Unwürdiges Koalitions-Aus: Auch im Abgang ist die Ampel blanker Horror
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Selbst der letzte Tag der Koalition ist ein Beweis politischer Unlust und Realitätsverweigerung. Vor allem das Scharmützel zwischen Scholz und Lindner ließ das Blut in den Adern gefrieren. Das klang nach tiefem Misstrauen bis hin zur Verachtung.
Als sich SPD, Grüne und FDP vor drei Jahren über ihr Zusammengehen einig waren, erinnerte Robert Habeck, um das Risiko des Scheiterns zu verdeutlichen, an seine Warnung vor der Bildung der schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition 2017 in Schleswig-Holstein. "Kann sein, dass wir jetzt eine Entscheidung treffen, die uns in den Abgrund führen wird", zitierte er sich selbst. Auch wenn er damals die Grünen meinte, steht die Aussage für das, was die Ampel tatsächlich geworden ist: ein Bündnis, das sich in weiten Teilen der Bevölkerung den Ruf erworben hat, Deutschland in den Abgrund geführt zu haben.
Ob es wirklich so schlimm ist, sei dahingestellt. In jedem Fall sind die drei Parteien mit ihrem Versuch, "mehr Fortschritt zu wagen", kläglich gescheitert. "Wenn wir es schaffen, gemeinsam die Dinge voranzutreiben, kann das ein ermutigendes Signal in die Gesellschaft hinein sein: dass Zusammenhalt und Fortschritt auch bei unterschiedlichen Sichtweisen gelingen können", heißt es in der Präambel des Koalitionsvertrages. Misst man die Ampel allein an diesem Vorhaben, hat sie versagt. Sie trug sowohl zur Spaltung als auch zur resignativen Stimmung im Land bei.
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Das Versprechen, politische und ideologische Differenzen zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger zu überwinden, erwies sich als hohl. Das bitterböse Ende der Koalition am Mittwochabend legte das ganze Ausmaß der Selbstüberschätzung und des Selbstbetrugs der Regierungspartner offen. Gipfel der Tragödie waren die Statements von Olaf Scholz und Christian Lindner. Wie sich der Kanzler und sein soeben geschasster Finanzminister gegenseitig für das Ableben der längst mausetoten Koalition verantwortlich machten, wie sie sich beschuldigten, den Garaus des Bündnisses längst geplant zu haben, ließ einen das Blut in den Adern gefrieren. Das klang nach tiefem Misstrauen bis hin zur Verachtung.
Realitätsverweigerung bei der SPD
Auch und selbst im Abgang präsentierte sich die Ampel als blanker Horror. Allein das Timing ist ein Skandal. Die Koalitionäre stritten drei Jahre lang ununterbrochen. Den Showdown aber hoben sie sich ausgerechnet für den Tag auf, an dem Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt worden ist, um zugleich zu betonen, wie ach so wichtig Zusammenhalt sei. Gerade jetzt erwartet die Bevölkerung das, was ihr Scholz im Wahlkampf 2020 versprochen und nie geliefert hat: Führung. "Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, ich hätte Ihnen diese schwierige Entscheidung gern erspart", verkündete Scholz, als wolle er zeigen, dass er wirklich keine Ahnung von der Stimmung im Land hat, in dem die Mehrheit eine Neuwahl befürwortet.
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So geriet der letzte Tag der Ampel auch zu einem Beweis der Realitätsverweigerung, wie sie vor allem in der SPD grassiert: Eigentlich machen wir alles prima, nur merkt es niemand. "Wir brauchen eine handlungsfähige Regierung, die die Kraft hat, die nötigen Entscheidungen für unser Land zu treffen. Darum ging es mir in den vergangenen drei Jahren. Darum geht es mir jetzt", sagte Scholz in seiner Ansprache zum Koalitionsbruch, in der er sich ausnahmsweise einmal deutlich äußerte und Entschlossenheit demonstrierte.
Schwer zu ertragende Scheinheiligkeit
Klare An- und Aussagen hätte man sich viel früher von Scholz gewünscht – zum Beispiel im Untersuchungsausschau zum Cum-Ex-Skandal. Dort konnte sich der Sozialdemokrat an nichts erinnern, was zur Aufklärung des milliardenschweren Raubzugs von Banken und ihren Helfern beigetragen hätte. Lindners angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten wiederum hat Scholz nur zu gut und offenbar haarklein im Kopf abgespeichert: "Zu oft wurden die nötigen Kompromisse übertönt durch öffentlich inszenierten Streit und laute ideologische Forderungen. Zu oft hat Bundesminister Lindner Gesetze sachfremd blockiert. Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen."
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Die Scheinheiligkeit war schwer zu ertragen, die Quintessenz der Ausführungen die: 'Ich mache alles prima, rette Deutschland vor dem Chaos und dem Absturz der Wirtschaft – und Schuld an der ganzen Misere hat nur Lindner.' Noch gruseliger ist allerdings die Unverfrorenheit des Kanzlers, der sich erst am 15. Januar einem Vertrauensvotum im Bundestag stellen will, um den Weg zu einer Neuwahl zu ebnen. Vorher will er mit einer Minderheitsregierung mit den Grünen und der Hilfe der Union Gesetze durch das Parlament bringen, um "bezahlbare Energiekosten" und andere Maßnahmen zur Stärkung der Industrie, insbesondere der Autohersteller samt Zulieferer, sowie weitere Milliarden für die Ukraine durchzusetzen.
Das ist alles gut und sinnvoll, aber auch banale parteipolitische Taktik. Die Vorschläge des Noch-Kanzlers sind nur über Milliardenkredite zu finanzieren. Friedrich Merz, sein christdemokratischer Herausforderer bei der kommenden Wahl, tritt ja bekanntlich wie Lindner auf die Schuldenbremse. Springt der CDU-Chef über das Stöckchen, kann Scholz im Wahlkampf den Retter der Nation geben. Verweigert sich Merz, wird der Sozialdemokrat der Union die Verantwortung für die Misere zuweisen. Auch das ist typisch für den Regierungschef und seine Vertrauten: Sie halten sich für wahnsinnig clever, sind jedoch leicht zu durchschauen.
Alle drei verantworten Scherbenhaufen
"Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen", sagte Lindner. Ihn muss man fragen, warum er drei Jahre und den Wahlsieg Trumps brauchte, das zu erkennen. Oder er wusste es schon lange, hat es aber nicht öffentlich gesagt. "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren", lautet der oft zitierte Satz Lindners aus dem Jahr 2017, als er mit der FDP die Sondierungen zu einer Jamaika-Koalition im Bund verließ. Der bisherige Bundesfinanzminister wird sich kaum bescheinigen, "falsch" regiert zu haben. Definitiv richtig aber ist: Es ist besser, nicht zu regieren, als das Ampel-Drama weiter aufzuführen, das dem Land und der Demokratie schadet.
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SPD, Grüne und FDP tragen gemeinsam Verantwortung für den Scherbenhaufen, den sie hinterlassen. Die nächste Koalition steht vor Herausforderungen, wie sie es noch nie seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab. Die Welt ist mitten in einem Epochenbruch, die wirtschaftliche und soziale Eruption hat gerade erst begonnen. Dann hoffen wir, dass die kommende Regierung ihre Versprechen erfüllt und ein Kanzler Friedrich Merz es besser macht. Sonst ist der Weg für einen deutschen Trump endgültig frei.
Quelle: ntv.de