Die Kälte klopft bald an: Droht Deutschland ein Jahrhundertwinter?
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Im letzten Winter gab es mancherorts enorme Schneemengen.
Wochenlanger Dauerfrost, Temperaturen deutlich im zweistelligen Minusbereich, Schneechaos – das könnte Deutschland bei einem Jahrhundertwinter drohen. Aber wie realistisch ist ein solches Szenario?
Die Tage werden kürzer und kühler und wie jedes Jahr im Herbst wird über den kommenden Winter spekuliert. Dabei taucht fast immer eine Meldung auf: Deutschland droht womöglich ein extrem kalter, schneereicher Winter.
2024 stellt keine Ausnahme dar. Vor wenigen Tagen kursierte die Meldung von einem möglichen Jahrhundertwinter. Dabei würden uns auf der einen Seite wochenlanger Dauerfrost und nächtliche Temperaturen von unter minus 20 Grad drohen. Zudem wird ein Schneechaos skizziert: rund ein halber Meter Schnee in Städten wie Hamburg oder Köln. Käme das so, wären die Auswirkungen auf den Alltag extrem. Aber was ist dran an diesen Prognosen?

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Fakt ist, der Frühwinter macht sich gelegentlich bemerkbar. Besonders Nordeuropa bekommt es in den kommenden Tagen mit Schneestürmen zu tun. Auch im Osten Europas wird es zumindest frostig kalt. So weit, so normal. Schnee und Frost sind im November in diesen Regionen nicht ungewöhnlich.
Der Winter klopft in Europa an
Bei uns in Mitteleuropa wird es in den kommenden Tagen auch kühler, aber ebenfalls auf normalem Niveau. Dazu gehören ab Ende der Woche Höchsttemperaturen zwischen meist 10 und 15 Grad sowie nächtlicher Frost, primär in höheren Lagen und im Osten. Da wir es insgesamt aber mit einer sehr niederschlagsarmen Hochdrucklage zu tun haben, zählt dies nicht als Wintereinbruch.
Erst Ende November nehmen die Unsicherheiten bei den Wettermodellen zu. Einzelne Berechnungen gehen dann tatsächlich weit in den Keller und lassen ein paar Zentimeter Schnee zu. Aber auch das wäre nicht ungewöhnlich. Selbst in den letzten sehr warmen Jahren kam das immer wieder vor. Bis dahin gibt es also keinerlei Anzeichen für einen Jahrhundertwinter.

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Der Blick in die weitere Wetterzukunft ist nicht nur aus Expertensicht sehr spannend, aber genauso unsicher. Dennoch versuchen immer besser werdende Langfristmodelle eine klimatische Aussage über die kommenden Monate zu geben. Die amerikanische Wetterbehörde NOAA berechnet wenig überraschend positive Temperaturabweichungen für die Wintermonate Dezember bis Februar. Das heißt: Diese drei Monate sollen wärmer ausfallen als im Klimamittel von 1991 bis 2020 – dem ohnehin schon wärmeren, weil neueren Klimamittel. Ähnlich sehen das andere Langfristmodelle, etwa des MetOffice aus Großbritannien oder der europäischen Wetterbehörde ECMWF.
Jahrhundertwinter vs. Jahrhundertereignis
Eine Sache ist aber doch anders als in der Vergangenheit. Besonders der Dezember soll im Vergleich zum zurückliegenden Klima nur minimal wärmer ausfallen. Das kommt in diesen Zeiten einer Ausnahme gleich und wäre gefühlt ziemlich kalt. Da die Langfristberechnungen gleichzeitig nur eine mittlere Temperaturabweichung für den jeweiligen Gesamtmonat darstellen, gibt es einen Spielraum für Schwankungen – auch im kalten Bereich.
Wie das Ganze aussehen kann, hat München im letzten Dezember zu spüren bekommen. Mit 42 Zentimetern Neuschnee vom 1. zum 2. Dezember 2023 gab es neben einem neuen Rekord ein Schneechaos. Das ist nichts weniger als ein Beweis dafür, dass auch sehr winterliche Extremwetterlagen zu einem wärmer werdenden Klima gehören. Schaut man auf den gesamten Dezember 2023, entdeckt man für München dennoch ein Plus von über 3 Grad im Vergleich zum Klima von 1991 bis 2020.

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Die Winter werden immer wärmer und sie werden immer feuchter. Das sogenannte Feuchtedargebot ist in diesem Winter so groß wie selten, wenn nicht sogar so groß wie nie seit Beginn der flächendeckenden Messungen. Die Meere um uns herum sind extrem warm, daher verdunstet deutlich mehr Wasser als sonst. Das Plus an Feuchtigkeit in der Luft kann im kommenden Winter bei Kälteeinbrüchen zu großen Schneemengen führen. Man spricht dann aber von einem möglichen Jahrhundertereignis, keinem Jahrhundertwinter.
Nur Polarwirbel könnte Extremwinter bringen
Gibt es zumindest die nötige Kälte für ein derartiges Ereignis? Nun, in näherer Zeit wird es erste stärkere Kaltluftausbrüche von Grönland in Richtung Skandinavien geben. Bei uns kommt davon nicht viel an. Sollte sich das ändern, kommt aber ein oben schon angerissener Punkt dazu. Die Kaltluft würde uns über den Seeweg erreichen und von den überdurchschnittlich warmen Meeren stark erwärmt werden. Es gibt derzeit also schlichtweg keine Luftmasse um uns herum, die einen Jahrhundertwinter auslösen könnte.
Die einzige ernst zu nehmende Option für ein Jahrhundert-Szenario wäre ein massiver Polarwirbel-Split. Der Polarwirbel ist ein im Winter auftretendes Starkwindband über dem Nordpol. In der Polarnacht kühlt dort die Luft extrem aus. Die starken Winde wehen einmal um den Pol herum und halten die eisige Luft in den hohen Breiten gefangen, ähnlich wie ein Windvorhang an einer Kaufhaustür.

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Wird dieser Wirbel instabil, drängt milde Luft nach Norden und polare Luft nach Süden – so geschehen im Dezember 2023 mit schneereichen Folgen für München. Auch im Januar 2024 geschah das. Köln beispielsweise bekam so viel Schnee und Frost wie seit Jahren nicht mehr. Nur durch dieses extreme Phänomen war es möglich, dass der gesamte Januar 2024 nicht zu warm ausfiel, sondern das Klimasoll von 1991 bis 2020 erreichte. Es braucht also sehr viel Einsatz der Natur, um überhaupt noch in den "zu kalten" Bereich zu rutschen.
Berechnungen für die Stabilität des Polarwirbels sind der größte Unsicherheitsfaktor für Winterprognosen. Die meisten Berechnungen sehen aktuell einen äußerst stabilen Polarwirbel. Die Wahrscheinlichkeit für extreme Kältewellen in Deutschland ist demnach gering. Das Wahrscheinlichste ist also – mal wieder – ein zu milder Winter mit kurzen Phasen, die uns daran erinnern, wie der Winter vor ein paar Jahrzehnten mal war.
Quelle: ntv.de