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Corona – Leben mit dem Lockdown: Acht Betroffene in der Krise

June 23
11:09 2020
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Benjamin Maack/ DER SPIEGEL; Benjamin Roth; Freigeist Fotografie; Sonja Werner

Das Virus hat unsere Leben ganz schön durcheinandergeworfen.

Als Mitte März die Corona-Einschränkungen begannen, änderte sich der Alltag der meisten Menschen innerhalb weniger Tage dramatisch. Schulen und Kindergärten, Bars und Klubs, Restaurants, Kinos und Fitnessstudios schlossen. Konzerte und Fußballspiele wurden abgesagt. Statt zur Arbeit zu gehen, blieben viele im Homeoffice, manche Jobs waren plötzlich unentbehrlich – und in anderen gab es mit einem Mal gar nichts mehr zu tun.

Aber wie geht es den Betroffenen eigentlich? Wie hat Corona ihren Alltag verändert? Welche Ängste und Probleme hat er gebracht? Und wie sind sie damit umgegangen?

Es sollte nicht um Infizierte gehen, sondern um die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie. "Die Opfer der Coronakrise" nannten wir die erste Idee zu diesem Stück. Passend zum Titel der Serie "Heldinnen und Helden des Corona-Alltags". Wir sagten immer "Arbeitstitel". Irgendwie war uns schon am Anfang klar, dass "Opfer" ein ziemlich heftiger Begriff ist. Erwarteten wir nur Menschen, die wie erstarrt auf die Trümmer ihrer Existenz blickten, darauf warteten, dass Corona vorbei ist und alles wie vorher weitergeht? Sicher nicht.

Es erfordert Mut, sich in verletzlichen Situationen zu offenbaren

Es war gar nicht so leicht, Menschen zu finden, die bereit waren, mit uns über ihre Situation und die Herausforderungen zu sprechen, die mit dem Lockdown gekommen waren. Klar. Es ist leichter von Erfolgen zu berichten als von Problemen. Viele, die wir kontaktierten, sagten, sie fänden es sehr wichtig, die Leute zu fragen, wie es ihnen geht und ihnen Gehör zu verschaffen – aber sie selbst könnten das nicht. Zwei gaben erst Auskunft, zogen ihre Protokolle dann aber doch noch zurück.

"Wenn ich das so lese", schrieb eine der beiden Personen, "puh. Ich möchte nicht, dass das veröffentlicht wird." Das ist verständlich. Denn es erfordert Mut, sich in einer so verletzlichen Situation zu offenbaren. Zugleich ist es schade, denn auch die Geschichte dieser Person ist eine Erfolgsgeschichte.

Den meisten ist es gelungen, in den vergangenen Wochen Wege zu suchen und zu finden, um weiterzumachen. Keine breiten Straßen, sondern Pfade voller schlecht einsehbarer Biegungen und gefährlicher Abgründe, durch Dickicht und über Stolpersteine. Wege, die Mut und Kraft erfordern.

So wurde aus den erwarteten Protokollen der Not auch eine Runde der Optimistinnen, Kreativen, Kämpferinnen.

"Zwischenzeitlich hatte ich schon befürchtet, dass ich wieder in meinen alten Job zurückmuss"

"Als der Lockdown losging, war das wie ein Schlag vor den Kopf. Das begann bei mir Freitag. Ich habe sechs Auftraggeber, darunter Fitnessstudios, Reha-Zentren, Physiotherapiepraxen und eine Kirchengemeinde – und bis Sonntag hat mir einer nach dem anderen mitgeteilt: Ab sofort darf kein Unterricht mehr stattfinden. Ich hatte richtige Verlustängste.

Ich habe dann 'Soforthilfe 2' beantragt und sie relativ zügig erhalten. Aber da bis heute in Berlin nicht geklärt ist, ob das Geld zurückgezahlt werden muss, habe ich einen Teil des Geldes auf ein Sparbuch gelegt, bis das geklärt ist. Versteuern muss ich die Summe ja auch noch. Im Moment gehe ich an meine Rücklagen, die auch nur begrenzt sind.

Zwischenzeitlich hatte ich schon befürchtet, dass ich wieder in meinen alten Job zurück muss. Ich habe lange in einem Steuerbüro gearbeitet. Aber das wäre keine gute Alternative. Das was ich jetzt mache, ist für mich kein Beruf, sondern eine Berufung. Zum Glück haben mich Teilnehmer angeschrieben und angerufen, mir Mut gemacht. Sie fragten: Können wir die Kurse nicht trotzdem irgendwie stattfinden lassen? So habe ich Zoom für mich entdeckt und angefangen, darüber zu unterrichten.

"Die haben sich total allein und verlassen gefühlt"

Viele meiner Teilnehmer sind weit über Sechzig. Sie haben teilweise auch keinen Mann mehr. Einige haben sich total allein und verlassen gefühlt und waren happy, dass sie über das Internet mitmachen konnten. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Trotz Kontaktbeschränkungen bin ich zu dem einen oder anderen hingefahren, habe mir den Laptop geholt und habe denen das eingerichtet.

Die Fitnessstudios sind ja mittlerweile zum Glück wieder geöffnet. Doch obwohl ich alle Hygienemaßnahmen einhalten könnte, öffnen einige meiner Auftraggeber aus Angst vor Corona ihre Räume nicht. Dabei kann Abstand gewährleistet werden, wir können unsere Hände desinfizieren, wir haben die Möglichkeit, zu lüften. So sicher ist einkaufen nicht. Klar, da haben alle einen Mundschutz, aber bei manchen bleibt die Nase frei. Und wenn du im Supermarkt bist, dann stehen die anderen nicht mit anderthalb Meter Abstand.

Drei Kurse in der Woche laufen mittlerweile über Zoom. Wer etwas bezahlen kann, bezahlt was und wer nichts bezahlen kann, bezahlt nichts. Ich freue mich, dass ich helfen darf, dass sie sich gut fühlen und keine Schmerzen haben."

"Ich habe alles so umgebaut, wie ich es eigentlich haben wollte"

"Letztes Jahr hatte ich noch einen Foodtruck. Im Februar habe ich meinen eigenen Laden "Yamacito Seafood Bar" in St. Peter-Ording eröffnet. Als ich hörte, dass wegen Corona Großveranstaltungen abgesagt werden, habe ich noch gedacht: meine armen Foodtruck-Kollegen, die sind richtig gekniffen, wenn es keine Events gibt. Eine Woche später wurde überall die Gastronomie geschlossen und der Lockdown hat auch mich voll erwischt.

Ich bin eher ein Optimist und habe versucht, das Beste aus der Zeit zu machen. Ich habe einen Kredit aufgenommen, um den Laden zu übernehmen und hatte einen kleinen Puffer in meine Kalkulation eingebaut. Die Zeit habe ich genutzt, um jede Schraube noch ein zweites Mal anzuziehen. Ich habe alles so umgebaut, wie ich es eigentlich haben wollte.

Schlaflose Nächte hatte ich trotzdem. Mitte April durfte ich meinen Laden wieder aufmachen. Dadurch, dass Fischbrötchen vor allem außer Haus verkauft werden, konnte ich schon ein bisschen früher anfangen als andere. Da allerdings noch keine Zweitwohnungsbesitzer und Touristen anreisen durften, waren die Umsätze natürlich nicht so großartig.

"Jetzt geht es erst mal los"

Aber es kommt natürlich auch nicht häufig vor, dass man einen ganzen Strand für sich hat. Normalerweise ist der Strand von St. Peter-Ording immer voller Menschen. Selbst die Einheimischen haben gesagt, sowas hätten sie hier noch nie erlebt.

Noch ein Lockdown wäre für mich eine Katastrophe. Ich würde die Zeit wahrscheinlich überstehen, weil ich mit meinem Vermieter die Übereinkunft getroffen habe, dass ich – für den Fall, dass ich durch Corona in finanzielle Schwierigkeiten komme – meine Miete später zahlen kann. Was aber zusammen mit dem Kredit, den ich schon habe, eine Menge Schulden wären.

Aber jetzt geht es erst mal los. Die Tagesgäste dürfen wieder kommen. Und die Leute haben richtig Bock auf Nordsee. Von Hoteliers und Apartmentvermietern habe ich gehört, dass die teilweise schon bis zum Herbst ausgebucht sind.

"Ich kann noch nicht mal auf jemanden sauer sein."

"Seit Jahren toure ich schon mit meinen Songs durch Klubs, Ateliers und kleinere Pubs. Nachdem ich 2019 mein Studium abgeschlossen habe, habe ich mir gesagt: 2020 wird dein Jahr! Ich wollte auf Tour gehen, die Buchungen sind angelaufen und ich habe parallel dazu ein Crowdfunding vorbereitet, um eine CD aufzunehmen.

Wer das schon einmal gemacht hat, weiß, wie viel Arbeit man in so ein Projekt stecken muss. Für die Band und die Studioproduktion, die Grafik und das ganze Drumherum benötige ich mehrere Tausend Euro. Dazu waren Konzerte geplant, um Reichweite und Aufmerksamkeit zu generieren. Am 1. März haben wir auf den Startknopf gedrückt und die Werbung anlaufen lassen – und zwei Wochen später kam dann Corona.

"Es fühlt sich einfach nur beschissen an"

Alle Veranstaltungen und Live-Gigs wurden abgesagt. Die Hochzeitssaison im Frühjahr, die Festivals im Sommer – alles gestrichen. Das war für mich die Vollkatastrophe. Du investierst Zeit, Kreativität und ganz viel Liebe in so ein Projekt, und dann kommt eine Absage nach der anderen. Das ist einfach nur noch zum Heulen. Und ich kann noch nicht einmal auf jemanden sauer sein. Es fühlte sich einfach nur beschissen an.

Dabei geht es mir noch verhältnismäßig gut, ich lebe mit meinem Freund zusammen und weiß, dass meine Miete zur Not dadurch gesichert ist. Eine Freundin von mir, die auch Musikerin ist und allein lebt, hat im Moment gar nichts mehr. Keinen einzigen Cent. Das ist so bitter.

Ich bin im Moment in den Sozialen Medien aktiv. Onlinekonzerte macht zwar im Moment jeder, aber ich versuche, dadurch einfach sichtbar zu bleiben. Und es ist berührend, wenn einer meiner Gesangsschüler, die ich derzeit online unterrichte, mit einem kleinen Betrag von seinem Taschengeld die CD-Produktion unterstützt. Ich hoffe einfach, dass ich bald wieder spielen kann – vor echtem Publikum, in einem richtigen Konzertsaal."

"Wir hatten schon vor Corona zu kämpfen"

"Die meisten denken, Hebamme ist ein krisensicherer Job. 'Bei Euch ist ja alles gut, Babys kommen immer.'

Auf eine Art stimmt das. Bei nur zwei Geburtshäusern in Hamburg ist die Nachfrage generell sehr hoch und momentan steigt sie sogar, weil die Frauen Angst haben, in ein Krankenhaus zu gehen. Nicht nur wegen der Infektionsgefahr sondern auch wegen der Corona-bedingten Umstände: In manchen Kreißsälen müssen die Frauen bei der Geburt eine Maske tragen. Aber du kannst nicht mit einer Maske im Gesicht ein Kind auf die Welt bringen, wenn du schwer atmest und stark arbeitest. Und in manchen Kliniken dürfen sogar die Partner nicht im Kreißsaal dabei sein – aber bei einer Geburt brauchst du eine vertraute Person an deiner Seite.

Trotz aller vermeintlichen 'Krisensicherheit' hatten Hebammen und Geburtshäuser aber schon vor Corona mit schlechter Bezahlung seitens der Krankenkassen und hohen Nebenkosten zu kämpfen. Die Haftpflichtversicherung für eine Hebamme kostet momentan etwa 8600 Euro im Jahr und steigt im Juli um weitere zehn Prozent. Dazu kommen Kosten für Qualitätsmanagement, Mieten und Gerätewartung. Außerdem massiv gestiegene Preise für Schutzmaterialien wie Desinfektionsmittel, Masken und Handschuhe.

"Um durchzukommen, müssten wir investieren"

Das Geburtshaus ließ sich deshalb nur durch viele Zusatzangebote halten: Kurse, Beratungen, Fortbildungen für Hebammen. Finanziell war es schon immer eng. Da darf es keine Überraschungen geben. Und damit meine ich nicht Corona, sondern Waschmaschine und Trockner gehen gleichzeitig kaputt.

Seit Corona finden nur noch die Vorbereitungskurse statt. Und auch die nur mit einer geringeren Teilnehmerzahl – wegen des Sicherheitsabstands.

Durch mehr betreute Geburten könnten wir das Geburtshaus also durch die Coronazeit kriegen. Aber dafür müssten wir investieren und den Kursraum so ausstatten, dass er mit wenigen Handgriffen als zweites vollwertiges Geburtszimmer genutzt werden kann. Aber allein der zweite Herztonschreiber, den wir bräuchten, kostet 5000 Euro. Das können wir uns im Moment einfach nicht leisten. Deshalb versuchen wir es gerade mit einer Spendenaktion und hoffen, dass wir dann mit der veränderten Struktur durchkommen, zumal wir jetzt schon Anmeldungen bis Februar 2021 haben und jetzt Entscheidungen treffen müssen."

"Die ganze Zeit habe ich das Gefühl, die Zeit sitzt mir im Nacken"

"Vergangenes Jahr hatte ich noch einen festen Job, aber dann hat mir das Unternehmen gekündigt. Anfangs habe ich mir keine großen Gedanken deswegen gemacht. Ich dachte, dass ich schnell eine neue Stelle finden würde und hatte auch Lust auf etwas Neues. Aber da habe ich noch nichts von Corona geahnt.

Meine Frau und ich haben eine kleine Tochter. Sie ist zweieinhalb Jahre alt und durfte über Wochen gar nicht in ihre Kita gehen, seit Kurzem drei Tage pro Woche. Als die Einrichtung Mitte März von einem Tag auf den anderen geschlossen hat, habe ich gerade eine vom Arbeitsamt geförderte mehrmonatige Online-Fortbildung gemacht, zunächst mit Präsenzpflicht vor Ort – später am heimischen Computer: jeden Tag von 8.30 Uhr bis 16.15 Uhr. Aber weil die ganze Zeit ein Kleinkind Aufmerksamkeit von Papa einfordert, habe ich nur die Hälfte vom Stoff mitbekommen. Ich musste die Fortbildung abbrechen.

Meine Frau hat eine feste Stelle, ist beruflich gefordert und muss in Ruhe arbeiten können. Deshalb habe ich den größten Teil der Kinderbetreuung übernommen.

"Anfang Januar läuft das Arbeitslosengeld aus"

Zuerst habe ich den positiven Aspekt gesehen: Dass ich die Kleine nun problemlos versorgen kann. Es macht mir Spaß, die Tage mit ihr zu verbringen. Aber je länger diese Situation anhält, desto weniger weiß ich, wie ich wieder aus der Arbeitslosigkeit herausfinden soll. Viele Firmen haben einen Einstellungsstopp, und selbst wenn ich Arbeit finde, kann ich dem Chef zurzeit nicht versprechen, dass mein Kind in absehbarer Zeit fünf Tage pro Woche in die Kita gehen kann.

Die ganze Zeit habe ich das Gefühl, die Zeit sitzt mir im Nacken. Finanziell geht es uns noch ganz gut. Aber Anfang Januar läuft das Arbeitslosengeld aus, dann rutsche ich ins Nichts. Weil meine Frau verdient, würde ich nicht mal Hartz IV bekommen. Ich könnte freiberuflich arbeiten, aber auch das geht nur, wenn die Kleine in die Kita gehen kann.

Ich bin zwar ein optimistischer Mensch, aber diese Ungewissheit belastet mich. Ich fühle mich von der Politik in dem Punkt alleingelassen. Das zieht mal mich, mal meine Frau herunter. Aber wir sind ein gutes Team, unterstützen einander und machen uns gegenseitig Mut. Das ist sehr wichtig in dieser Zeit."

"Aus Köln zurück ins Kinderzimmer"

"Bis Ende März habe ich noch in Köln gewohnt. In einer Ein-Zimmer-Wohnung, sehr sehr klein, aber bezahlbar. Und nur zehn Minuten zu Fuß bis zur Uni. Dann kam Corona.

Neben dem Studium arbeite ich selbstständig als Rechtsanwaltsfachangestellte. Aber ab Februar gab es immer weniger zu tun, so dass ich im März fast gar keine Aufträge mehr hatte. Hinzu kam: Mein Vater hat mich monatlich mit 100 Euro unterstützt. Der ist ebenfalls selbstständig und arbeitet für die Messe in Köln. Aber da ist ja auch alles ausgefallen und er war kurz vor der Insolvenz.

Ich habe mich nach intensivem Nachdenken dann relativ kurzfristig entschieden, die Wohnung aufzugeben und wieder zu meiner Mutter zu ziehen. Ich weiß noch, wie ich mich am 16. März mit Freundinnen und Freunden in einem Frühstückslokal getroffen habe. Die vom Lokal haben an dem Tag die Benachrichtigung bekommen, dass sie am nächsten Tag schließen müssen. Das ging alles so schnell, dass ich wirklich Angst hatte. Den Umzug wollte ich einfach nur schnell durchziehen, weil ich Angst hatte, dass ich bei einem kompletten Lockdown nicht mehr aus der Wohnung komme. Ich brauchte ja auch Leute, die mir helfen.

Von der Entscheidung bis zum Auszug vergingen maximal zwei Wochen.

"In Voiswinkel fährt einmal pro Stunde ein Bus"

Jetzt wohne ich zusammen mit meiner Mutter und meinen beiden Brüdern in Voiswinkel, einem Dorf in der Nähe von Bergisch Gladbach. Das ist schon ungewohnt. Ich bin 26 und würde von mir behaupten, dass ich eine erwachsene, selbstständige Frau bin – und dann wieder zurück ins Kinderzimmer, das gibt mir schon das Gefühl, dass ich gescheitert bin. Auch wenn es eigentlich gar nicht so ist.

In Voiswinkel fährt einmal pro Stunde ein Bus. Mit Wartezeiten und Umsteigen brauche ich jetzt 90 Minuten zur Uni. Momentan geht das noch, weil alles digital stattfindet, deshalb muss ich nur für die Arbeit nach Köln. Aber wenn die Präsenzveranstaltungen wieder losgehen, wird das noch mal eine ganz andere Situation sein.

Ich möchte auf jeden Fall wieder in Köln wohnen, weiß aber nicht, ob ich das vor meinem Examen schaffe – das wäre in zwei bis drei Jahren.

"Bald ist das Geld aus"

"Am 20. März war mein letzter Arbeitstag. Da habe ich sechs Stunden am Flughafen gewartet und 29 Euro Umsatz gehabt. Seitdem lohnt Taxifahren nicht mehr, und ich möchte meine Familie nicht gefährden. Bis dahin habe ich immer 80 Stunden in der Woche gearbeitet, zwölf Stunden pro Tag.

Ich habe Corona-Soforthilfe beantragt und auch bekommen. Aber das ist ein Strohfeuer für eine vierköpfige Familie. Bis zum Mai hat es geholfen. Aber was in den nächsten Monaten passiert, weiß ich nicht. Derzeit bekommen wir Hilfe vom Arbeitsamt. Für Miete, Strom und Wasser.

"Taxifahren lohnt immer noch nicht"

Aber bald ist das Geld aus und dann haben wir nichts mehr zum Leben. Und meine Betriebsausgaben gehen ja weiter – Fahrzeugkosten, Versicherung, Kfz-Steuer, Berufsgenossenschaft, Garagenmiete. Und das Taxifahren lohnt immer noch nicht. Erst vor ein paar Tagen habe ich mit einem Kollegen gesprochen. In zehn Stunden hat er 40 Euro verdient. Am Flughafen fliegen mittlerweile rund 25 Maschinen am Tag, vorher waren es zehn bis 20 in der Stunde.

Ich lese viel, um mich zu entspannen und an etwas anderes zu denken, spiele Keyboard und Gitarre, ich male gern. Aber trotzdem: Irgendwann holt mich die Langeweile ein. Dann gehe ich raus, doch draußen ist das Leben auch nicht mehr wie vorher.

Meine Frau und meine Kinder unterstützen mich, aber ich mache mir große Sorgen um meine Existenz – als Vater, als Ehemann, als Unternehmer. Normalität wird es für uns Taxifahrer in Hamburg so schnell nicht geben. Wir haben keine Großveranstaltungen. Die ganzen Musicals und Hotels sind geschlossen. Fußball, Schlagermove, Konzerte – findet alles bis auf Weiteres nicht statt."

"In vielen Musikerhaushalten schmelzen gerade alle Reserven und Altersrücklagen”

"In Bonn dirigiere ich den Philharmonischen Chor, in Köln die Kartäuserkantorei, beides sind Ensembles, in denen Laien singen. Üblicherweise proben wir mehrere Monate lang, und dann folgt ein Konzert. Neulich wäre es soweit gewesen: Werke von Händel und Bach, als Solisten und im Orchester waren professionelle Musiker und Musikerinnen engagiert. Ich musste allen absagen.

Natürlich war das für die Chorsänger und mich sehr traurig. Ich habe Glück, meine Honorare stammen aus den Mitgliedsbeiträgen der Sänger und Sängerinnen. Aber andere Kollegen und Musiker trifft die Situation härter. Ihre Existenz hängt an den Konzerten, den Gagen.

Manche unterrichten nebenbei, das ist allerdings oft nur ein Zuverdienst. In vielen Musikerhaushalten schmelzen gerade alle Reserven und Altersrücklagen zusammen. Die staatlichen Hilfsprogramme nützen häufig wenig: Sie sind für Betriebskosten, nicht aber für Lebenshaltungskosten gedacht. Musiker und Musikerinnen haben in der Regel aber keine Firmenautos oder Büroräume. Und die Ausfallhonorare, die der Bund bereitstellt, bekommen nur jene, die schon vor Corona staatlich gefördert wurden.

"Das, worum es geht, fehlt"

Wir brauchen neue Wege des Fundraisings für die Kollegen. Wenn deren berufliche Existenz wegbricht, wird es auch zahlreiche Konzerte in Zukunft nicht mehr geben.

In den ersten Wochen der Pandemie habe ich Musikdateien per Mail verschickt, damit die Sänger ihre Töne einstudieren konnten. Inzwischen treffen wir uns wöchentlich zur Videokonferenz: Wegen der Rückkopplung schalten alle ihre Mikros aus, nur meines ist in Betrieb, ich spiele Klavier, erkläre, an welchen Stellen man atmet, höre aber nicht, was die Sänger singen. Das, worum es geht, der Chorklang, die gemeinsame Musik, fehlt also. Doch es ist besser als nichts.

Ich hoffe, dass wir Ende Juni wenigstens mit ein paar Sängerinnen und Sängern wieder in einem Raum proben dürfen. Mit Abstand, natürlich, und nur mit jenen, die dazu bereit sind. Konzerte zu bestreiten, stelle ich mir kompliziert vor, da drängt sich bislang der Chor auf dem Podest, und das Orchester sitzt in engem Abstand davor. Vielleicht können wir erst einmal nur draußen an der frischen Luft Konzerte anbieten. Die Normalität, zu der wir alle zurückkehren wollen, braucht für die Zukunft sicherlich lauter neue Formate."

Aufgezeichnet von Silke Fokken, Armin Himmelrath, Benjamin Maack und Katja Thimm

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