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Corona und Schul-Öffnungen: “Meist tragen die Lehrer das Virus in die Schule – nicht die Kinder”

August 06
22:28 2020
Unterricht mit Mund-Nasen-Schutz: Keine Zweifel mehr an Wirksamkeit von Masken Icon: vergrößern

Unterricht mit Mund-Nasen-Schutz: Keine Zweifel mehr an Wirksamkeit von Masken

Foto: izusek/ Getty Images

SPIEGEL: Herr Hübner, die Corona-Fallzahlen in Deutschland steigen weiter, am Donnerstag hat das Robert Koch-Institut (RKI) erstmals seit drei Monaten mehr als 1000 Corona-Neuinfektionen an einem Tag gemeldet. Ist es richtig, Schulen und Einrichtungen für kleinere Kinder wieder regulär zu öffnen?

Johannes Hübner: Da gibt es aus meiner Sicht keine Alternative. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Bildung, Teilhabe, Förderung und Betreuung und leiden stark darunter, wenn sie nicht in die Schule gehen können. Das steht so auch ausdrücklich in einer Leitlinie, die ich gemeinsam mit anderen Medizinern erarbeitet habe.

Wir wissen inzwischen, dass die häusliche Gewalt zunimmt, außerdem haben die Kinder in der Lockdown-Phase viel weniger Zeit mit Lerninhalten verbracht, das hat gerade erst eine Studie gezeigt. Die Frage ist nicht, ob es richtig ist zu öffnen, sondern wie wir es vernünftig hinbekommen.

SPIEGEL: Die Bundesländer haben sehr unterschiedliche Regeln erlassen. In Brandenburg ist keine Maskenpflicht geplant, in Baden-Württemberg gilt sie zumindest auf weiterführenden Schulen auf dem gesamten Schulgelände, im Unterricht aber nicht. In Nordrhein-Westfalen dürfen nur Grundschüler ihre Masken am Platz im Klassenzimmer abnehmen. Welche dieser Regeln sind tatsächlich sinnvoll?

Hübner: Es ist wichtig zu betonen, dass Masken grundsätzlich wirksam sind. Darüber gibt es keinen Zweifel mehr, zahlreiche Studien zeigen das. An Masken – egal welcher Art – kommen wir also nicht vorbei. Trotzdem sollten wir abwägen, in welchen Situationen ihr Einsatz im Verhältnis zum konkreten Infektionsrisiko eine zu hohe Belastung darstellt, gerade bei Kindern. Es muss auch zwischen verschiedenen Altersstufen unterschieden werden.

SPIEGEL: Zu welchem Schluss kommen Sie?

Hübner: In den meisten Situationen ist es kein Problem, eine Maske zu tragen. Wir haben uns daran gewöhnt, bei uns in der Klinik tragen alle Mitarbeiter ständig eine Maske. Auch den größeren Kindern ab zehn Jahren ist es zuzumuten, auf dem Pausenhof, in den Gängen und auf dem Weg ins Klassenzimmer eine Maske aufzusetzen.

Jüngere Kinder spielen in der Pandemie dagegen wahrscheinlich eine geringere Rolle. Beobachtungen aus verschiedenen Ländern, die Schulen und Kindergärten nicht geschlossen oder schon länger wieder geöffnet haben – China, Korea, Italien, Dänemark, Island und Irland -, zeigen ganz überwiegend, dass sich kleinere Kinder seltener mit dem Coronavirus anstecken und selten schwer erkranken. Sie müssen nach meiner Einschätzung aktuell keine Maske tragen. Am Platz können auch ältere Kinder den Schutz ablegen.

SPIEGEL: Ist nicht gerade beim langen gemeinsamen Sitzen im Klassenzimmer das Infektionsrisiko hoch?

Hübner: Die jetzige Entwicklung mit steigenden Fallzahlen ist ein Alarmsignal – noch gibt es bundesweit aber weniger als 25 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen. Das Risiko, dass ein Schüler in einer Klasse infiziert ist und das Virus dort weitergibt, ist im Moment also gering. Gleichzeitig ist die Maske im Unterricht ein deutlich höherer Störfaktor als in den meisten anderen Situationen.

SPIEGEL: Und wenn die Fallzahlen weiter steigen?

Hübner: Dann könnten auch Masken am Platz im Unterricht sinnvoll sein, bevor man wieder ganze Schulen dichtmacht. In Regionen, in denen es mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen gibt, halten wir bei einem starken Infektionsgeschehen auch Masken für Schulkinder unter zehn Jahren für angemessen. Es gilt, diese Maßnahme flexibel an die jeweilige Situation in der Pandemie anzupassen. Masken sind aber auch nicht das einzige Mittel, um in Schulen Corona-Infektionen zu verhindern.

SPIEGEL: Was halten Sie außerdem für sinnvoll?

Hübner: Ganz wichtig ist, spätestens ab einer mittleren Zahl Neuinfektionen, dass die Schulen Klassenverbände klar definieren. Nur Kinder einer Klasse sollten Kontakt miteinander haben. Selbst wenn dann Fälle an Schulen auftreten, muss nicht gleich die ganze Einrichtung geschlossen werden. Es reicht, wenn der betroffene Klassenverband isoliert und getestet wird. Falls sich ausschließen lässt, dass ein Lehrer das Virus von Klasse zu Klasse getragen hat, können die übrigen Schüler weiter zum Unterricht gehen.

Außerdem sollten Klassenräume regelmäßig gelüftet werden. Das reduziert das Risiko, dass Sars-CoV-2 in der Luft zu Ansteckungen führt.

SPIEGEL: Sollten Schüler und Lehrer sicherheitshalber regelmäßig auf eine Corona-Infektion getestet werden?

Hübner: Das routinemäßige Testen von allen Lehrern oder Schülern ist nicht machbar. Es beansprucht viele Kapazitäten, ist nicht bezahlbar und auch nicht sinnvoll. Der Test ist nur eine Momentaufnahme, das heißt man müsste mehrmals pro Woche Hunderttausende asymptomatische Menschen testen. Es gibt aber eine ganze Reihe von Studien in verschiedenen Bundesländern, bei denen stichprobenartig geprüft wird, ob das Virus unbemerkt an Schulen zirkuliert.

SPIEGEL: Im Herbst wird es wieder viele Kinder mit Erkältungen geben. Was bedeutet das für den Schulbetrieb zu Corona-Zeiten?

Hübner: Das wird ein Riesenproblem werden. Aber auch da müssen wir versuchen, einen vertretbaren Mittelweg zu finden. Ein Kind, das nur eine laufende Nase hat, sich sonst aber gut fühlt, muss nicht automatisch auf Corona getestet werden, bevor es am Unterricht teilnehmen darf. Umgekehrt sollten aber Kinder, die wirklich krank sind, also beispielsweise Fieber haben, sich schlapp fühlen oder husten, unbedingt zu Hause bleiben. Da trägt in nächster Zeit jedes Elternteil eine große Verantwortung.

SPIEGEL: Wie gefährlich ist der Unterricht für Lehrer?

Hübner: Für sie besteht das gleiche Risiko wie in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens. Zu diesem Schluss kommt auch das RKI in seiner Bewertung der Risiken für verschiedene Berufsgruppen. Lehrer sollten, soweit es sie nicht davon abhält, Unterrichtsinhalte zu vermitteln, einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Bisherige Erfahrungen aus dem Ausland zeigen: Meist tragen die Lehrer das Virus in die Schule – nicht die Kinder.

SPIEGEL: Welches Risiko gibt es für Corona-Ausbrüche an Schulen?

Hübner: Es wird nicht gelingen, die Infektionen dort vollständig zu vermeiden. Das ist aber auch in U-Bahnen und Bussen oder in Geschäften oder in anderen Situationen des alltäglichen Lebens so. Zwar stecken sich Kinder offenbar seltener an, das Risiko ist aber nicht null. Das muss uns bewusst sein.

Icon: Der Spiegel

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