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Israel: Das Corona-Wunder im Heiligen Land

May 28
16:56 2020
Strandleben in Tel Aviv: "Trinkt Kaffee, trinkt Bier, habt Spaß" Icon: vergrößern

Strandleben in Tel Aviv: "Trinkt Kaffee, trinkt Bier, habt Spaß"

AMIR COHEN/ REUTERS

Israels Ministerpräsident war bester Laune: "Trinkt Kaffee, trinkt Bier, habt Spaß", sagte Benjamin Netanyahu seinen Landsleuten am Dienstagabend in einer Videobotschaft. Kurz zuvor hatte die Regierung in einer Telefonschalte beschlossen, die Corona-Beschränkungen in Israel weiter zu lockern.

Seit Mittwoch dürfen Hotels, Cafés, Bars und Restaurants wieder öffnen, ebenso Museen und Schwimmbäder. Es gelten verschärfte Hygienevorschriften und Abstandsregeln: Restauranttische müssen mindestens anderthalb Meter voneinander entfernt stehen, in Schwimmbecken ist ein Badegast pro sechs Quadratmeter Wasserfläche erlaubt.

Mit den Lockerungen macht Israel einen weiteren Schritt hin zur Normalität: Schon Anfang Mai öffneten die ersten Schulen und Kindergärten wieder, inzwischen gehen fast alle Kinder und Jugendlichen wieder in die Schulen – meist in kleineren Klassen und mit verkürztem Unterricht; alle, die älter als sieben sind, mit Mundschutz. Seit Mitte des Monats haben auch die Strände und Parks wieder geöffnet, sind Versammlungen von bis zu 50 Personen wieder gestattet – dazu zählen auch gemeinsame Gebete in der Synagoge.

Experten hatten Tausende Corona-Tote befürchtet

Obwohl das öffentliche Leben also seit Wochen in großen Teilen Israels fast schon wieder so läuft wie vor der Corona-Pandemie, sind die Infektionszahlen weiter im freien Fall. Auf dem Höhepunkt der Krise am 25. März registrierte die Johns-Hopkins-Universität an einem Tag 1100 Neuinfektionen in Israel, in den vergangenen 14 Tagen lag der Höchstwert bei 31. Nach den jüngsten Zahlen vom Mittwochabend sind in Israel derzeit weniger als 2000 Patienten an Covid-19 erkrankt, 38 von ihnen müssen künstlich beatmet werden. Insgesamt sind seit Beginn der Pandemie in Israel 281 Menschen mit Covid-19 gestorben.

Ähnlich wie Deutschland hat Israel damit die erste Welle der Coronakrise weitaus glimpflicher überstanden als zu Beginn des Ausbruchs erwartet. Das Gertner-Institut, das die israelische Regierung in Gesundheitsfragen berät, hatte auf Grundlage der Daten vom 5. März mehrere Szenarien für den Verlauf der Pandemie entwickelt. Nach dem Best-Case-Szenario, das von einer Reproduktionsrate von 1,2 ausging, würden in Israel 8600 Menschen an dem Virus sterben. Im Worst-Case-Szenario, bei einer Reproduktionszahl von 2, könnten bis zu 21.600 Menschen Covid-19 erliegen – sollte die Regierung keine entschiedenen Maßnahmen ergreifen.

Mit Blick auf diese Horrorszenarien entschloss sich das israelische Gesundheitsministerium zu drastischen Schritten – mit dem Ziel, die sozialen Kontakte der Bürger so weit wie möglich zu reduzieren und dadurch die Ansteckungsrate auf unter 1 zu drücken. Im März verhängte die Regierung einen strikten Lockdown. Die Bürger sollten in ihren Wohnungen bleiben, nur in Ausnahmefällen durften sie sich weiter als hundert Meter von ihrer Haustür entfernen.

Epidemiologen kritisieren Anti-Corona-Maßnahmen

Ähnlich wie in Deutschland werden nun, da der Ausbruch deutlich weniger katastrophal verlief als befürchtet und da die Infektionszahlen auch nach den ersten Lockerungen auf niedrigem Niveau verharren, die Stimmen lauter, die grundsätzlich die strikten Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung in Zweifel ziehen. Den dramatischen Modellrechnungen hätten die Zahlen von vor Anker liegenden Kreuzfahrtschiffen oder aus Italien zugrunde gelegen. Die Situation in Israel unterscheide sich aber von diesen beiden Fällen erheblich, sagte der Epidemiologe Hagai Levine der Zeitung "Haaretz".

Auch Beamte aus den Gesundheitsbehörden räumten laut dem Blatt inzwischen ein, dass ein genauerer Blick auf die Infektionszahlen gezeigt hätte, dass die Ansteckungen schon vor dem Lockdown rückgängig waren – außer in Gebieten mit mehrheitlich ultraorthodoxer Bevölkerung.

Trotzdem vermag derzeit niemand genau zu sagen, warum die Ansteckungszahlen auch nach Aufhebung der ersten Beschränkungen so niedrig sind. Manche mutmaßen, dass die genetische Diversität eine Rolle spielen könnte. In Israel leben Menschen mit Wurzeln im Nahen Osten, in Europa und Amerika auf engem Raum zusammen, möglicherweise werde es dadurch für das Virus schwieriger von Mensch zu Mensch zu springen. Der Epidemiologe Levine vermutet, dass das Wetter eine Rolle spielen könnte: "Ich denke, wir unterschätzen die Rolle des Klimas", sagte er der "Times of Israel". In der vergangenen Woche waren die Temperaturen in Tel Aviv an mehreren Tagen auf mehr als 40 Grad gestiegen.

Auch in Israels Nachbarländern verläuft die Pandemie bisher glimpflich

Noch weitergehend äußert sich Yoram Lass, ehemaliger Generaldirektor des israelischen Gesundheitsministeriums. Im Nahen Osten und im östlichen Teil des Mittelmeeres sei das Virus nicht aktiv, sagte er der "Times of Israel". "Schauen Sie auf Griechenland und Zypern und auf die Länder um uns herum. Sie können immer sagen, dass sie nicht die wahren Zahlen veröffentlichen, aber selbst in Israel ist die Zahl der Infektionen ein Witz." Andere Experten halten dagegen, dass sich das Wetter in Israel nicht wesentlich von den stark betroffenen Ländern Italien und Spanien unterscheide.

Gleichwohl fällt auf, dass die befürchtete Corona-Katastrophe nicht nur in Israel, sondern auch in den palästinensischen Gebieten, in Ägypten, im Libanon und in Jordanien bislang ausgeblieben ist – obwohl diese Länder ein deutlich schlechter ausgestattetes Gesundheitswesen haben.

Im Gazastreifen wurde am Samstag die erste Corona-Tote registriert. Insgesamt wurden dort bislang 55 Infektionen registriert. Bisher sind dort nur Menschen erkrankt, die aus dem Ausland in das palästinensische Gebiet eingereist waren. Sie mussten nach ihrer Ankunft in Quarantäne. Eine Ansteckung im Gazastreifen ist bislang noch nicht registriert worden. Deshalb durften auch hier schon vor Wochen Cafés und Restaurants wieder öffnen.

Icon: Der Spiegel

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