Synchronisation und freier Wille: Wie das Gehirn beim Paartanz anspringt
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Auch bei der RTL-Show "Let's Dance" spielt das Visuelle eine wichtige Rolle – für die Tänzer und die Zuschauer.
Paartanz ist viel mehr als gemeinsame Bewegung. Das bestätigt auch ein Forschungsteam, das bei einer Untersuchung tief ins Gehirn von Tänzerinnen und Tänzern geschaut hat – manche davon tanzten mit verbundenen Augen.
Zwei Menschen bewegen sich auf der Tanzfläche: Sie wiegen sich geschmeidig im Takt, ein Arm liegt auf einer Schulter des Gegenübers, dann löst sich die Verbindung, es folgt eine schnelle Drehung. Was passiert bei einer solchen Sequenz im Gehirn der Tanzenden? Neurowissenschaftler des Istituto Italiano di Tecnologia in Rom haben Gehirnaktivitäten und Bewegungen von Tanzenden gemessen und stellen die dabei ablaufenden Prozesse im "Journal of Neuroscience" vor.
In dem Experiment verband das Team um Félix Bigand und Giacomo Novembre 80 Tänzerinnen und Tänzern teilweise die Augen, um die Rolle der visuellen Wahrnehmung zu messen. Außerdem ließen sie die Studienteilnehmer nicht nur zu Musik, sondern auch ohne Musik tanzen. Konkret ging es um Paartänze, bei denen einer der Beteiligten führt und die andere Person folgt.

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Visuelles wichtiger fürs Gehirn als Musik
Die Forschenden fanden heraus, dass das Visuelle eine besonders wichtige Rolle spielte. Sobald die Tanzenden sich sehen konnten, orientierten sie sich sogar stärker an den beobachteten Bewegungen als etwa an der Musik.
"Wir haben eine neue Methode angewendet, um Gehirnaktivität bei Menschen zu beobachten, während sie tanzen", erklärt Co-Autor Novembre. Es sei gelungen, die Signale im Gehirn aufzuschlüsseln, die zwar miteinander verflochten, aber dennoch zu unterscheiden seien. "Das scheint technisch, aber es ist tatsächlich ein wichtiger Fortschritt, der die generelle Erforschung des freien Willens aus einer neurowissenschaftlichen Perspektive voranbringen wird."

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Das Gehirn mag "Bouncen"
Was die Forscher und Forscherinnen überraschte: Das Gehirn sprang besonders auf sogenanntes Bouncen an – also leichte Beugebewegungen der Knie im Takt. "Obwohl es sich um eine der kleinsten und subtilsten Bewegungen handelt, scheint Bouncen die Aufmerksamkeit effektiver zu fesseln als andere Bewegungen", sagt Novembre. Bouncen fördere die zwischenmenschliche Synchronität daher besonders stark.
Der Forscher betont, man habe bei den untersuchten Paartänzen ein neuronales Signal entdeckt, das widerspiegele, wie gut die Bewegung einer tanzenden Person mit jenen ihres Partners oder ihrer Partnerin synchronisiert sei.

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"Entscheidend ist, dass dieses Signal nicht durch die Bewegungen eines der beiden Tänzer allein erklärt werden kann, sondern vielmehr aus ihrer Interaktion – insbesondere aus ihrer Synchronität – hervorgeht", erklärt er. "Dies deutet darauf hin, dass es echte zwischenmenschliche neuronale Prozesse während des gemeinsamen Tanzes gibt, die mehr sind als die Summe der individuellen Beiträge."
Die italienischen Forscher sind nicht die ersten, die sich damit auseinandergesetzt haben, was beim Tanzen im Körper passiert und welche Auswirkungen es hat. So fand etwa ein Team in einer 2015 in den "Biology Letters" der britischen Royal Society veröffentlichten Studie heraus, dass synchrone Bewegungen, wie sie etwa beim Tanzen in Gruppen ausgeführt werden, bei Tänzern die Schwelle für Schmerzen erhöhen und soziale Bindungen verstärken. Das soll demnach daran liegen, dass dabei Endorphine ausgeschüttet werden.
Quelle: ntv.de, Larissa Schwedes, dpa