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Mobilität in der Corona-Krise: Weniger Schiene, mehr Pedal

May 30
20:38 2020
Boomendes Verkehrsmittel: Fahrräder in Osnabrück Icon: vergrößern

Boomendes Verkehrsmittel: Fahrräder in Osnabrück

Friso Gentsch/ DPA

Homeoffice statt Büro, keine Konzerte, keine Sportveranstaltungen: In Corona-Zeiten waren die Deutschen viel weniger unterwegs als sonst. Busse blieben leer, in den Großstädten fuhren Geister-U-Bahnen – auch, weil Menschen Angst hatten, sich anzustecken.

Ein ganz anderes Bild zeigte sich auf Fahrradwegen und Straßen: Viele Deutsche stiegen aufs Rad, um von A nach B zu kommen. Mehrere Städte haben auf den Trend reagiert: Allein im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurden in den vergangenen Wochen zahlreiche Pop-up-Radwege eingerichtet. Dafür fielen Parkplätze und Raum für Autos auf den Fahrbahnen weg.

Aber wie stark hat sich das Mobilitätsverhalten der Deutschen in der Zeit von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen tatsächlich verändert? Und was bleibt davon nach den Lockerungen? Antworten geben jetzt Daten des Marktforschungsinstituts GfK.

Messdaten statt Bauchgefühl

Zusammen mit dem Berliner Start-up Motiontag wertete die GfK die Mobilitätsgewohnheiten von rund 1500 Menschen in ganz Deutschland aus. Quelle: eine App, die unter anderem aus dem Bewegungsprofil, der Geschwindigkeit, der Beschleunigung und externen Daten wie gespeicherten Liniennetzplänen des ÖPNV errechnet, mit welchem Verkehrsmittel die Studienteilnehmer gerade unterwegs sind: Wann auf dem Fahrrad? Wie lange mit dem Auto oder mit dem Bus?

Ein Ergebnis der Datensammler: In Corona-Zeiten hatten die Teilnehmer in der Tat einen deutlich kleineren Bewegungsradius – und dieses Phänomen dauert an, auch nach dem Ende der strengen Kontaktauflagen. Zwar ist die Gesamtzeit, die die Menschen mobil verbringen, wieder etwas angestiegen seit Anfang Mai. Aber das Vor-Corona-Niveau ist noch längst nicht wieder erreicht:

Im Moment verbringen die Menschen etwa eine Stunde am Tag unterwegs, zu Fuß, auf dem Rad, mit dem Auto oder in Bus und Bahn. Der Wert vor der Coronakrise: eine Stunde und 24 Minuten. Die Mobilität hat also um etwa 30 Prozent abgenommen. Bei den Verkehrsmitteln ist der größte Gewinner tatsächlich das Fahrrad: Die Deutschen verbringen mehr als doppelt so viel Zeit im Sattel wie vorher – auch zuletzt noch. Allein mit besserem Wetter lässt sich diese Entwicklung nicht erklären. Im April stieg die Zeit auf dem Fahrrad zwischenzeitlich sogar auf das Vierfache im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Besonders bemerkenswert: Am Sonntag, dem 12. April, saßen die Deutschen den Daten zufolge 0,23 Stunden (14 Minuten) im Sattel, jedoch nur 0,20 Stunden (12 Minuten) im Auto. Damit war das Fahrrad das wichtigste Verkehrsmittel, von den eigenen Füßen abgesehen. An anderen Wochenendtagen lagen beide Verkehrsmittel nahezu gleichauf.

Während Autofahrer zur Hochzeit der Coronakrise im April nur etwa die Hälfte der sonst üblichen Zeit auf der Straße verbracht haben, nähert sich die Zahl inzwischen wieder dem Normalwert an – zumindest montags bis freitags. An Wochenenden hingegen lassen auch Gewohnheitsautofahrer inzwischen viel öfter den Wagen stehen: weniger Kurztrips wegen Grenzschließungen, keinen Ausflug in Tierparks, der Besuch bei Oma fällt aus. Die im Auto verbrachte Zeit hat um etwa 20 Prozent abgenommen – zugunsten von Fahrrad und dem Spaziergang:

Das Auto scheint für viele Deutsche also etwas an Bedeutung verloren zu haben – das spiegelt sich auch in den Kaufplänen, die die GfK abgefragt hat: Während über eine Neuauflage der Abwrackprämie diskutiert wird, zeigt sich die überwiegende Mehrheit der Deutschen davon unbeeindruckt. 74 Prozent der Befragten haben im Moment nicht vor, ein Auto zu kaufen, Corona und Abwrackprämie hin oder her. Für 16 Prozent ist zwar ein Autokauf geplant – der habe aber nichts mit Corona und der aktuellen Diskussion zu tun. Fünf Prozent der Befragten werden wegen der Coronakrise nun kein Auto kaufen. Ebenfalls fünf Prozent der Deutschen gaben an, sich ein Auto kaufen zu wollen, obwohl sie es vor der Coronakrise nicht geplant hatten. Für die Konsumentenstudie befragte die GfK zwischen dem 8. und 10. Mai 500 repräsentativ ausgewählte Menschen ab 16 Jahre online.

Die Schiene verliert

Die größten Corona-Verlierer sind ganz offensichtlich Bahn und Bus. Die dort verbrachte Zeit hat im Vergleich zu einer normalen Arbeitswoche vor Corona um mehr als 20 Prozent abgenommen. Zwischenzeitlich war der Wert noch deutlicher abgesunken. Der ÖPNV bleibt also stark unter Druck, obwohl Pendler aus ihren Homeoffices in die Büros zurückkehren.

Diese Tendenz bestätigen Zahlen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmer (VDV). Der hat bei seinen etwa 400 Mitgliedsbetrieben nachgefragt: Im Schnitt lag die durchschnittliche Auslastung während der Corona-Ausgangsbeschränkungen um 75 bis 80 Prozent unter dem Vorjahreswert. Zwischenzeitlich verzeichneten die Betriebe sogar einen Fahrgastrückgang von bis zu 90 Prozent, etwa im ländlichen Raum, wo sonst vor allem Schüler Busse nutzen. Nach den Schulöffnungen und den Lockerungen in einzelnen Bundesländern beträgt der Rückgang inzwischen noch etwa 60 Prozent, so der Verband. Offenbar spielt die Furcht vor Ansteckung über Aerosole in den Waggons noch eine große Rolle.

Rettungsschirm für den ÖPNV?

Das legen auch Daten nahe, die Google ausgewertet hat. Der Konzern erfasst, wie oft bestimmte Orte von Menschen aufgesucht werden, Bahnhöfe oder Parks etwa. Viele Handybesitzer erlauben Google das Tracken ihres Handys und die damit verbundenen anonymisierten Auswertungen. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel hat auch in den Google-Daten stark abgenommen, Ende März um mehr als 80 Prozent zum Beispiel. Google hat dafür analysiert, wie viele Menschen sich an Haltestellen oder Bahnhöfen aufhalten.

Um den ÖPNV zu unterstützen, haben die Verkehrsminister inzwischen einen Rettungsschirm von fünf Milliarden Euro vom Bund gefordert. Ob der wirklich aufgespannt wird, ist bislang jedoch noch nicht entschieden. Inzwischen gewöhnen sich die Deutschen weiter ans Fahrrad.

Icon: Der Spiegel

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