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US-Wahl 2020: Wahlparteitage finden wegen Corona nur noch virtuell statt

August 16
19:46 2020
Im Ballonmeer: Finale des Republikaner-Parteitags 2016 Icon: vergrößern

Im Ballonmeer: Finale des Republikaner-Parteitags 2016

Foto: JIM YOUNG/ REUTERS

Als Melissa Sklarz erfuhr, dass sie als offizielle Delegierte am Wahlparteitag der US-Demokraten teilnehmen würde, war die Freude groß. Für die Ortsvorsitzende aus dem New Yorker Stadtteil Queens sollte es der fünfte Parteitag sein. "Wo sonst kann man so viele politische Freunde treffen und neue kennenlernen?", sagt sie. "Wir schreiben Geschichte und haben Spaß dabei."

Am selben Tag fand Sklarz heraus, dass der Parteitag wegen der Coronakrise nur noch virtuell stattfinden wird.

"Statt in einer Arena zu feiern, werde ich jetzt in Shorts im Schlafzimmer sitzen, auf meinen Laptop starren und mir zwischendurch in der Küche was zum Snacken holen", seufzt sie. Ihre einzige Gesellschaft dabei: ihre Hauskatze namens Puss.

Wie Sklarz ergeht es auch den anderen 3978 demokratischen Parteitagsdelegierten. Da die Pandemie das menschliche Zusammensein in den USA auf absehbare Zeit erschwert, steigt die viertägige Feier, die ab dem 17. August eigentlich in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin geplant war, jetzt nur noch als geschrumpftes Web-Event und TV-Show. Joe Biden, der Kandidat, wird vom sicheren Delaware aus auftreten, wo er lebt.

Ähnlich halten es die Republikaner. Deren Parteitag Ende des Monats in Florida ist nach langem Hin und Her ebenfalls abgesagt, es soll nun nur ein paar Termine in Charlotte, North Carolina geben, dem ursprünglichen Tagungsort. Präsident Donald Trump überlegt, seine Rede am Weißen Haus zu halten.

Es ist das erste Mal überhaupt, dass die turbulent-festlichen Wahlparteitage, eine US-Tradition seit 1831, weitgehend ausfallen. Was die Frage aufwirft: Sind solche Spektakel überhaupt noch zeitgemäß in unserer digitalen Welt?

"Die Parteitage waren mal notwendig", schreibt der frühere Korrespondent und Parteitagsveteran David Shribman im "Boston Globe". "Jetzt sind sie nur noch überflüssig."

Die "conventions" gelten als Startschuss und Höhepunkt der Wahlkampfsaison zugleich. Zehntausende Parteivasallen, Politberater, Journalisten, Spender, Sponsoren und Helfer treffen sich für vier schlaflose Tage und Nächte. Die Delegierten netzwerken und intrigieren, ab und zu werden neue Stars geboren. Es gibt Alkohol, alberne Hüte, kitschige Souvenir-Humpen, bunte Anstecker und zum Schluss den traditionellen "balloon drop", einen Regen aus blau-weiß-roten Luftballons.

150 Millionen Dollar für eine Party

"Du fängst in Stöckelschuhen an und hörst in Flipflops auf", sagte Kamala Harris, die Vizekandidatin Bidens, der "New York Times". "Die Leute singen und tanzen und weinen, die ganzen Emotionen, wenn man sich um sein Land sorgt und dafür kämpfen will, dass es besser wird."

Doch was ist sonst noch der Zweck dieser sündhaft teuren Partys? Vor vier Jahren verfeuerten die Parteien 150 Millionen Dollar – wofür? Gut, damals sahen 32 Millionen TV-Zuschauer Trumps Krönungsrede und 30 Millionen die Rede von Hillary Clinton. Doch meist sind diese Ansprachen schnell vergessen, abgesehen von wenigen Schnipseln – etwa der Satz von Bill Clinton 1996 über seinen Geburtsort Hope in Arkansas: "Ich glaube noch immer an einen Ort namens Hoffnung."

Die einst heftigen Debatten ums Parteiprogramm wurden zuletzt schon lange vorher abgehakt. Das Votum über die Kandidaten steht ebenfalls fest, der viel beschworene Parteitagskampf zwischen rivalisierenden Flügeln und Kandidaten ist längst ein Medienmythos. Auch der erhoffte "convention bounce", ein anschließender Umfrageboom, ist meist nur noch kurzlebig.

Was bleiben, sind Anekdoten, Bilder, Szenen. Etwa vom August 1968, zum Höhepunkt der US-Bürgerrechtsbewegung, als der Demokraten-Parteitag in Chicago, dem die Attentate auf Martin Luther King und Robert Kennedy vorausgegangen waren, von schweren Unruhen erschüttert wurde.

2004 hielten die Republikaner ihr Wahlkonvent für George W. Bush in New York ab – kurz vor dem dritten Jahrestag der 9/11-Anschläge. Sie instrumentalisierten das Gedenken schamlos, mit Reden von Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani und dessen Polizeichef Bernard Kerik. Abertausende Demonstranten protestierten vor dem Madison Square Garden, fast 2000 wurden verhaftet und teils verfassungswidrig eingesperrt.

Der Demokraten-Parteitag 2004 in Boston war dagegen brav. Kandidat John Kerry, ein Vietnamveteran, salutierte: "Ich heiße John Kerry, und ich melde mich zum Dienst!" Fast mehr Aufsehen erregte jedoch ein junger, schwarzer Senator aus Illinois mit seiner brillanten Jungfernrede: Barack Obama. Es war der Beginn seiner eigenen Präsidentschaftsambitionen.

Diese Ambitionen ballten sich 2008 in Denver, als Obama sich in einem Open-Air-Stadion von 84.000 jubelnden Anhängern feiern ließ – als erster schwarzer US-Präsidentschaftskandidat. Er bekam allerdings "nur" 72 Prozent der Stimmen – 23 Prozent gingen an seine Vorwahl-Rivalin Hillary Clinton, die ihre Delegierten erst im letzten Moment freigegeben hatte.

Der Republikaner-Parteitag 2008 in St. Paul, auf dem John McCain nominiert wurde, zeichnete sich vor allem durch die überraschende Präsentation einer Vizekandidatin aus, von der zuvor kaum jemand etwas gehört hatte: Sarah Palin. Die Gouverneurin von Alaska legte eine fulminante Rede hin, in der sie den Unterschied zwischen einer "Hockey-Mom" und einem Pitbull erklärte: "Lippenstift." Ihr triumphaler Moment wurde jedoch bald von privaten Skandalen und desaströsen TV-Auftritten überstrahlt.

Der Demokraten-Parteitag 2016 in Philadelphia stand ganz im Zeichen des E-Mail-Hacking-Skandals der Partei, der die Nominierung von Clinton als erster weiblichen Kandidatin überschattete. Die lautesten Schlagzeilen machte dabei Trump im fernen Florida, als er Russland öffentlich aufforderte, weitere "verschwundene" E-Mails Clintons zu "finden" – was russische Hacker der US-Justiz zufolge dann tatsächlich am selben Tag versuchten.

Trumps eigener Parteitag 2016 war von Chaos geprägt. Trotz eines dramatisch inszenierten Auftritts war seine Kandidatur umstritten. Parteigrößen wie Bush, McCain und Mitt Romney, der Kandidat von 2012, boykottierten das Treffen in Cleveland, Senator Ted Cruz verweigerte Trump die Stimme. Trumps Frau Melania Trump kupferte ihren Vortrag teils von Michelle Obamas Parteitagsauftritt 2008 ab, und Trumps Rede war eine düstere, apokalyptische Melange aus Parolen, Lügen und Beschimpfungen.

Mit anderen Worten: ein Vorgeschmack auf Trumps Präsidentschaft.

Korrespondent Marc Pitzke hat bisher über zehn US-Wahlparteitage berichtet, je fünf demokratische und republikanische.

Icon: Der Spiegel

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