Filmemacherin des Führers: “Riefenstahl” – Triumph des Starrsinns
Kino

Der Führer und seine Filmemacherin: Adolf Hitler und Leni Riefenstahl.
In "Riefenstahl" setzen sich "Black Box BRD"-Macher Andres Veiel und Produzentin Sandra Maischberger mit Adolf Hitlers Haus-und-Hof-Regisseurin auseinander. Nicht die erste Dokumentation über Leni Riefenstahl. Bringt sie neue Erkenntnisse?
Lassen sich Kunst und Künstler voneinander trennen? Kann man noch über Bill Cosby lachen, Michael Jacksons Musik hören oder von Harvey Weinstein produzierte Filme gut finden? Fragen, über die sich heute manche den Kopf zerbrechen, stellten sich im Falle von Leni Riefenstahl schon viel früher und grundsätzlicher. Schließlich trat bei ihr der Bruch nicht "nur" zwischen der Person und ihrem Werk auf. Er vollzog sich auch innerhalb ihres Schaffens, indem sie ihre unbestrittene Kreativität unmittelbar in den Dienst der Propaganda stellte. Nicht irgendeiner Propaganda, sondern der von Adolf Hitler, Joseph Goebbels und des Nationalsozialismus. Dagegen muten Cosby, Jackson und Weinstein natürlich geradezu wie Waisenknaben an.

Panorama 24.10.24 Der Triumph der Propagandistin Leni Riefenstahl, die Filmemacherin der Nazis
Es mag vermessen sein, eine Frau, die im Schatten von Diktatur, Holocaust, Deportation, Massenmord und dem übrigen NS-Irrsinn ihr Handwerk verübte, in einem Atemzug mit (mutmaßlichen) Sexualstraftätern der popkulturellen Neuzeit zu nennen. Zumal es den Machern der Dokumentation "Riefenstahl" um Regisseur Andres Veiel und Produzentin Sandra Maischberger, die jetzt in die Kinos kommt, gar nicht in erster Linie um die Frage nach der Trennung von Künstler und Kunst geht. Vielmehr fragen sie sich nicht nur auf dem Plakat zu ihrer tiefschürfenden Biografie über die Regisseurin: "Visionärin? Manipulatorin? Lügnerin?"
Doch auch die Macher des Films ziehen bei ihrer Analyse eine Linie ins Hier und Jetzt. "Ich entdeckte die Riefenstahl'sche Ästhetik sehr bald in den gegenwärtigen Bildern einer Moskauer Parade: Unterperspektive auf Putin, sein Blick von oben auf die marschierenden Kolonnen. Und in den Aufnahmen der Eröffnung der Winterolympiade in Peking fand ich eine ähnliche Ästhetik wie in 'Olympia'", erklärte Regisseur Veiel etwa in einem Interview mit dem Portal "Kulturport". Die "erschreckende Permanenz der Riefenstahl'schen Ästhetik" und die zeitlosen Erkenntnisse daraus hätten letztlich auch den Anreiz geliefert, den Film überhaupt zu realisieren.
700 Kisten Archivmaterial
Veiel hat sich als Kulturschaffender längst einen Namen gemacht – als Autor, Theaterregisseur und eben Filmemacher. Seine RAF-Dokumentation "Black Box BRD" heimste bereits 2001 viel Lob und Anerkennung ein. Maischberger wiederum ist den meisten natürlich als Moderatorin bekannt, doch auch sie streckt ihre Fühler gerne mal in andere Bereiche aus. 2019 produzierte sie etwa den eindringlichen Spielfilm "Nur eine Frau", der den "Ehrenmord" an der Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü aufarbeitete.
An Leni Riefenstahl biss sich Sandra Maischberger unterdessen vor über 20 Jahren schon einmal die Zähne aus. 2002 interviewte sie die Regisseurin, die damals ganze 100 Jahre alt wurde und ein Jahr später starb. "Ich bin an ihr zerschellt", sagt Maischberger rückblickend über das Gespräch, in dem sie schlicht nicht an Riefenstahl herangekommen sei. Obwohl sie unbestreitbar Hitlers Lieblingsfilmemacherin war und sogar offiziell zur "Reichsfilmregisseurin" auserkoren wurde, beharrte Riefenstahl schließlich stets darauf, im "Dritten Reich" nur eine unpolitische Künstlerin ohne Nähe zur NS-Ideologie gewesen zu sein.

An der Lebenslüge ihrer angeblichen Unschuld hielt Riefenstahl bis zu ihrem Tod fest.
(Foto: Majestic Filmverleih)
Mit "Riefenstahl" und Andres Veiel an ihrer Seite unternimmt Maischberger nun einen neuen Versuch, die Regisseurin des Führers zu dechiffrieren und bestmöglich als das zu überführen, was sie so vehement bestritt, gewesen zu sein: eine überzeugte Nationalsozialistin, die mitnichten nur Mitläuferin oder Opportunistin war. Dafür bewaffnete sich die Produzentin bis an die Zähne mit Material. Schließlich wurde für die Dokumentation erstmals Riefenstahls Privatarchiv systematisch ausgewertet, das sage und schreibe 700 Kisten füllt.
Ein klares Jein
Der Film kommt dann auch mit wenig Kommentartext und komplett ohne aktuelles Material wie zum Beispiel Gesprächen mit Zeitzeugen aus. Stattdessen lässt Veiel all das für sich sprechen, was er beim Stöbern in den 700 Kisten entdeckt und für relevant befunden hat: Briefe, Kassetten, Bilder, Fanpost und sonstige Erinnerungsstücke. Vermengt wird dies mit Sequenzen aus Riefenstahl-Werken wie "Triumph des Willens" oder "Olympia", privaten Filmaufnahmen der Regisseurin und den diversen Interviews, in denen sie sich in der Nachkriegszeit immer wieder jeder Verantwortung zu entledigen versuchte.

Nach dem Krieg kam Riefenstahl als "Mitläuferin" davon.
(Foto: Majestic Filmverleih)
Fördert dies wirklich neue oder gar brisante Erkenntnisse über Leni Riefenstahl zutage? Die Antwort ist ein ganz klares Jein. Zwar untermauern die Macher des Films akribisch die Vermutung, dass Riefenstahl wohl nicht nur Zeugin eines Massakers an Juden wurde, sondern dieses womöglich sogar angestiftet hat. Doch aus dem Mund der Regisseurin selbst hört man selbstverständlich auch in "Riefenstahl" nie ein Schuldeingeständnis oder auch nur einen Anflug von Reue. Wenn ihr die Fragen nach ihrer NS-Verstrickung irgendwann zu ungemütlich wurden, flüchtete sich Riefenstahl vielmehr nur allzu gerne in hysterische, wütende oder auf die Tränendrüse drückende Ausfälle.
Dieser Triumph des Starrsinns wird von Veiel bestens und wahrscheinlich in noch nie dagewesener Tiefe festgehalten. Nur: Daran ist nichts neu. Dokumentationen über Leni Riefenstahl gab es natürlich bereits zuhauf. Populäre Auseinandersetzungen wie die von ZDF-Chefhistoriker Guido Knopp laufen in TV-Spartenkanälen nach wie vor rauf und runter. Wer sich dafür interessiert, hat so einige, wenn auch vielleicht nicht alle Interviewsequenzen, die Veiel nun noch einmal hervorholt, schon mal gesehen. Dass Riefenstahl ihrer eigenen Lebenslüge aufgesessen ist, war dabei nicht weniger klar als nach der knapp zweistündigen Dokumentation, die nun in die Kinos kommt.
Ein Film fürs Kino?
Apropos Kino: "Riefenstahl" ist nicht nur ein Film, der wohl in erster Linie ein Publikum mit Interesse an historischen Details ansprechen dürfte. So kunstfertig, bedacht und solide er auch montiert ist – es ist und bleibt auch immer noch ein Dokumentarfilm. Ihn auf die große Leinwand zu bringen, wäre alles andere als zwingend gewesen. Vielmehr wirkt es befremdlich, dass es in erster Linie ausgerechnet die Ästhetik der Riefenstahl-Filme ist, die hier erst ihre volle Wirkung entfaltet.
Die Macher von "Riefenstahl" wollen mit dem Film den Bogen in die Gegenwart schlagen, ohne dies jedoch auf der Leinwand auch konkret zu benennen. Die allgemeinen Mechanismen von Propaganda zu erkennen und die gedankliche Brücke in die heutige Zeit zu bauen, bleibt stattdessen allein dem Intellekt des Publikums überlassen. Dass eine derart subtile Botschaft verfängt in Zeiten, in denen selbst offener Rassismus, ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg mit Hunderttausenden Toten oder herumgebrüllte SA-Slogans das Weltbild von Donald-Trump-Anhängern, Wladimir-Putin-Verstehern oder Björn-Höcke-Fans nicht ins Wanken bringt, darf dann doch bezweifelt werden.
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"Riefenstahl" hat als vielleicht bislang intensivste Auseinandersetzung mit der Filmemacherin des Führers natürlich allemal seine Berechtigung. Doch für den ganz großen Aha-Effekt taugt die Dokumentation nicht.
"Riefenstahl" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de