Spritspar-Sensation der 1990er: Fahrt im Golf Ecomatic – als VW seiner Zeit noch voraus war
Auto
Der Volkswagen Golf ist dieses Jahr 50 Jahre alt geworden und der Golf III Ecomatic etwas mehr als 30 – quasi ein Doppeljubiläum. Doch was ist überhaupt ein Golf Ecomatic? ntv.de ist der Sache auf den Grund gegangen.
Ecomatic steht auf dem Heckdeckel dieses eigentlich eher langweiligen Golf der dritten Generation. Ja, der Golf III hat es generell nicht leicht, ist eher ungeliebt und gammelt oft vor sich hin in Ermangelung guter Rostvorsorge. Er ist außerdem gerade in einer Zwischenphase: Als "Verbrauchtauto" (also abgerocktes Fahrzeug mit Rest-TÜV) ist er schon fast zu unbeliebt, als Klassiker wird er noch lange nicht ernst genommen. Der Bestand schmilzt jedenfalls dahin.
Auto 27.07.24 Weniger Sprit, weniger Abgase Wie funktioniert das Start-Stopp-System?
Doch das hier ausprobierte Exemplar ist von ganz anderem Kaliber. Ein Klassiker für Technik-Nerds, könnte man sagen, die obendrein auch noch auf seltene automobile Außenseiter stehen. Häufig hat sich der Ecomatic seinerzeit nicht verkauft für knapp unter 30.000 D-Mark. Kein Wunder, zu Neuwagen-Zeiten war dieser Öko-Golf so sexy wie damals Birkenstock-Latschen (wobei sich das zwischenzeitlich geändert hat).
Mit den müden 64 PS aus dem 1,9 Liter großen Vierzylinder-Saugdiesel waren offenbar nur wenige Menschen zu begeistern (Beschleunigung auf 100 km/h in Richtung 18 Sekunden). Die Rede ist von etwa 2000 Exemplaren. Schließlich war das Technikbündel auch wirtschaftlich fragwürdig. Wie lange sollte es im Zeitalter billigen Sprits dauern, bis man 2300 D-Mark Aufpreis wieder hereinfahren würde?
Manche technische Errungenschaften brauchen womöglich länger, um angenommen zu werden – heute ist das Start-Stopp-System ziemlich üblich. Und um nichts anderes handelt es sich bei den technischen Zutaten des Ecomatic schließlich im Kern. Hinzu kam noch ein automatisiertes Schaltgetriebe, um während der Fahrt automatisch auskuppeln zu können. Schwungnutzautomatik war das Zauberwort.
Start-Stopp und Segelfunktion waren vor 30 Jahren aufwendig
So einfach wie heute war das alles nicht zu realisieren, denn Anfang der Neunziger waren die Prozessorleistungen von Mikrocomputern viel schwächer und womöglich war auch die Aktuatorik noch nicht so ausgefeilt. Und davon braucht der Golf Ecomatic eben jede Menge für Start-Stopp und sein Getriebe.
Doch genug der Theorie, ich steige mal wieder in einen Golf III, lange ist's her. Der schlicht gehaltene Innenraum verdeutlicht, wie viel Entwicklung in den letzten drei Jahrzehnten doch stattgefunden hat. Bedienung, Infotainment und so weiter. Aber das ist ein anderes Thema. Viel interessanter ist jetzt, dass der Ecomatic kein Kupplungspedal hat, aber dennoch einen konventionellen Schalthebel mit dem eingravierten Schaltschema eines Fünfganggetriebes. Na gut, scheint kein Hexenwerk zu sein. Beim Start des Saugdiesels fällt mir dann auf, wie kultiviert heute Selbstzünder laufen, die ich eigentlich nicht für kultiviert halte. Gerappel und Vibrationen waren früher wohl üblich beim Diesel, schon wieder vergessen. Und vor allem in der Kompaktklasse.
Jetzt aber – erster Gang eingeschoben und Gas gegeben. Das mit dem pneumatischen Einkuppeln klappt ja recht harmonisch, muss man sagen. Und da rollt der Golf. Ich schalte die Gänge einfach durch und von extremem Leistungsmangel nehme ich wenig Notiz. Erstens wiegt der 4,02 Meter lange Wolfsburger bloß 1,2 Tonnen, zweitens ist er laut, was mehr Dynamik suggeriert und drittens bin ich ja auf gemächliche Fortbewegung eingestellt.
Aber richtig cool finde ich erst, als das System im Schubbetrieb den Motor ausschaltet. Verrückt. Einfach während der Fahrt. Denn man muss bedenken: Simple Start-Stopp-Systeme gab es schon in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Aber die Segelfunktion kam erst in den letzten Jahren (fast 40 Jahre später!) vermehrt auf mit der Elektrifizierung der Antriebsstränge. Und der technische Aufwand ist nicht zu unterschätzen, es braucht schließlich elektrische Pumpen, um verschiedene Funktionen in den Motorpausen zu ersetzen, die der Verbrenner in der Regel übernimmt. Darunter eine elektrische Hydraulik- sowie Unterdruckpumpe, um die Versorgung von Bremskraftverstärker und Servolenkung sicherzustellen.
Hektik verwirrt das System
Das von Volkswagen zur Verfügung gestellte Testexemplar ist quasi wie neu, hat nicht einmal 100.000 Kilometer auf dem Tacho. Und der Ecomatic funktioniert gut im Alltag, wobei man merkt, dass die Technik damals noch ein bisschen grobschnitzig war.
Zwar springt der Diesel auf Gaspedalbefehl in der Regel schnell wieder an, nachdem er eine Ruhepause eingelegt hat. Aber man muss auch behutsam fahren, denn hektische Manöver können das System überfordern. Dann springt der Motor nämlich nicht mehr an und ein Neustart per Schlüssel wird erforderlich. Und das letzte Quäntchen Intelligenz fehlt Ende 1993 natürlich auch, daher kann man den Segelbetrieb mittels Knopf im rechten Lenksäulenhebel einfach abschalten, auf Bergabfahrten beispielsweise, wo Motorbremsleistung gefragt ist.
Mehr zum Thema Wolfsburger Evergreen 2.0 Erneuerter VW Golf im Fahrbericht – wie immer, nur besser Die Autowelt hielt den Atem an Ganz besonderes Auto – VW Golf fährt seit 50 Jahren Bilderserie Volkswagen feiert den Bestseller VW Golf – das beliebteste Auto der Deutschen wird 50
Dennoch war Volkswagen mit dem Ecomatic seiner Zeit voraus. Andererseits war die Zeit damals offenbar noch nicht reif für solch eine aufwändige Technik. Interessant zu wissen wäre, wie groß das Sparpotenzial wirklich ist – dazu müsste man allerdings aufwendige Vergleiche mit einer konventionellen Golf-III-Dieselversion fahren. Gefräßig ist der olle Golf D sowieso nicht, irgendwo zwischen 4,5 und 5 Liter je 100 Kilometer waren damals nicht unrealistisch. Von wegen alte Spritschleuder und so.
Dafür sind die Autos heute viel schwerer. Und es möchte ja niemand mehr das mittlerweile erreichte Sicherheitslevel missen und die vielen Komfortfunktionen moderner Autos ebenfalls nicht. Der Golf III Ecomatic wäre jedenfalls ein cooler Klassiker – für Nerds eben, die auf einen GTI pfeifen. Den hat schließlich jeder. Aber erst mal einen finden. In den einschlägigen Internetbörsen war in der letzten Zeit jedenfalls keiner gelistet. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Quelle: ntv.de