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Grimm für Strompreiszonen: “Wir rechnen uns die Kosten der Energiewende schön”

February 15
11:06 2025

Wirtschaft

Veronika Grimm ist Professorin für Energiesysteme und Marktdesign an der Technischen Universität Nürnberg, sitzt im Aufsichtsrat von Siemens Energy und berät als "Wirtschaftsweise" die Bundesregierung.

Veronika Grimm ist Professorin für Energiesysteme und Marktdesign an der Technischen Universität Nürnberg, sitzt im Aufsichtsrat von Siemens Energy und berät als "Wirtschaftsweise" die Bundesregierung.

Die deutschen Strompreise erregen die Gemüter. Auch Veronika Grimm hält sie für zu hoch. Im "Klima-Labor" von ntv verrät die Wirtschaftsweise genau, wo sie ansetzen würde: bei der "sprunghaften Politik, die sich immer neue Förderprogramme ausdenkt oder alte fallen lässt." Grimm würde sich auch mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Söder anlegen, denn sie liebäugelt mit der Einführung von Strompreiszonen. "Wir regeln unseren Windstrom im Norden ab, um Strom, den man extra im Ausland eingekauft hat, nach Süden zu leiten", sagt die Ökonomin. "Und treiben damit gleichzeitig die Preise in den skandinavischen Ländern in die Höhe."

ntv.de: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sich die deutschen Strompreise anschauen?

Veronika Grimm: Es gibt viel zu tun. Es nützt nichts, sie dauerhaft zu subventionieren. Das kostet Geld. Bei den Stromerzeugungskosten und den Netzgebühren gibt es nach wie vor großen Druck.

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Geht die Entwicklung denn wenigstens in die richtige Richtung?

Die Belastung mit Abgaben und Umlagen ist gesunken, deswegen werden Neuverträge generell günstiger. Teilweise sind sie sogar günstiger als vor der Energiekrise. Das prominenteste Beispiel ist der Wegfall der EEG-Umlage. Die wird weiter gezahlt, jetzt aber über den Haushalt. Außerdem wurde die Stromsteuer gesenkt, das ist sinnvoll. Davon profitieren allerdings nur diejenigen, die auch Abgaben und Umlagen zahlen müssen: die Verbraucher. Die Industrie ist davon ausgenommen und leidet immer noch unter hohen Stromkosten, denn es gibt ja keine Abgaben, die man senken kann. Die Kosten müssen runter.

Halten Sie die EEG-Umlage denn für einen Erfolg?

Mit der EEG-Umlage wurde der Ausbau der Erneuerbaren angereizt und hochgefahren. Jeder, der eine Kilowattstunde erneuerbare Energie ins Netz einspeist, erhält dafür eine feste Einspeisevergütung.

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Einen festen Preis für Strom, den man bereitstellt?

Genau. Je günstiger Solaranlagen geworden sind, desto profitabler war es, sie zu betreiben und Strom ins Netz einzuspeisen. Das Dilemma ist: Ist die Einspeisevergütung zu niedrig, wird nicht zugebaut. Ist sie zu hoch, hat man Mitnahmeeffekte und hohe Kosten: Denn die Förderung erhält jede Anlage 20 Jahre lang. Irgendjemand muss das bezahlen. Früher gab es eine signifikante Umlage auf den Strompreis, jetzt wurde sie zur Entlastung in den Haushalt überführt.

Ist das ein sinnvolles politisches Instrument?

Das kommt darauf an, welches Ziel man evaluiert. Wurden ausreichend Erneuerbare zugebaut? Ja. Sind die Produktionskosten von Solaranlagen und Windrädern gesunken? Ja. Profitieren davon alle Länder weltweit? Ja. Allerdings ist das Instrument teuer für das Land, das den Zubau darüber anreizt. Wir haben sehr hohe Strompreise gehabt, die EEG-Umlage ist viel höher geworden als ursprünglich angekündigt war. Industriepolitisch profitieren wir auch nicht davon, denn die Produktion von PV-Modulen hat sich nach China verlagert, weil sie dort günstiger ist.

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Dann wäre es sinnvoll, die Einspeisevergütung abzuschaffen, um den Haushalt zu entlasten?

Unmittelbar würde nicht sehr viel Geld frei werden, denn die Vergütung wird für jeweils 20 Jahre für jede Anlage versprochen. Wir müssen sie also weiterzahlen. Wie viel genau, hängt vom Strompreis ab: Je niedriger er ist, desto höher ist der Betrag, der im Haushalt anfällt. Das war auch eine große Herausforderung bei der Haushaltsplanung. Der Strompreis ist schneller gesunken als gedacht. Das ist eigentlich gut, hat aber dazu geführt, dass Haushaltsposten für die EEG-Zahlungen größer wurden.

Haben wir uns in eine Sackgasse manövriert?

Wir müssen unbedingt darauf achten, dass wir nicht nur – koste es, was es wolle – Erneuerbare ausbauen und dass es nicht zu teuer wird. Bei den Erneuerbaren sind wir auf einem guten Pfad, müssen aber weitere Herausforderungen stemmen und das System sozusagen komplettieren: Wir müssen die Erneuerbaren in den Markt integrieren, die Netze ausbauen und benötigen nach dem Ausstieg aus der Atomkraft und der Kohle steuerbare Kraftwerkskapazitäten, also Gaskraftwerke und Speicher. Das sind viele Kostentreiber, und speziell der Netzausbau ist auch ein konfliktbeladenes Thema.

Wo finde ich das Klima-Labor?

Das "Klima-Labor" können Sie bei ntv.de lesen oder sich bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify und auch über den RSS-Feed anhören.

Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an podcasts@ntv.de oder nehmen Sie Kontakt zu Clara Pfeffer und Christian Herrmann auf.

Wegen der großen Stromtrassen, die niemand sehen will. Deswegen werden sie verbuddelt, was aber viel teurer ist.

Mit Freileitungen könnte man bei der Energiewende viel Geld sparen, aber ja: Große Übertragungsleitungen haben massive Akzeptanzprobleme. Das gilt auch für die Verteilnetze. Wenn viele Haushalte auf Wärmepumpen und batterieelektrische Autos umsteigen, müssen die ausgebaut werden. Das bedeutet in den Städten viele Bauarbeiten. Dazu kommen aufwendige Planungs- und Genehmigungsverfahren. Diese Themen sind politisch nicht sonderlich gefällig, deshalb werden sie eher schleppend vorangetrieben. Das sieht man ganz besonders bei den Gaskraftwerken, die uns während Dunkelflauten mit Strom versorgen. Das schaffen Batterien alleine nicht.

Und nun?

Eigentlich haben wir einen gut funktionierenden Energiemarkt. Am Spotmarkt wird der Strom an der Strombörse viertelstündlich gehandelt. Gleichzeitig gibt es Terminmärkte, an denen man sich langfristig absichern kann, also auch gegen kurzfristige Preisschwankungen. Das stellt einen effizienten Betrieb der Wirtschaft sicher und kanalisiert Investitionsanreize sinnvoll. Unternehmen sind gut darin, sich zukünftige Erträge an Märkten vorzustellen und abzuschätzen. Die Sprunghaftigkeit der Politik, die sich immer neue Förderprogramme ausdenkt oder alte fallen lässt, weil sie so gut verfangen, dass sie extrem teuer werden, können Unternehmen dagegen nicht antizipieren. Deshalb sollten wir den Markt weiterentwickeln und in Deutschland über regional differenzierte Strompreise diskutieren.

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Unterschiedliche Strompreiszonen? Man hört die Bayern bereits aufstöhnen …

Trotzdem wäre es seitens der Politik sinnvoll, sich genau anzuschauen, was passieren würde, wenn man den Strommarkt in verschiedene Preiszonen aufteilt: Beim durchschnittlichen Preisniveau gar nicht so viel, das zeigen Studien. Im Süden wäre es etwas teurer, im Norden etwas günstiger. In einzelnen Stunden allerdings, wenn besonders viel oder besonders wenig erneuerbarer Strom erzeugt wird, wären die Preissignale in unterschiedlichen Zonen viel besser geeignet, Angebot und Nachfrage zu steuern. Das wären unmittelbare Investitionssignale, an denen sich Unternehmen ausrichten könnten. Warten wir ab, ob die nächste Bundesregierung das zur Diskussion stellt. Die Europäische Kommission treibt Deutschland stark in diese Richtung.

Es gäbe eine norddeutsche und eine süddeutsche Strompreiszone?

Die Studien dazu kommen auf zwei, manchmal auch drei Preiszonen. Der große Vorteil ist: Im Norden haben wir mit sehr viel Windstrom ganz andere Rahmenbedingungen für die Energieerzeugung als im Süden. Ohne Preiszonen erhält man aber nur einen gemittelten Preis. Der ist ein schlechtes Signal für den Stromhandel. Denn er signalisiert den skandinavischen Staaten, dass wir Importe benötigen, obwohl es im Norden ein Überangebot an Windstrom gibt und der importierte Strom gar nicht nach Süden durchgeleitet werden kann.

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Die Schweden und Norweger waren zuletzt sehr wütend auf Deutschland.

Ja, die sind verärgert, denn das ist ineffizient: Wir regeln im Norden unseren eigenen Windstrom ab, um importierten Strom, den man extra eingekauft hat, nach Süden zu leiten. Gleichzeitig treiben wir den Strompreis in den skandinavischen Ländern in die Höhe, denn wir fragen ja deren Strom nach.

Sehen Sie eine Lösung, bei der Süddeutschland nicht benachteiligt wird?

Ich denke schon. Durch Strompreiszonen hätte man weniger Abriegelungen und würde durch die Marktsignale mittelfristig auch Effizienzgewinne etablieren. Mit diesen Effizienzgewinnen könnte man die süddeutschen Länder sicherlich kompensieren. Wenn man sich das genau anschaut, wird man eine gute Lösung für alle Beteiligten finden. Man muss auch sehen: Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen steigt, wenn das deutsche Strompreisniveau durch Preiszonen sinkt. Unternehmen gehen wegen hoher Stromkosten nicht von Süd- nach Norddeutschland, sondern meist ins nicht europäische Ausland. Das möchte man eigentlich verhindern.

Das ist wahrscheinlich eine Frage, mit wem man sich lieber anlegt: den Norwegern oder Markus Söder? Oder wäre die Einführung von Strompreiszonen auch ein sinnvolles politisches Signal an unsere Nachbarn, dass wir anders als beim Atom-Aus einen Schritt auf sie zumachen? Die norwegische Regierung ist ja gerade am Streit über den europäischen Strommarkt zerbrochen. Die Opposition setzt sich im Wahlkampf dafür ein, die Seeleitungen nach Deutschland und Großbritannien wieder zu kappen. Das kann eigentlich niemand wollen.

Alles, was wir für niedrigere Strompreise tun, hilft nicht nur deutschen Haushalten oder Unternehmen, sondern auch der Integration des europäischen Binnenmarkts. Mit dem Ausstieg aus der Atomkraft mitten in einer Energiekrise haben wir unsere Nachbarstaaten verstört. Viele schütteln bis heute den Kopf und verstehen nicht, wie das passieren konnte. Die dauernde Diskussion über die Strompreise zeigt auch, dass es nicht schlecht gewesen wäre, etwas mehr Kapazität im Markt zu haben. Das ist jetzt nicht zu ändern, aber man sollte sich in diesen Bereichen künftig kooperativer zeigen und auch die europäische Forschungsallianz zu den Minireaktoren (SMR) unterstützen. Die deutsche Expertise wäre wichtig, auch um diese Zukunftstechnologien sicherzumachen. Ob man solche Technologien später selbst verwenden möchte, kann man dann immer noch entscheiden.

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Obwohl Atomkraft mit großen finanziellen Risiken verbunden ist? In der Regel wird der Bau neuer Atomkraftwerke am Ende sehr viel teurer als gedacht. Die kleinen Reaktoren nehmen eine ähnliche Entwicklung.

Teurer als was? Die Energiewende ist auch teuer, dort schaut man aber immer nur auf die erneuerbaren Energien und rechnet sich die Kosten schön. Was ist mit den komplementären Erzeugungstechnologien, die dann Strom erzeugen, wenn die Erneuerbaren keinen liefern? Das sind mindestens die neuen Gaskraftwerke, die auch noch wasserstofffähig sein sollen. Das wird teuer. Eigentlich können Sie die Gestehungskosten der erneuerbaren Energien pro Kilowattstunde alleine deswegen verdoppeln, dann stehen wir bei 10 Cent pro Kilowattstunde. Dazu kommt der Netzausbau, um die Elektrifizierung zu schaffen. Der wird eher zwei Drittel des Strompreises ausmachen als die Hälfte. An diesem Punkt wäre ein neues Atomkraftwerk nicht mehr so viel teurer.

Haben Sie denn den Eindruck, dass diese Themen in der deutschen Politik differenziert genug besprochen werden und die neue Bundesregierung kluge Entscheidungen treffen wird?

Sie muss auf jeden Fall eine kostenorientierte Energiepolitik betreiben. Im Wahlkampf wird viel von Entlastung, Absenkungen und Subventionen für Verbraucher und die Industrie gesprochen, aber wie lange halten wir das durch? Deswegen muss das Energiesystem schnell kostengünstig aufgestellt werden. Dafür muss eine gewisse Kapazität an Gaskraftwerken gebaut werden. Damit es nicht teurer wird als notwendig, sollte man vorerst auf wasserstofffähige Gaskraftwerke verzichten. Dann muss man sich die künftige Nachfrage nach Strom anschauen. Aktuell lautet die Prognose 750 Terawattstunden bis 2030. Das wird nicht passieren, das ist zu optimistisch. Darauf sind aber viele Planungen ausgelegt, die Knappheiten erzeugen und den Ausbau teuer machen. Man sollte bestimmte Bereiche priorisieren, um die Kosten des Netzausbaus zu senken.

Mit Veronika Grimm sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen auf Herz und Nieren prüfen. Ist Deutschland ein Strombettler? Vernichtet die Energiewende Industrie & Arbeitsplätze? Warum erwarten so viele Menschen ihren ökonomischen Abstieg? Warum sind immer die Grünen schuld? Sind Seeadler wirklich wichtiger als Windräder? Kann uns Kernkraft retten?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

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Quelle: ntv.de

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