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Myon-g-2 Experiment: Neue Erkenntnisse in der Teilchenphysik

April 07
18:36 2021
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Speicherring des Myon-g–2-Experiments am Fermilab

Foto: Reidar Hahn / Fermilab

Seit 20 Jahren hat Dominik Stöckinger diesem Moment entgegengefiebert. Am heutigen Mittwoch ist es endlich so weit: Die Kollaboration des sogenannten Myon-g–2-Experiments, an dem Stöckinger beteiligt ist, gibt ihre Messergebnisse der Öffentlichkeit bekannt. Für Teilchenphysiker ist dies ein historischer Augenblick. Denn sie erhoffen sich einen allerersten, wenngleich noch schemenhaften Blick ins Reich einer neuen Physik.

Als Theoretiker war Stöckinger von Anfang an dabei, als die Planung eines neuen Experiments am Fermilab nahe Chicago begann. Das Ziel waren Präzisionsmessungen an einem Elementarteilchen namens Myon. Die Physiker interessieren sich für dieses Teilchen, weil es als besonders sensibel für Phänomene jenseits der bekannten Naturgesetze gilt.

Vor rund 50 Jahren wurden die heute als gültig betrachteten Naturgesetze im sogenannten Standardmodell zusammengefasst. Es beschreibt die Wechselwirkungen aller bekannten Teilchen, und es wurde seither immer wieder und zum Teil mit geradezu beeindruckender Präzision bestätigt.

Der Fluch der Teilchenphysik

Inzwischen ist der Triumph zum Fluch geworden: Mit immer größerem Aufwand versuchen die Teilchenphysiker, an die Grenzen des Standardmodells vorzustoßen. Mit immer mehr Wucht lassen sie Teilchen aufeinanderkrachen, um nach dem Crash nach Splittern zu suchen, die ihnen unbekannt sind. Doch bisher ohne jeden Erfolg. Statt den Forschern neue Physik zu bescheren, bestätigte selbst der riesige Teilchenbeschleuniger LHC am CERN nur die alte.

Nun könnten die so lange ersehnten ersten Anzeichen einer neuen Physik aus einer anderen Teilchenfabrik kommen: dem amerikanischen Fermilab. Die Forscher dort nutzen eine besonders raffinierte Methode, um die Physik jenseits des Standardmodells auszuloten: Sie entsenden Myonen als Messfühler ins Unbekannte.

Myonen sind in ihren Eigenschaften mit den Elektronen verwandt, nur dass sie rund 200-mal schwerer sind. Das macht sie besonders geeignet als Kundschafter der Terra incognita.

Flimmern und Flirren im Nichts

Die Forscher machen sich bei ihrem Experiment zunutze, dass selbst die exotischsten Teilchen erstaunlich allgegenwärtig sind. Überall, sogar im völlig leeren Raum, entstehen sie unentwegt, nur um innerhalb winziger Sekundenbruchteile wieder zu verschwinden. »Vakuumfluktuationen« wird dieses unermüdliche Hintergrundflirren genannt.

Normalerweise ist das fortgesetzte Entstehen und Vergehen von Teilchen im Raum zu flüchtig, als dass es sich selbst mit noch so empfindlichen Geräten nachweisen ließe. Die Myonen jedoch spüren das ständige Rütteln und Schütteln der im Raum fluktuierenden Teilchen.

Im Myon-g-2-Experiment werden Myonen in einen Speicherring eingespeist und dort einem extrem homogenen Magnetfeld ausgesetzt. Bei ausreichend genauer Messung lässt sich an den Kreiselbewegungen der Myonen in diesem Magnetfeld ablesen, wie stark die Vakuumfluktuationen an ihnen rütteln.

Das Erbe von Brookhaven

Alle Arten von Teilchen nehmen dabei Einfluss auf die Myonen, die den Physikern bekannten ebenso wie die unbekannten. Alle Effekte durch bekannte Teilchen aber lassen sich sehr präzise errechnen. Wenn nun die Messwerte vom errechneten Wert abweichen, muss die Differenz auf die Wirkung unbekannter Teilchen zurückzuführen sein.

Die Hoffnung der Physiker, bei der heute veröffentlichten Messung eine solche Abweichung zu finden, ist groß. Denn vor 20 Jahren wurde das Myonen-Experiment schon einmal durchgeführt, damals am Beschleuniger in Brookhaven (US-Bundesstaat New York). Dabei wiesen die Forscher tatsächlich eine deutliche Abweichung vom errechneten Wert nach –, nur dass das Ergebnis nicht eindeutig genug war, um den hohen Ansprüchen der Physiker zu genügen. Gemeinhin gilt, dass eine Entdeckung erst dann als solche anerkannt wird, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sie bloßes Produkt eines Zufalls ist, unter 1 : 100.000 liegt.

Das Fermilab-Experiment misst präziser als der Vorgänger in Brookhaven. »Der Speicherring ist umgezogen«, erzählt Martin Fertl von der Uni Mainz, der Teil der 200-köpfigen Myon 2–g Kollaboration ist. Das gesamte Gerät sei per Schiff über den Golf von Mexiko und den Mississippi von New York nach Chicago verladen worden. Die Messungen wurden also am selben Magneten durchgeführt wie vor 20 Jahren, die Messtechnik indes hat seither große Fortschritte gemacht.

Viel Raum für Spekulationen

Aber wird die Genauigkeit ausreichen, um schon heute Abend den Beginn einer neuen Physik ausrufen zu können? Die Fachwelt rechnet zumindest mit einem deutlichen Fingerzeig. Außerdem werden die Messungen am Fermilab fortgesetzt; binnen ein oder zwei Jahren sollten endgültige Ergebnisse zu erzielen sein.

Die Diskussion darüber, was es denn für Teilchen sein könnten, die auf die Myonen einwirken, haben indes längst begonnen. Einen Mangel an Kandidaten für mögliche Teilchen jenseits des Standardmodells gibt es dabei nicht. »Infrage kommen zum Beispiel zusätzliche Higgs-Teilchen, Supersymmetrie, Leptoquarks oder Axione«, sagt Stöckinger. Hinter jedem dieser Schlagworte verbirgt sich eine andere komplizierte Theorie.

Und jede dieser Theorien steht für eine mögliche Variante, wie unser Universum in seinem Innersten aufgebaut ist.

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