein kalkulierter Bruch, den die FDP wollte? Es habe immer die Möglichkeit gegeben, dass man sich auf Politik verständige, die Deutschland brauche, behauptet Lindner. Miosga nimmt ihm das nicht ab. Der FDP-Chef wirkt zunehmend entnervt: Wenn Wirtschaftsvertreter sagten, die Vorschläge, die er unterbreite, seien gut für die Wirtschaft und sicherten Arbeitsplätze, aber SPD und Grüne diese "Problemlösung als Provokation empfinden", was stimme dann mit dieser Regierung nicht? Die wirtschaftspolitischen Vorschläge, die Lindner noch vor dem Ampel-Aus textlich festhielt, was hinlänglich schon als "Scheidungspapier" betitelt wurde, finden durchaus Anklang bei Ökonomen (bei Lars Feld zum Beispiel). Der von ntv.de befragte Experte Tom Krebs nennt Lindners Vorschläge dagegen "eine ökonomische Farce".
"Was glauben Sie, was da bei einem selbst los ist?"
Und um die besagten wirtschaftspolitischen Vorstellungen der FDP geht es dann in der zweiten Sendungshälfte. Der geladene Ökonom und Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, skizziert, wie schwierig die derzeitige ökonomische Lage in Deutschland ist. "Ich denke, die Lage ist wirklich ernst, die deutsche Volkswirtschaft ist seit 2019 nicht mehr gewachsen." Mit dem, was jetzt durch die USA, insbesondere die Zollpolitik des baldigen Präsidenten Donald Trump, und auch die Verwerfungen im Inland (siehe oben) drohe, gehe noch mehr Zeit verloren, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Insbesondere angesichts der Sicherheitslage in Deutschland und Europa plädiert der Experte daher für mehr Investitionen in die Verteidigung. Durch die Aufnahme neuer Schulden. Das Streichen einzelner Leistungen wie beim Bürgergeld, wie es Lindner vorschwebt, reiche nicht aus.
Das sieht auch Eva Quadbeck, Chefredakteurin des Redaktionsnetzwerks Deutschland, so. Eine Reform der Schuldenbremse sei dahingehend aber nicht das alleinige Mittel. Was die FDP vorschlägt (etwa die zehn Milliarden, die für Intel vorgesehen waren, einmalig anders einzusetzen), sieht sie kritisch. Und vor allem stößt ihr bitter auf, dass Lindner beim Klimaschutz auf ein neues Ziel setzt, statt wie angestrebt 2045 klimaneutral zu werden, sondern bis 2050 zu warten (wie andere Länder in Europa auch). "Auch der Klimaschutz ist eine große Chance, Wirtschaftswachstum zu erzeugen, wenn man es denn richtig macht." Die Ampel habe es in den vergangenen drei Jahren nicht richtig gemacht, auch weil sich die Koalitionäre gegenseitig im Weg gestanden hätten.
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Die Diskussion verläuft in der restlichen Sendung weiter, ohne dass es zu einer Annäherung zwischen Lindner auf der einen und Schularick und Quadbeck auf der anderen Seite kommt. Sowieso stellt der Schlagabtausch zwischen Miosga und Lindner in der ersten Sendungshälfte die inhaltliche Debatte, wie sie der Liberale gerne gehabt hätte, ohnehin in den Schatten. So hatte die Moderatorin den FDP-Chef noch gefragt, wieso man ihm noch vertrauen sollte? Bei seiner Antwort wirkt Lindner angefasst. "Weil ich und meine Partei ihre Existenz in die Waagschale geworfen haben", um einen politischen Richtungswechsel zu erreichen. Und das nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern bei derzeit schlechten Umfragewerten (die freilich schon seit mehreren Monaten schlecht sind).
Lindner zum dann doch abrupten Ampel-Aus: "Was glauben Sie, was da bei einem selbst los ist?" Natürlich habe das Krisenmanagement der Partei da nicht funktioniert. Er ärgere sich darüber. Und dass bei den kritischen Fragen, die Miosga ihm stelle, "das Publikum applaudiert, wo ich gerade mein Staatsamt aufgegeben habe für meine Überzeugungen? Da hätte ich lieber Applaus dafür, dass da jemand für seine Überzeugungen steht." Es folgt verhaltener Applaus. Auch Kopfschütteln ist beim Einblenden der Zuschauerinnen und Zuschauer zu sehen. Er habe nicht die Absicht, zurückzutreten, sagt Lindner noch. "Jetzt gehe ich durch diesen Hagelschauer, mit faustgroßen Hagelkörnern, aber das mache ich ja deshalb, weil ich an etwas glaube und gerne wissen will, ob das bei den Bürgerinnen und Bürgern Unterstützung findet." Ob dieser Auftritt am Sonntagabend dabei für ihn zuträglich war, ist mindestens fraglich.
Quelle: ntv.de