Partei zwischen Putin und Trump: Verunglückte Mail wirft Schlaglicht auf Konflikt in der AfD
Politik
Partei zwischen Putin und TrumpVerunglückte Mail wirft Schlaglicht auf Konflikt in der AfD
14.11.2025, 16:37 Uhr Von Martin Schmidt und Hubertus Volmer

AfD-Chef Chrupalla sagt über Putin, "mir hat er ja nichts getan". Seiner Co-Vorsitzenden Weidel dagegen sind die Russland-Reisen von Teilen der Partei nicht geheuer. Ihren Kremlkurs will die AfD aber nicht ändern.
Am vergangenen Donnerstag verschickt die Pressestelle der AfD eine seltsame Mail. "Stellungnahme der AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla und Alice Weidel", steht in der Betreffzeile. Normalerweise sind solche Statements viel zu lang, um vollständig zitiert zu werden. Diese ist jedoch recht übersichtlich.
"Wir werden als Bundessprecher der Alternative für Deutschland auch zukünftig gemeinsam Politik für Deutschland und seine Bürger machen. Dafür pflegen wir die guten Beziehungen zu unseren europäischen und internationalen Partnern." Ende der Durchsage.
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Wenn zwei Parteichefs derselben Partei öffentlich versichern, gemeinsam Politik zu machen, dann ist klar: Hier stimmt was nicht. Die wahre Botschaft dieser dürren Mitteilung war denn auch eine andere: Wir streiten nicht, gehen Sie bitte weiter.
Großer Verteiler war ein Versehen
Das war, was Weidel und Chrupalla eigentlich sagen wollten. Nun herrscht großes Stirnrunzeln in Partei und Fraktion, wie eine so kurze Stellungnahme an einen so großen Verteiler geschickt werden konnte. Nach Informationen von ntv.de waren die banalen Sätze für lediglich ein Medium gedacht. Das Zitat sollte die Wogen glätten. Als Stellungnahme über den großen Verteiler warf es stattdessen ein Schlaglicht auf das Verhältnis von Weidel und Chrupalla – und auf einen Konflikt, den die Partei schon als erledigt angesehen hatte. Noch am Donnerstag gab es dazu ein Gespräch zwischen den beiden Vorsitzenden.
Konkret geht es um das Verhältnis zu Russland. Der Streit schwelt schon länger, er zeichnet sich eher durch einen taktischen als einen inhaltlichen Konflikt aus. Aktueller Aufhänger war die Frage, ob AfD-Bundestagsabgeordnete nach Russland reisen sollten, darunter der Abgeordnete Rainer Rothfuß.
Weidel sprach sich klar dagegen aus. "Herr Rothfuß wird hierbleiben", sagte sie am vergangenen Mittwoch. Bereits zuvor hatte ihr Vertrauter Markus Frohnmaier erklärt, konkrete Reisepläne habe er gar nicht. Im Oktober klang das noch ganz anders: "Ich plane im Frühjahr eine Reise nach Russland", sagte er da.
Bitte keine Fotos
Frohnmaier, neu auf dem Posten des außenpolitischen Sprechers der Fraktion, hat die Aufgabe, die AfD näher an die USA und die Nato heranzurücken. Ausgerechnet Frohnmaier: In russischen Strategiepapieren aus dem Jahr 2017 wird er als (damals noch potenzieller) Bundestagsabgeordneter genannt, "den wir absolut unter Kontrolle haben".
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Nicht abgesagt wurde die Reise des AfD-Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré nach Sotschi; eigentlich wollten Kotré und Rothfuß zusammen in den Badeort am Schwarzen Meer reisen, wo derzeit ein "BRICS-Europa-Symposium" stattfindet. BRICS ist das mittlerweile erweiterte Bündnis aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. An dem Treffen in Sotschi nimmt auch der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew teil, der Europa regelmäßig in wirrem Ton mit Vernichtung droht. Bei T-Online hatte Rothfuß angekündigt, er werde auch an einer Diskussionsrunde mit Medwedew teilnehmen, das sei schon vor einem Jahr ein "lohnender Termin" gewesen. Das fällt nun aus.
Weiterhin in Sotschi vertreten sind laut "Spiegel" neben Kotré der sächsische AfD-Chef Jörg Urban und der Europaabgeordnete Hans Neuhoff. Nach ARD-Informationen hat die AfD-Fraktionsspitze Kotré zur Auflage gemacht, seine Reise nicht in den sozialen Medien zu verbreiten, keine Fotos mit russischen Politikern zu machen und russischen TV-Sendern keine Interviews zu geben.
"Mir hat Putin ja nichts getan"
Während Weidel versuchte, den Schaden zu begrenzen, der entsteht, wenn AfD-Politiker für Fotos mit Medwedew posieren, saß Chrupalla am Dienstag im ZDF und verbreitete ganz andere Botschaften. Er "sehe aktuell keine Gefahr für Deutschland durch Russland", sagte er bei Markus Lanz. Auch einen hybriden Krieg Russlands gegen Deutschland sehe er nicht. Und überhaupt, Putin: "Mir hat er ja nichts getan."
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Dieser Auftritt sorgte selbst in der AfD für Verstimmung. "Dass wir als stärkste deutsche Partei, die politische Verantwortung übernehmen will, grundsätzlich auch bereit sind, mit Russland zu sprechen, finde ich richtig", sagt der AfD-Bundestagsabgeordnete Jan Nolte ntv.de. "Das muss dann aber auf der zuständigen Ebene passieren. Diese Kommunikation muss dabei die politische Gesamtlage berücksichtigen: Russland muss eingebunden werden und wir wollen keine Eskalation." Nolte fügt hinzu, dass Russland sich "selbst gegenüber Donald Trump wenig konstruktiv" gezeigt habe und zudem "Mittel der hybriden Kriegsführung gegen Deutschland" einsetze – eine deutliche Abgrenzung zu Chrupallas Äußerungen bei Lanz.
Noch deutlicher wird Rüdiger Lucassen, Oberst a.D. und verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. "Niemand kann ernsthaft glauben, dass Vertreter der russischen Staatsführung mit Abgeordneten einer Oppositionspartei über Krieg und Frieden verhandeln." Die russische Staatsführung nutze solche Besuche für ihre Zwecke, "und die deutschen Abgeordneten nutzen es ihrerseits für ihr Marketing im engsten politischen Umfeld, also auf Kreisverbands- oder Landesebene. Die Interessen der Gesamtpartei bleiben dabei unberücksichtigt."
Mit Trump oder mit Trump und Putin?
Aber Chrupallasnaiv klingenden Sätze über Putin finden auch zahlreiche Unterstützer in der AfD. Aus Sicht des Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah gibt es "den alten Gegensatz zwischen pro-amerikanisch und Russland-Verstehern nicht mehr". Wie der aus Hessen stammende Nolte beruft sich Krah auf Trump – mit ganz anderem Ziel: "Wir sind die Partei, die als einzige klar den Trump-Kurs unterstützt und das schließt Diplomatie mit Russland ein." Über "einzelne, konkrete Reisen und Aussagen kann man immer streiten, einen grundsätzlichen Dissens gibt es nicht".
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Ähnlich äußert sich der Europaabgeordnete Petr Bystron. Die AfD sei "die stärkste Partei Deutschlands, weil sie für Frieden und wirtschaftlichen Wohlstand kämpft". Auf Kontakte zu den BRICS-Staaten könne die deutsche Exportindustrie nicht verzichten. "In welchem Land die Begegnungsstätte liegt, ist völlig zweitrangig."
"Zu große Sympathien für den Kreml schaden der AfD im Westen"
Ein Faible für Autokraten hatte die AfD immer schon, vor allem für den in Moskau. Immer wieder haben AfD-Politiker sich russischen Medien zur Verfügung gestellt, um Putin zu loben und Deutschland zu kritisieren. Vor fünf Jahren suggerierte die AfD-Fraktion in einer kleinen Anfrage, an der auch Chrupalla beteiligt war, der russische Oppositionelle Alexej Nawalny sei gar nicht von Russland mit Nowitschok vergiftet worden. Im Mai 2023 nahm Chrupalla am Tag des Sieges über Nazideutschland an einer Feier in der russischen Botschaft teil. Er trug dabei eine Krawatte in den russischen Nationalfarben.
Weidel kritisierte die Teilnahme damals – nicht wegen Chrupallas demonstrativer Russlandnähe in einer Zeit, in der das Land die Ukraine mit Krieg überzieht und den Westen bedroht. Sondern mit einer Begründung, die aus einer anderen Epoche zu kommen schien: "Hier die Niederlage des eigenen Landes zu befeiern mit einer ehemaligen Besatzungsmacht, das ist etwas, wo ich für mich persönlich entschieden habe, auch mit der Fluchtgeschichte meines Vaters, daran nicht teilzunehmen."
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Mittlerweile würde Weidel auch aus anderen Gründen lieber auf Distanz zu Russland achten. "In der Vergangenheit haben Konflikte über die Nähe zu Russland der AfD nicht geschadet", sagt der Politologe Johannes Hillje ntv.de. "Aufgrund der gewachsenen Anhängerschaft könnte es diesmal jedoch anders sein. Zuletzt ist die AfD vor allem in Westdeutschland gewachsen und hat dort in erster Linie von der CDU gewonnen. Zu große Sympathien für den Kreml schaden der AfD in Westdeutschland." Gewählt wird im kommenden Jahr nicht nur in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, sondern zunächst in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.
Es geht um Kontrolle und Professionalisierung
Zum Teil sei "der Putin-Konflikt" ein Ost-West-Konflikt in der AfD, sagt Hillje. "Es gibt einen Konsens in der AfD über die Sympathie für Autokraten, aber im Westen sucht man stärker die Verbindung zu Trump, während im Osten auch Putin als Ansprechpartner gilt." Dies seien "nicht nur taktische Differenzen, sondern auch kulturelle Unterschiede innerhalb der AfD".
Weidel dürfte es zudem um die von ihr immer wieder beschworene Professionalisierung gehen – was aus ihrer Sicht Kontrolle meint. Sie will durchsetzen, dass der Fraktionsvorstand Reisen genehmigen muss. Bisher waren dafür die fraktionsinternen Arbeitskreise zuständig. Diese Form von Kontrolle reicht Weidel nicht mehr aus.
Derweil sollen die kulturellen Unterschiede innerhalb der AfD so gut wie möglich in den Hintergrund gedrängt werden. Noch so eine verschlimmbessernde Pressemitteilung will niemand in der AfD. Aus dem Umfeld von Weidel und Chrupalla heißt es auf Nachfrage, das Gespräch zwischen den beiden am Donnerstag sei gut gelaufen. "Sie sind sich darüber einig, dass sich der grundsätzliche Kurs nicht geändert hat, dass die AfD internationale Gesprächskanäle offenhalten möchte. Eine engere Koordination von Auslandsreisen einzelner Abgeordneter wird künftig jedoch von Nöten sein."

