Nachrichten in der Welt


Nachrichten der Welt

Die Linken: Katja Kipping und Dietmar Bartsch ringen um Einfluss

September 18
22:57 2020
Fraktionschef Dietmar Bartsch, Parteivorsitzende Katja Kipping Icon: vergrößern

Fraktionschef Dietmar Bartsch, Parteivorsitzende Katja Kipping

Foto: WOLFGANG RATTAY/ REUTERS

Wer wissen will, wie die Zukunft der Linken aussieht, der könnte an diesem Wochenende im thüringischen Städtchen Sömmerda Antworten finden. Dort treffen sich die Genossen zu ihrem Landesparteitag. Mit dabei ist natürlich die thüringische Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow. Angekündigt hat sich aber auch eine Frau aus Hessen: die dortige Fraktionschefin der Linken im Landtag, Janine Wissler.

In Sömmerda, daran gibt es nur noch wenig Zweifel, tritt also – zum ersten Mal gemeinsam – die künftige Spitze der Linkspartei auf.

Sechs Wochen vor dem Bundesparteitag sind Wissler und Hennig-Wellsow die einzigen Bewerber für den Vorsitz bei den Genossen. Alles deutet darauf hin, dass es keine ernst zu nehmenden Gegenkandidaturen mehr gibt.

Das heißt auch: Für eine andere Linke, die ebenfalls in Sömmerda sein wird, läuft alles nach Plan.

"Freu mich drauf", twittert Katja Kipping am Tag vor dem Treffen in Thüringen. Kein Wunder. Ein Spitzenduo mit Wissler und Hennig-Wellsow – das wäre auch Kippings favorisierte Lösung. Wie viele andere hat die scheidende Parteivorsitzende monatelang Gespräche geführt, die Lage sondiert, Chancen ausgelotet. Beim Bundesparteitag Ende Oktober stehen Vorstandswahlen an. Wer soll die Genossen in das wichtige Bundestagswahljahr führen? Kipping selbst, nach mehr als acht Jahren im Amt? Sogar Verbündete rieten ihr davon ab. Dann zumindest jemand, der die Partei in ihrem Sinne weiterführt.

Doch bei der Suche nach möglichen Nachfolgern lief nicht alles rund. Wunschkandidaten sagten ab, auch Hennig-Wellsow zögerte zwischenzeitlich. Zuletzt soll es noch einmal ein gemeinsames Treffen der drei Frauen gegeben haben. Anfang September machten es Wissler und Hennig-Wellsow schließlich öffentlich: Sie treten an. Geht für Kipping nun alles gut aus?

Kipping braucht Unterstützer

Die Nachfolgefrage ist für die amtierende Vorsitzende von großer Bedeutung. Es geht um ihr politisches Vermächtnis als Parteichefin. Es geht aber auch um ihre eigene Karriere. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kipping Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl werden will, danach Fraktionschefin oder, wer weiß, vielleicht sogar Ministerin. Doch dafür braucht sie mächtige Unterstützer.

Hennig-Wellsow gilt schon lange als Vertraute der Nochvorsitzenden. Wie Kipping plädiert sie für einen pragmatischen Kurs, will die Linke 2021 in eine rot-rot-grüne Regierung führen. Wissler zählt zwar zu den Parteilinken, dort aber zu jenem Teil, der sich besonders sozialen Bewegungen verpflichtet fühlt. Kipping hatte in der Vergangenheit mit dieser Gruppe paktiert, Wissler ist seit Jahren ihre Stellvertreterin.

Das neue Duo wäre die machtpolitische Fortsetzung der bisherigen Linkenspitze. Doch nicht nur das. Kipping und ihr Co-Vorsitzender Bernd Riexinger haben den Genossen einen neuen Kurs verordnet. Jünger und urbaner sollten sie sein, gesellschaftspolitisch liberal und in Klimafragen eine echte Alternative zu den Grünen. Die Strategie ist in der Partei umstritten. Wissler und Hennig-Wellsow sind auch ein Versprechen, dass es trotzdem bei dieser Linie bleibt.

An einem sommerlichen Septembertag sitzt Kipping in einem Café in Berlin-Mitte und lächelt. Es gehe ihr sehr gut, sagt sie. Warum auch nicht? Es ist noch nicht allzu lange her, da steckte Kipping innerparteilich in größten Schwierigkeiten. Die erbitterten Machtkämpfe mit den Traditionslinken in der Fraktion, allen voran mit Sahra Wagenknecht, hatten auch sie schwer beschädigt.

Doch während Wagenknecht entnervt und erschöpft aufgab, hielt sich Kipping im Amt. In den vergangenen Monaten war sie sogar auffallend präsent in der Öffentlichkeit, saß in Talkshows, stieß Debatten an, zuletzt zur Verkürzung der Arbeitszeit. "Sie hat die Lücke gefüllt", sagt eine Person, die im früheren Linken-Kleinkrieg fest zu Wagenknecht gehalten hatte. Solch ein Lob aus dem innerparteilichen Feindesland wäre noch vor Kurzem undenkbar gewesen.

Nun scheinen sogar große Ziele wieder in Reichweite. Sicher ist Kipping ein Spitzenposten zwar noch lange nicht. Zumal vor allem Wissler für sie nur schwer berechenbar ist. Die Parteilinke sprach in den vergangenen Monaten mit den unterschiedlichsten Kräften über ihre eigenen Chancen, mit Bartsch-Reformern, sogar mit dem umstrittenen Altstar des linken Flügels, Oskar Lafontaine.

Gerüchte, es gebe einen Deal mit ihren potenziellen Nachfolgerinnen, weisen alle drei Frauen auf Nachfrage zurück. Doch Wissler ist keine Kipping-Gegnerin. Und Hennig-Wellsow sagte kürzlich im SPIEGEL: "Katja Kipping ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten in der Partei und eine Frau, die wir nicht verlieren dürfen." Gemessen an dem, was lange möglich schien, hat sich Kipping für die Zukunft jedenfalls viele Optionen bewahrt.

Machtverhältnisse verschoben

Einer, für den ebenfalls viel von der neuen Parteispitze abhängt, ist Dietmar Bartsch. Wie Kipping versuchte auch der Fraktionschef im Rennen um den Linkenvorsitz ein Wörtchen mitzureden. Offensichtlich mit weniger Erfolg als Kipping.

Am liebsten hätte Bartsch wohl einen eigenen Weggefährten an der Führung gesehen – den Parlamentarischen Geschäftsführer Jan Korte. Der aber habe inzwischen abgewunken, heißt es aus Reformerkreisen. Korte hat offenbar wenig Lust auf den Jobwechsel. Die Kandidatur der beiden Frauen wäre für ihn ohnehin eine große Hürde. Zwar kokettieren noch immer Bartsch-Anhänger mit Kortes angeblicher Bewerbung. Doch dürfte es dabei nur noch darum gehen, sich in eine bessere Verhandlungsposition für die Besetzung der weiteren Vorstandsposten zu manövrieren.

Die Angelegenheit zeigt deutlich, wie sich die Machtverhältnisse bei den Linken verschoben haben. Die beiden einstmals großen konkurrierenden Blöcke, das linke Lager um Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und die Reformer um Bartsch, haben zwar noch in der Fraktion das Sagen. Doch die Allianz der einstigen Gegner hat zu Zerfallserscheinungen auf beiden Seiten geführt.

Beiden Gruppen fehlt nun offensichtlich die Kraft, in den Kampf um den Vorsitz ernsthaft einzugreifen.

Dabei gibt es auch echte Demütigungen. Es ist der erste Donnerstag im September, als die Chefs der mächtigen Ost-Landesverbände in einem Berliner Restaurant zusammenkommen – der Abend, bevor Wissler und Hennig-Wellsow ihre Kandidatur erklären.

Die Ost-Pragmatiker sind sich in der Vorsitzendenfrage nicht einig. Vor allem aus Berlin und Brandenburg erhält Hennig-Wellsow viel Unterstützung. Dagegen wollen sich die Bartsch-Anhänger in Sachsen und Sachsen-Anhalt noch nicht geschlagen geben. Jan Korte könne antreten, heißt es auch an diesem Abend.

Am Ende vertagen sich die Landeschefs. In der Folgewoche will man Hennig-Wellsow und Korte an einen Tisch bringen, alles noch einmal bereden, bevor jemand an die Öffentlichkeit geht. Das ist der Plan.

Am nächsten Tag aber verkündet erst Janine Wissler ihre Kandidatur, wenige Stunden später Susanne Hennig-Wellsow – entgegen der Vereinbarung vom Vorabend. Damit ist klar: Einen gemeinsamen Vorschlag des Ostens gibt es vorerst nicht. Bartschs Leute sind düpiert.

Was heißt das für Bartsch und dessen Ambitionen auf die erneute Spitzenkandidatur? Der Fraktionschef sagt: "Wir brauchen für die wichtigen Landtagswahlen und die Bundestagswahlen eine strategische und personelle Gesamtaufstellung, mit der wir erfolgreich sein können." Offensichtlich meint er damit auch sich selbst.

Tatsächlich kann sich Bartsch noch immer auf seine Prominenz und sein Renommee verlassen, gerade bei SPD und Grünen genießt er hohe Anerkennung. Obendrein ist Bartsch einer der erfahrensten Wahlkämpfer. Doch innerparteilich bröckelt sein Rückhalt seit Jahren. Um im Linken-Machtkampf der kommenden Wochen und Monate zu bestehen, müssen mit Sicherheit noch etliche Gespräche geführt werden.

Icon: Der Spiegel

Neueste Beiträge

17:15 Das ganz große Schweigen: Zarrella zeigt ehrlich Alltag als Teenager-Mama

0 comment Read Full Article