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Iran-Krieg nur knapp verhindert: “Israel sind seine Kriegsziele vollkommen entglitten”

April 14
18:07 2024

Politik

Von der israelischen Stadt Ashkelon aus ist am Himmel zu sehen, wie ein Abwehrsystem nach dem iranischen Drohnen- und Raketenangriff operiert.

Von der israelischen Stadt Ashkelon aus ist am Himmel zu sehen, wie ein Abwehrsystem nach dem iranischen Drohnen- und Raketenangriff operiert.

Für einige Stunden scheint ein großer Krieg im Nahen Osten kaum noch abwendbar. Er hätte wohl auch ein Eingreifen der USA bedeutet. Wie Israel sich in die bedrängte Lage gebracht hat, analysiert Nahost-Experte Stephan Stetter von der Universität der Bundeswehr München im Gespräch mit ntv.de.

Nach dem iranischen Drohnen- und Raketenangriff tagt in Jerusalem das israelische Kriegskabinett. Ein Angriff auf iranisches Territorium als Antwort ist nach Meldung der "New York Times" vom Tisch. War das zu erwarten?

Die Frage, ob Israels Reaktion iranisches Territorium treffen würde, war aus meiner Sicht offen. Fest stand, dass die USA alles tun würden, um das zu verhindern. Die Äußerungen aus dem Weißen Haus waren von Anfang an deutlich, es müsse eine harte diplomatische Antwort geben. Und dieses Adjektiv war wichtig: diplomatisch. Zugleich war es der erste direkte Angriff des Irans auf Israel – eine neue und auch gefährliche Situation.

Gibt es dennoch Konflikte der Vergangenheit, die zum Vergleich taugen?

1991 hat Saddam Hussein Israel mit Raketen angegriffen und anders als beim jetzigen Angriff, der offenbar nur geringen Schaden angerichtet hat, gab es damals Todesopfer sowie viele Zerstörungen im Kernland Israels. Die USA haben Israel auch damals davon abhalten können, direkt zu reagieren. Das Kalkül der israelischen Regierung kann gewesen sein, sich auch jetzt von Washington "überreden" zu lassen, dem Iran nicht in gleicher Weise zu antworten, gleichzeitig jedoch signalisieren zu können: "Unsere Abwehr steht". Das hat Israel auch unter Beweis gestellt.

Stephan Stetter ist Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München. Nach Studieum in Heidelberg, Jerusalem, London und Florenz forscht und lehrt er zum Nahen und Mittleren Osten.

Stephan Stetter ist Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München. Nach Studieum in Heidelberg, Jerusalem, London und Florenz forscht und lehrt er zum Nahen und Mittleren Osten.

Um dieses Signal zu senden, sind die Israelis aber ein hohes Risiko eingegangen.

Zwischen Israel und dem Iran gibt es seit langem einen Schattenkrieg und immer wieder schalten die Israelis gezielt wissenschaftliches und militärisches Personal Teherans aus, etwa mit Bezug auf das iranische Atomprogramm. Der Anschlag vor zwei Wochen hat Teheran tief im Inneren getroffen. Der General, auf den er zielte, stand weit oben in der Hierarchie der Revolutionsgarden, und der Anschlag fand nach iranischer Lesart in einem diplomatischen Gebäude statt. Was wir auch wissen: Er war von israelischer Seite offenbar nicht vollständig professionell koordiniert.

Inwiefern?

Die Befehlsketten wurden zwar eingehalten. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die Implikationen dieser Tötung nicht im israelischen Sicherheitskabinett behandelt wurden. Dies wäre politisch sehr unklug gewesen.

Diese Dimension war demnach von Israel gar nicht unbedingt intendiert?

So kann man das sagen, ja. Sie war nicht vollständig politisch durchdacht.

Wenn man die beiden Militärschläge miteinander vergleicht, also den israelischen vor zwei Wochen und den iranischen in der Nacht, dann ist das so, als ob man auf einen Präzisionsangriff mit einer Schrotflinte antwortet – sehr breit aber militärisch beinahe wirkungslos. Sollte das Israel gezielt die Möglichkeit lassen, kühl zu reagieren, wie es jetzt offenbar auch passiert?

Das will ich nicht ausschließen. Laut Analysten, die sich mit dieser Region beschäftigen, haben weder der Iran noch Israel ein starkes Interesse an einem umfassenden Krieg. Großbritannien, Frankreich, vor allem aber auch Jordanien haben die USA bei ihren Bemühungen unterstützt, auf die Situation zu reagieren, in dem sie beim Abfangen der angreifenden Geschosse beteiligt waren. Und der Iran selbst hat ja gestern Abend, während die Raketen noch in der Luft waren, verlauten lassen: “Das war’s jetzt von unserer Seite”.

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Israel wird derzeit von einer stark rechts-gerichteten Regierung geführt. Der kleinere, rechtsextreme Koalitionspartner nimmt aggressiv Einfluss auf das israelische Vorgehen im Gazastreifen. Welche Agenda haben diese Rechtsextremen mit Blick auf den Iran?

Der Fokus der rechtsextremen Kräfte in der israelischen Regierung ist nicht primär der Iran, sondern sie haben nationalistische, religiös aufgeladene Ziele, die sich vor allem auf die Westbank und partiell auch auf den Gazastreifen beziehen. Ihre Politik richtet sich gegen die Palästinenser. Aber diese Parteien sind natürlich keine deeskalierenden Kräfte und ihre Aggressivität kommt gegenüber dem Iran zum Tragen, auch wenn nun ein Gegenschlag erstmal abgewendet wurde. Wichtig ist dabei: Die am stärksten eskalierenden Kräfte sitzen nicht im Kriegskabinett. Dort sitzen unter anderem die ehemaligen Generalstabschefs Benny Gantz und Gadi Eizenkot, die gar nicht Teil der Regierung sind und die mäßigenden Einfluss haben.

In der heutigen Lage konnten die Rechtsextremen nur bedingt Einfluss nehmen. Wie werden sie das aber auf längere Sicht tun?

Wir sehen, dass Israel in einem Mehr-Fronten-Konflikt steckt. Wir haben den Iran, wir haben die Hamas, die am 7. Oktober ein Massaker angerichtet hat und noch immer Geiseln gefangen hält, die Huthis im Jemen und vor allem die ständigen Militärschläge der Hisbollah im Libanon auf den Norden Israels. Die Region dort ist entvölkert, Libanesen und Israelis können auf beiden Seiten der Grenze nicht in ihrer Heimat leben. Und in dieser Situation haben die Kräfte in der israelischen Regierung, auf die Sie anspielen, nicht deeskaliert.

Welche Möglichkeiten hätte es gegeben?

Es gibt Vorschläge für einen Deal, um die Geiseln zu retten, für den Gazastreifen, für die Sicherheit Israels. Aber hierfür wäre eine umfassende regionale diplomatische Lösung nötig, der sich die extremen Kräfte in der israelischen Regierung verweigern. Zugleich kann man seit Wochen beobachten, dass Israel eigentlich seine Kriegsziele im Gazastreifen vollkommen entglitten sind. Und damit setzt sich fort, was am 7. Oktober begonnen hat: dass die israelische Abschreckung nicht mehr so funktioniert, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Darum werden die Kräfte, die sich um den Iran scharen, ihre Attacken weiter betreiben.

Israel sind seine Kriegsziele vollkommen entglitten – so drastisch würden Sie das formulieren?

Israel riskiert, den Gazakrieg tatsächlich zu verlieren. Die Kampagne dauert zu lange, sie ist auf der humanitären Ebene desaströs. Israels Ziele waren nach offizieller Lesart, die Hamas zu besiegen und die Geiseln heimzuholen. Diese Geiselbefreiung wird jedoch verschleppt. Das liegt sicherlich nicht nur an Israel. Wir wissen nicht, ob die Hamas einem Austausch wirklich zustimmen würde, denn die Terroristen taktieren. Das können sie derzeit aber auch sehr gut machen, denn sie sehen, dass Israel weltweit nicht gut dasteht, vor allem gibt es auch Druck aus den USA.

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Wie stark hat Israel diesen internationalen Gegenwind selbst verschuldet?

Wohl wenige würden bestreiten, dass der Anschlag vom 7. Oktober für Israel das Selbstverteidigungsrecht ausgelöst hat, dass also Israel die Hamas militärisch bekämpfen darf und – ich würde sogar noch betonen – auch bekämpfen muss, denn der Staat ist verpflichtet, seine eigene Bevölkerung zu schützen. Von Anfang an wurde aber gewarnt vor den humanitären Folgen und den politischen Kosten, die dieser Krieg haben würde. Diese Warnungen hat Israel nie aufgegriffen und, auch nach Sichtweise vieler wohlwollender Beobachter, die Proportionalität nicht eingehalten.

Allerdings hatten viele Militärexperten, die auf Städtekrieg spezialisiert sind, schon vorausgesagt, dass eine Offensive viele zivile Opfer kosten würde. Was hätte anders laufen können oder müssen?

Die Alternative lag auf der Hand: Israel hätte das mobilisieren müssen, was im Oktober 2023 möglich war: eine breite internationale Unterstützung nicht nur im Westen, sondern auch von arabischen Staaten – von Saudi Arabien, den Emiraten, Ägypten. Die sind auf der Linie, dass die Hamas ein großes Problem ist, in der Region und in vielen Ländern auch innenpolitisch. Israel hätte die Unterstützung der Golfstaaten und anderer gehabt, um einen politischen Fahrplan aufzustellen, parallel zur Kriegsführung. Das hat aber nicht stattgefunden. Stattdessen steckt man jetzt in einem Dauerkonflikt, der sich auf die Westbank auswirkt, auf den Norden Israels und der mit dem direkten Angriff des Iran nun noch eine weitere Komponente bekommen hat.

Mit Stephan Stetter sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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