Washington wartet auf Showdown: Für Joe Biden wird es immer ungemütlicher
Politik

An diesem Donnerstag geht in Washington der dreitägige NATO-Gipfel zu Ende. Bidens Bilanz heute Abend wird mit Spannung erwartet – was allerdings weniger am NATO-Gipfel liegt.
Auf einen katastrophalen Mittwoch könnte für Joe Biden ein grauenvoller Donnerstag folgen. Heute Abend steht für den US-Präsidenten eine Pressekonferenz zum Abschluss des NATO-Gipfels an. US-Medien stilisieren die Veranstaltung zum Moment der Entscheidung.
Es wird zunehmend eng für Joe Biden. Panik grassiert in der Partei des US-Präsidenten bereits seit dem desaströsen TV-Duell. Aber nun bricht sie offen aus.
Der gestrige Mittwoch war der vorläufige Höhepunkt: Erst spricht die einflussreiche Demokratin Nancy Pelosi im Frühstücksfernsehen darüber, dass Biden bald eine Entscheidung treffen müsse – obwohl er diese Entscheidung längst verkündet hat. Dann fordert Hollywood-Star George Clooney einen neuen Präsidentschaftskandidaten. Und schließlich geht der erste demokratische Senator auf Distanz zu Biden.
"Ich liebe Joe Biden", steht über dem Gastbeitrag, den Clooney in der "New York Times" veröffentlichte. "Aber wir brauchen einen neuen Kandidaten." Angestoßen wurde die Debatte vom TV-Duell vor zwei Wochen, in dem der 81-jährige Biden wie ein überforderter alter Mann wirkte.

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George Clooney ist nicht irgendwer, seit 2008 hat er alle demokratischen Präsidentschaftskandidaten unterstützt und dabei viel Geld für deren Wahlkämpfe gesammelt: Barack Obama 2008 und 2012, Hillary Clinton 2016, vor vier Jahren Biden. Auch dieses Mal hat er Biden unterstützt – bislang. Sein Urteil fällt drastisch aus: Bei einer Spendengala vor drei Wochen habe Biden genauso gewirkt wie in der Fernsehdebatte gegen den Republikaner Donald Trump: müde. "Wir werden im November mit diesem Präsidenten nicht gewinnen", schreibt Clooney. Und er malt Horrorszenarien für die Demokraten an die Wand: "Nicht nur das, wir werden auch das Repräsentantenhaus nicht gewinnen, und wir werden den Senat verlieren."
"Zum Wohle des Landes"
Dieses Urteil hat auch deshalb Gewicht, weil es so offenkundig wahr ist. Clooneys Beschreibung von Biden sei "verheerend", sagte der langjährige demokratische Stratege David Axelrod bei CNN.

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Bislang haben nur zwölf Abgeordnete aus dem Repräsentantenhaus Biden aufgefordert, auf die Präsidentschaftskandidatur zu verzichten, außerdem ein Senator: Peter Welch aus Vermont. In einem Beitrag für die "Washington Post", der ebenfalls am Mittwoch erschien, fordert Welch Biden auf, sich "zum Wohle des Landes" zurückzuziehen. Welch verweist auf Umfragedaten aus einer Reihe von Bundesstaaten, "die klarmachen, dass das politische Risiko für die Demokraten rasant ansteigt".

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Insgesamt haben die Demokraten 48 Senatoren und 213 Abgeordnete, man könnte Welch und die anderen also als Minderheit abtun. Wahrscheinlicher ist, dass sie für eine noch schweigende Mehrheit sprechen. Clooney jedenfalls schreibt, "jeder Senator und jedes Kongressmitglied und jeder Gouverneur, mit denen ich vertraulich gesprochen habe", teile seine Position. Und zwar "jeder einzelne, egal, was er oder sie öffentlich sagt".
Selbst die 84-jährige Nancy Pelosi, bis vor anderthalb Jahren Sprecherin des Repräsentantenhauses und noch immer einflussreiches Mitglied dieser Kammer, findet die Vorstellung von einem Biden-Rückzug nicht mehr absurd. Es liege am Präsidenten, zu entscheiden, ob er kandidiere, sagte sie im Frühstücksfernsehen des Senders MSNBC – in einer Sendung, von der man weiß, dass Biden sie regelmäßig guckt. "Wir alle ermutigen ihn, diese Entscheidung zu fällen, denn die Zeit wird langsam knapp."

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Das wird sie in der Tat: Im August findet der Nominierungsparteitag der Demokraten statt. Eigentlich eine reine Formsache, denn die Vorwahlen sind längst vorbei, Biden hat sie klar gewonnen. Zugleich ist der Parteitag die letzte Möglichkeit, den Kandidaten auf der Basis von halbwegs etablierten Regeln auszutauschen.
"Lasst uns abwarten", sagt Pelosi
Auf den Hinweis, dass Biden die von ihr geforderte Entscheidung längst verkündet habe, sagte Pelosi: "Ich will, dass er macht, wofür auch immer er sich entscheidet." Sie lobte Biden zudem geradezu überschwänglich für seine Arbeit auf dem NATO-Gipfel in Washington. Dann sagte sie etwas, das klang, als stehe eine Entscheidung kurz bevor: "Ich habe allen gesagt: Lasst uns abwarten, was auch immer ihr gerade denkt, oder erzählt es jemandem im Vertrauen. Aber ihr müsst das nicht auf den Tisch legen, bis wir sehen, wie es diese Woche weitergeht."
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Bis wir sehen, wie es diese Woche weitergeht? Der NATO-Gipfel, von dem Pelosi sprach, geht heute zu Ende. Am frühen Abend Ortszeit, gegen Mitternacht deutscher Zeit, gibt Biden in Washington eine Pressekonferenz. Wollte Pelosi andeuten, dass Biden dort eine spektakuläre Ankündigung macht? Wollte sie ihn dazu drängen? So oder so, die Pressekonferenz dürfte spannend werden – schon allein, weil mittlerweile bei jedem Biden-Auftritt die Frage im Raum steht, wie er sich schlägt. Hat er Aussetzer? Wirkt er müde, wirkt er fit? Ist er körperlich und mental in der Lage, die Vereinigten Staaten weitere vier Jahre lang zu führen?
Pelosi sei "die einzige Person, die das Gewicht und die Eier hat", mit Biden Klartext zu reden, zitiert die "Washington Post" eine Quelle bei den Demokraten. Aber spricht sie Klartext mit ihm? Und hört er dann auf sie? Der Sender CNN bilanziert bereits, der Mittwoch habe das politische Fundament für Bidens Wiederwahl zerbrochen. Die Pressekonferenz heute Abend sei entscheidend, auch andere US-Medien stellen sie als potenziellen Wendepunkt dar. Es herrscht Showdown-Atmosphäre in Washington. Kaum vorstellbar, wie Biden diese Stimmung noch drehen kann.
Quelle: ntv.de