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Ihr Name ist kompliziert, sie ist in Apulien zu Hause und noch keine 50 Jahre alt: die Sacra Corona Unita. Aus der Taufe gehoben wurde sie in einem Gefängnis. Ihr Einflussbereich ist eher beschränkt, ihre Methoden aber brutal. Eine Staatsanwältin und eine Richterin bekommen das zu spüren.

Maria Francesca Mariano, 55 Jahre alt, ist Richterin, Carmen Ruggiero, 48 Jahre alt, ist Staatsanwältin. Beide arbeiten in der apulischen Stadt Lecce. Ruggiero hat in der "Operation Wolf" ermittelt, die zu 38 Verhaftungen wegen Drogenhandels, versuchten Mords, Erpressungen und etlichem mehr führte. Mariano leitet die daraus resultierenden Gerichtsverhandlungen.

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Die Festgenommenen sollen alle der Mafia angehören. Gemeint ist damit aber weder die sizilianische Cosa Nostra, noch die kalabrische 'Ndrangheta oder die neapolitanische Camorra. In diesem Fall handelt es sich um die Sacra Corona Unita, die in der süditalienischen Region Apulien ihr Hauptquartier hat, genauer gesagt: im Salento, Italiens Absatz, wie der äußerste Zipfel des Stiefels genannt wird.

Das Salento gehört zu den beliebtesten Sommerurlaubszielen und ist deswegen auch grenzüberschreitend vielen Menschen ein Begriff. Zu den bekanntesten Orten dieser Gegend zählen Ostuni mit seinen weißen Häusern, Santa Maria di Leuca, umgeben von smaragdgrünem Meer und Lecce mit seinen Barockbauten.

Weniger bekannt ist im Ausland, dass es auch in Apulien eine Organisierte Kriminalität gibt, die sogenannte "vierte Mafia" Sacra Corona Unita, auf Deutsch: Heilige vereinigte Krone. "Die SCU hat aber nicht annähernd die Macht, die Cosa Nostra und die 'Ndrangheta haben", erklärt Enzo Ciconte ntv.de. Er ist Professor für Mafia-Geschichte an der Universität Pavia und Autor zahlreicher Bücher zu dem Thema. "Das bedeutet aber nicht, dass sie zahmer ist, im Gegenteil."

Gespielte Reue und blutiger Ziegenkopf

Das zeigt sich auch an den aufgelisteten Anklagepunkten, sowie an Vorfällen, die für Staatsanwältin Ruggiero und Richterin Mariano gefährlich wurden. Im Fall Ruggiero hätte es dramatisch enden können: Wenige Wochen nach der Festnahme von Mafiosi im Juni 2023 erklärte sich einer der Verhafteten bereit, mit der Justiz zu kooperieren. Er bat deswegen um eine Unterredung mit Ruggiero. Wie die Medien berichteten, zeigte er sich bei dem ersten Treffen kooperativ und aufgeschlossen. Doch wie sich herausstellen sollte, was das nur Theater.

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Vor dem zweiten Treffen versteckte er eine rudimentäre Messerklinge in seiner Unterhose. Er hatte sie aus einem abgebrochenen Stück WC-Keramik fabriziert und wollte damit, wie er selbst später zugab, der Staatsanwältin den Hals durchschneiden. Zum Glück wurde die Klinge rechtzeitig entdeckt. Ruggiero bekommt seitdem Personenschutz.

Auch Mariano wurde des Öfteren bedroht. Einige der Drohungen waren im wahrsten Sinne des Wortes in Blut getränkt. Zum Beispiel die anonymen Briefe, die ihr letzten Oktober direkt im Büro hinterlegt wurden, wie die Wochenzeitung "Il Venerdì" unlängst berichtete. Das Rot der Schrift war Blut. Wer sie hinterlegte und ungestört in ihrem Büro ein- und ausgehen konnte, wurde bis jetzt nicht aufgeklärt. Im Februar wurden die Einschüchterungsversuche noch schauriger. Mariano war zu Hause und hörte plötzlich komische Geräusche. Sie dachte, es sei die Katze und öffnete die Haustür, um nachzusehen. Doch anstatt einer Katze fand sie eine Lanze mit einem aufgespießten, blutigen Ziegenkopf. Auch sie steht nun unter Personenschutz.

Schreiben als Therapie

Die Ermittler gehen davon aus, dass diese Einschüchterungsversuche mit der "Operation Wolf" zu tun haben. Der Prozess hat Anfang April mit Mariano als leitender Richterin begonnen. Deswegen ist größte Vorsicht geboten und die Bitte um ein Interview lehnt sie ab. Und auch die Suche im Netz ergibt fast nichts. Das Einzige, was man über sie findet, ist, dass sie ihre Karriere mit 24 Jahren als Staatsanwältin begann und damit die jüngste bis dato in diesem Amt war. Neben ihrem Beruf schreibt sie auch Bücher.

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Das letzte – "La scialletta rossa: Una donna di mafia" ("Der kleine rote Schal: Eine Frau der Mafia", erschienen bei Santelli) – ist Ende des Jahres erschienen. Darin erzählt sie die Geschichte einer Frau, die mit einem Boss der Sacra Corona Unita liiert war, nach dessen Tod seinen Platz einnimmt und noch brutaler und erbarmungsloser handelt als er, bis eine Begegnung sie dazu bringt, die Seite zu wechseln. Das Buch ist vom literarischen Aspekt nichts Besonderes, gibt aber einen der Wahrheit entsprechenden Einblick in den Alltag einer Mafia-Frau sowie in die Arbeit einer Richterin, die sich mit Verbrechen der Organisierten Kriminalität befasst und deren Bedrohungen ausgesetzt ist. Darüber zu schreiben, kann auch eine therapeutische Wirkung haben.

Azubis der 'Ndrangheta

Von der Sacra Corona Unita weiß man im Ausland auch deswegen fast nichts, weil sie – anders als Cosa Nostra und die anderen Organisationen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden – erst 100 Jahre später gegründet wurde. "Und zwar im Gefängnis", fügt Mafia-Experte Ciconte hinzu. Dass sich die apulische Kriminalität, die es natürlich auch schon früher gab, erst so spät organisierte und noch dazu hinter Gittern, hat mit dem neapolitanischen Camorra-Boss Raffaele Cutolo zu tun. Der wollte seine Geschäfte auf die südöstlich angrenzende Region Apulien erweitern und noch dazu 40 Prozent der Einnahmen für sich reklamieren.

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Das war den Apuliern gar nicht recht. Deswegen wandten sie sich an die kalabrische 'Ndrangheta. "Und da man auch als Mafioso nicht improvisiert", fährt Ciconte fort, "nahmen die Apulier bei den Kalabresen Unterricht. Vor allem beim mächtigen Umberto Bellocco." Wie die regionale Zeitung "Gazzetta del Mezzogiorno" berichtet, war es dann Giuseppe Rogoli, eine Art Ziehsohn von Bellocco, der am Weihnachtsabend 1981 im Gefängnis von Trani, nicht weit von Lecce, die Sacra Corona Unita aus der Taufe hob. Was es mit dem hochtrabenden Namen Heilige vereinte Krone auf sich hat, ist unklar.

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Was die Geschäfte betrifft, war am Anfang der Zigarettenschmuggel die wichtigste Einnahmequelle. Später kamen Drogen, vor allem Kokain und Heroin, sowie Waffen hinzu. Ladungen kamen und kommen noch immer aus dem Balkan. Denn Albanien liegt genau gegenüber der apulischen Adriaküste. Als Partner hatte die Sacra Corona zuerst die albanische Mafia, später auch die aus Montenegro. "Bei den Ladungen der Albaner sind nicht selten auch Prostituierte dabei", erklärt Ciconte. "Das ist aber nur eine Gefälligkeit, denn die italienischen Mafia-Organisationen haben sich nie für Prostitution interessiert. Einmal in Italien angekommen, werden die Frauen von den balkanischen Organisationen übernommen."

Wäre es nach Rogoli gegangen, hätte sich die Sacra Corona auf die ganze Region ausbreiten und organisatorisch – wie bei Cosa Nostra – von einer Cupola (Kommission) geführt werden müssen. Dem war aber nicht so, sie agiert bis heute vorwiegend zwischen Lecce, Brindisi und Tarent. Mächtig ist sie nicht geworden, dafür aber nicht minder gefährlich. Die Mafia-Organisationen aus dem Balkan haben sie zu ihrem Türöffner gemacht. Und hinter diesen tarnt sich oft russische oder chinesische Organisierte Kriminalität. Aber das ist eine andere Geschichte.

Quelle: ntv.de