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Ein mitreißender Totentanz: Der VfL Bochum macht sich selbst wahnsinnig

April 27
09:26 2024

Fußball

So sieht Erleichterung raus: Manuel Riemann brüllt den Frust der vergangenen Wochen raus.

So sieht Erleichterung raus: Manuel Riemann brüllt den Frust der vergangenen Wochen raus.

Der VfL Bochum besiegt den FC Bayern, sorgt dadurch endgültig dafür, dass deren Trainer Thomas Tuchel den Verein im Sommer verlassen muss. Doch danach beginnt ein unerklärlicher Absturz – bis auf den Relegationsplatz. Am Freitagabend gibt es aber eine bemerkenswerte Auferstehung.

Als Andrej Kramaric am Freitagabend eines der schönsten Tore dieser Bundesliga-Saison geschossen hatte, als er einen langen Ball von Florian Grillitsch wunderbar aus der Luft angenommen, ihn in einer flüssigen Bewegung verarbeitet und über Torwart Manuel Riemann gehoben hatte, als er die fürchterlich schwachen Hoffenheimer auf 2:3 beim VfL Bochum herangebracht hatte (84.), da stand das Ruhrstadion für einen Moment still. Wie auf einer tobenden Party, wenn der DJ plötzlich Licht an und Musik ausmacht. Niemand weiß warum, aber jeder Gast ist wütend. In Bochum spürte das jeder in sich, der es mit dem VfL hielt.

Mit 3:0 hatten die Gastgeber souverän geführt. Sie waren über die Mannschaft aus dem Kraichgau hergefallen. Im "wichtigsten Spiel der Saison", so hatte es Trainer Heiko Butscher zuvor ausgerufen, riefen die Spieler in den dunkelblauen Trikots eine der besten Leistungen der Saison ab. Seit dem 18. Februar hatte der VfL nicht mehr gewonnen. Auf den Sieg gegen den FC Bayern (3:2) und die Entscheidung des Rekordmeisters, sich im Sommer von Trainer Thomas Tuchel zu trennen, folgte ein unbegreiflicher Absturz. Von Rang elf ging es nach der Pleite vergangene Woche beim VfL Wolfsburg auf den Relegationsrang. Neun Punkte Vorsprung wurden verspielt.

Groß war die Verzweiflung im Umfeld. Erst recht nach den Spielen gegen die Abstiegskonkurrenten Darmstadt 98 und den 1. FC Köln. Gegen die "Lilien" schenkte der VfL ein 2:0 noch her, taumelte zu einem 2:2 und hätte sich beinahe noch komplett blamiert. Eine Woche später führten die Bochumer beim "Effzeh" bis zur 90. Minute mit 1:0 und verloren noch 1:2. Die Mannschaft, da noch trainiert von Thomas Letsch, hatte den Ruf als Last-Minute-Depp der Bundesliga beeindruckend unterfüttert und wurde von einigen Fans endgültig totgesagt. Wie oft hatte es das Drama am Schluss in dieser Spielzeit gegeben? Wenn es in die Crunchtime ging, wackelte der VfL wie ein Lämmerschwanz und schenkte zahlreiche Punkte in unangebrachter Großmütigkeit her. Bochum ist wie Bayer Leverkusen – nur als umgekehrter, kultivierter Last-Minute-Irrsinn.

Baumann reagiert sensationell

Und natürlich lief der Film der Dummdödeligkeit sofort wieder ab, als Kramaric sein zweites Tor an diesem Abend erzielt hatte. Die Angst war groß, sich wieder einmal um den Lohn der harten Arbeit gebracht zu haben. Wie die Wilden waren die Bochumer mit dem Anpfiff auf ihre Gegenspieler zugestürmt. Bereits nach sechs Minuten hatte der VfL viermal auf das Tor von Oliver Baumann geschossen. Der reagierte in der 6. Minute sensationell stark, lenkte einen Schuss von Philipp Hofmann an die Latte. Die Hoffenheimer wussten in den ersten 15 Minuten nicht, wie ihnen geschah. Dabei hatten sie ja durchaus auch Pläne und Ambitionen, schließlich ist zumindest die Conference League noch in Reichweite. Aber wie eine Mannschaft, die nach Europa will, trat die TSG nicht auf.

Erst nach 15 Minuten lösten sich die Gäste aus dem Klammergriff, hielten den Ball häufiger mal in den eigenen Reihen und hätten das Spiel urplötzlich auf ihre Seite ziehen können, wenn Wout Weghorst nicht einen My im Abseits gestanden hätte. Der niederländische Stürmer, auffälligster, weil galligster Spieler seiner Mannschaft, war von Hofmanns hohem Bein im Strafraum getroffen worden. Ein klarer Elfmeter, aber weil die Ferse des Stürmers eben in der unerlaubten Zone stand, wurde der Strafstoß-Pfiff nach langer VAR-Prüfung zurückgenommen (25.). Was für ein Glück für die Bochumer. Ob sie sich von diesem Schock nach dem Anfangs-Furor erholt hätten?

Hoffenheim hatte ein kurzes Momentum, das aber versank schnell in der Bochumer Leidenschaft. Maximillian Wittek blockte einen Versuch von Grillitsch und pushte sich dermaßen hoch, dass sein Gegenspieler verdutzt dreinschaute. Bochum war da und ging in Führung. Spielmacher Kevin Stöger, um den es in den vergangenen Tagen heiße Wechselgerüchte (Union Berlin soll es werden) gegeben hatte, versenkte einen Freistoß aus 18 Metern. Die "Bild"-Zeitung taufte den Österreicher hernach "Ruhrpott"-Grimaldo. In Anlehnung an das kleine spanische Genie von Bayer Leverkusen, dessen Standards regelmäßig für Erstaunen sorgen.

Bochum wankt auf der Zielgeraden

Das Spiel blieb ohne Atempause. Im Gegenzug setzten die Gäste den Ball ans Aluminium. Riemann war bereits geschlagen, seine Vorderleute schlugen den Ball aus der Gefahrenzone. Erneute Ekstase auf den Rängen. Und als das Spiel bereits auf den Kabinengang zusteuerte, schlug Felix Passlack zu. Gegen den schlafmützigen Kramaric setzte er sich durch und erzielte sein zweites Saisontor. Passlack und Wittek, sie lieferten überragend ab, dabei waren sie in den vergangenen Monaten kaum berücksichtigt worden. Vor allem der ehemalige Dortmunder Passlack war längst im Regal "Fehleinkauf" einsortiert worden, um so bemerkenswerter seine Auferstehung.

In der zweiten Halbzeit verlor das Spiel kaum an Intensität. Bochum presste weiter wie verrückt und die TSG suchte verzweifelt nach einem Ausweg. In diesem mitreißenden Totentanz des VfL bekamen die Gäste aber kaum einen Fuß aufs Parkett. Und als erneut Stöger (64.) zuschlug, wieder eine Schlafmützigkeit bestrafte, da war die Party so richtig im Gange. Bochum feuerte aus allen Lagen, 36 Torschüsse wurden notiert. Jeder Feldspieler hatte mindestens einen Versuch abgegeben. Wohl niemand dachte mehr an die zahlreichen Lämmerschwanzmomente der jungen Vergangenheit. Doch dann kam Kramaric zum Ersten und zum Zweiten. Die völlig ausgepumpten Gastgeber saugten die letzte Kraft aus ihren Körpern, pöhlten die Bälle ins Nirwana. "Man fängt an nachzudenken, dann werden die Beine schwer", sagte Trainer Butscher nach seinem ersten Sieg im dritten Spiel, "die letzten fünf Minuten waren schon Wahnsinn. Du denkst schon: Lass es diesmal nicht so sein."

"Es war ein geiles Spiel"

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Und es wurde diesmal nicht so. Als Tobias Stieler abpfiff, sanken die Bochumer auf die Knie, reckten die Arme, bei Passlack flossen gar Tränen. "Wir haben dieses Trauma jetzt nicht mehr", sagte Abwehrspieler Bernardo. In dieser Woche hatte es beim VfL mehrere Aussprachen gegeben, durchaus knackig sollen diese gewesen sein. "Wir müssen nicht jeden Abend zusammen essen gehen als Mannschaft. Aber auf dem Platz müssen wir wie eine Mannschaft spielen". Durch den Sieg kletterten die Bochumer vorübergehend vom Relegationsplatz auf Rang 14 und Butscher gab den Befehl zum Feiern: "Das darf man auch. Dieses Gefühl dauert zwei, drei Stunden, manchmal auch einen Tag. Ich hoffe, dass dann die Sucht groß ist, dieses geile Gefühl wiederzuhaben."

"Es war ein geiles Spiel, zum Schluss kein einfaches mehr, aber definitiv verdienter Sieger. Das tut unglaublich gut", sagte Doppeltorschütze Stöger bei DAZN. "Man hat gesehen, dass hier heute alle als Einheit am Platz standen und rundherum alle gemeinsam für diesen Sieg gekämpft, geschrien, gefightet haben." Nach dem Abpfiff, so befand es der Österreicher, "waren hier alle Bochumer erleichtert." Wie zum Beweis dafür hatte der Stadionsprecher nach dem Sieg über das Mikrofon gebrüllt: "Wir leben noch!" Und der DJ legte Louis Clarks Klassiker "Hooked on Can Can" auf. Die Party tobte, während sich Kramaric und die Hoffenheimer vor der Kurve mit den eigenen Fans zofften.

Quelle: ntv.de

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