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Libanon: Wie es nach dem Regierungsrücktritt weitergeht

August 11
20:41 2020
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Demonstranten und Polizisten in Beirut: "Das System der Korruption ist größer als der Staat"

Foto: -/ AFP

Nur wenige Demonstranten haben sich am Montagabend im Zentrum von Beirut eingefunden. Obwohl gerade die Regierung zurückgetreten sei, sei keinem zum Feiern zumute, berichtet der Journalist Timour Azhari: "Es fühlt sich an, als habe sich nichts verändert – wir sind politisch wieder dort, wo wir sechs Monate zuvor waren, nur dass die Lebensbedingungen sich dramatisch verschlechtert haben."

Hassan Diab, der nun zurückgetretene Premierminister, war mit seinem Kabinett erst ein halbes Jahr im Amt. Er sollte politische und wirtschaftliche Reformen umsetzen, nach Massenprotesten gegen Libanons korruptes System. Doch nichts passierte, die Wirtschaft des Landes stürzte weiter ab, die Mittelklasse verarmte.

Vergangene Woche dann trugen wohl Libanons Korruption und Misswirtschaft dazu bei, dass 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut explodierten und die halbe Stadt zerstörten. Die Zahl der Toten ist inzwischen auf über 170 angestiegen, mindestens 6000 Menschen wurden verletzt, Hunderttausende verloren ihr Zuhause.

Doch Premierminister Hassan Diab tat bei seinem Rücktritt so, als trüge er keinerlei Verantwortung. "Das System der Korruption ist größer als der Staat", sagte Diab in einer Fernsehansprache. Er machte die politische Elite des Landes für die Katastrophe verantwortlich, ohne sich selbst als Teil davon zu betrachten. Und wie die anderen versucht auch er die Schuld nun von sich zu weisen.

Die wahre Macht haben die selbst ernannten Anführer der Konfessionsgruppen

Im Kern hat Diab allerdings recht: Obwohl er Premierminister war, hatte er kaum etwas zu sagen. Die Macht im Libanon liegt bei anderen – oft früheren Warlords, die nun Anzüge tragen.

Nach dem 15-jährigen Bürgerkrieg wurden 1989 mit dem Abkommen von Taif der Staat und seine Pfründe zwischen den verschiedenen Konfessionsgruppen und deren selbst ernannten Anführern aufgeteilt. Diese Oligarchie hat seitdem die staatlichen Institutionen immer weiter ausgehöhlt und Patronage-Netzwerke aufgebaut. Die mächtigste Gruppe dabei ist die Hisbollah – eine Partei, Miliz und ein Staat im Staate – mit ihrem Anführer Hassan Nasrallah.

Der Zorn auf diese Machtcliquen ist nun im Libanon so groß wie nie. Selbst die Furcht einflößende Hisbollah wird bei Demonstrationen lautstark kritisiert. Der Libanon erlebt entscheidende Wochen: Gelingt es doch noch, das System zu reformieren? Oder verhindern dies die Eliten wieder einmal?

Diab wollte offenbar richtige Aufklärung

Bisher gibt es wenig Anzeichen für Hoffnung. Die Mächtigen sind längst dabei, sich abzusichern. So wollte Premier Diab ursprünglich gar nicht zurücktreten – er forderte Neuwahlen. Plötzlich traten reihenweise Diabs Minister zurück, wohl auf Geheiß ihrer Unterstützer hinter den Kulissen – der Regierung drohte der Zusammenbruch. Dann drohte auch noch der einflussreiche Nabih Berri, dass die Parlamentarier am Donnerstag die Regierung über die Explosion befragen würden: Berri, Chef der schiitischen Amal-Partei und seit fast 28 Jahren Sprecher des Parlaments, wollte Diab die Schuld zuschieben.

Diab dagegen wollte offenbar den Machtcliquen tatsächlich gefährlich werden: Er habe eine ernst zu nehmende libanesische Untersuchungskommission einsetzen wollen, um die Hintergründe der Explosion aufzuklären, berichtet der gut informierte Journalist Timour Azhari, der auch als einer der ersten die große Menge Ammoniumnitrat im Hafen aufgedeckt hatte. Noch immer ist unklar, wie es dazu kommen konnte, dass trotz wiederholter Warnungen der gefährliche Stoff jahrelang im Hafen blieb.

Kein Interesse an tatsächlichen Veränderungen

Doch jetzt wurde verkündet, dass die libanesische Untersuchungskommission von Richter Fadi Akiki geleitet werden soll – offenbar dem Mann von Nabih Berris Nichte. Zuvor schon hatte Libanons Präsident Michel Aoun, ein enger Verbündeter der Hisbollah und Gründer der christlichen Partei "Freie Patriotische Bewegung", eine unabhängige internationale Untersuchung ausgeschlossen.

Auch zu vorgezogenen Neuwahlen wird es eher nicht kommen – diesen müsste Präsident Aoun zustimmen. Doch die verbündete Hisbollah-Führung sowie die Amal-Spitze lehnen dies ab. Außerdem müsste dann auch noch das Wahlgesetz reformiert werden, damit die Abstimmung tatsächlich Veränderungen bringen könnte, woran keiner der Oligarchen ein Interesse hat.

Unterdessen schreitet der Wirtschaftskollaps voran, die Libanesen verarmen weiter. Viele von ihnen dürften nun noch mehr auf die klientelistischen Netzwerke der dominierenden Parteien angewiesen sein, wie etwa auf die Hisbollah mit ihren Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Gleichzeitig mehren sich in sozialen Medien in Schmugglergruppen die Einträge von Libanesen, die irreguläre Wege nach Europa suchen.

Diab wird nun erst einmal geschäftsführend im Amt bleiben, noch schwächer als zuvor. Echte Reformen wird er nun wohl erst recht nicht durchführen.

Icon: Der Spiegel

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