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Zweite Corona-Welle in Iran: Gefährlich locker

June 11
19:52 2020
Markt in Teheran: Vielen Iranerinnen und Iraner nehmen Corona nicht mehr ernst Icon: vergrößern

Markt in Teheran: Vielen Iranerinnen und Iraner nehmen Corona nicht mehr ernst

ATTA KENARE / AFP

Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, und doch hatte Irans Präsident Hassan Rohani offenbar das Gefühl, seine Landsleute daran erinnern zu müssen. "Die Menschen müssen erkennen, dass es für diese Pandemie keinen klaren Endpunkt gibt und es sehr lange dauern wird, bis ein Impfstoff entwickelt wird", sagte er vergangenen Samstag in einer Rede im Staatsfernsehen.

Er bat die Iranerinnen und Iraner zu verstehen, dass Hände waschen, Masken tragen und Abstand halten auf absehbare Zeit Teil ihres Lebens blieben, und betonte, wie wichtig dies sei, um das iranische Gesundheitssystem nicht zu überlasten.

Die iranische Regierung hat dazugelernt. Noch im Februar, als Iran als eines der ersten Länder nach China unter einer massiven Corona-Welle litt, versuchten die Behörden, das Ausmaß zu vertuschen. Viele Iranerinnen und Iraner waren empört über die Inkompetenz ihrer Regierung. Rohani steht zudem innenpolitisch unter Druck durch erzkonservative Rivalen.

"Wir haben keine Wahl"

Nun, da Teile des Irans eine zweite Welle erleben, bemüht sich der Präsident um bessere Kommunikation. Regelmäßig aktualisiert das Gesundheitsministerium die Fallzahlen: Seit Februar gab es in Iran mehr als 8200 Corona-Tote, rund 170.000 Menschen haben sich infiziert.

Der iranischen Regierung fällt es leichter einzugestehen, dass sich das Virus wieder verbreitet, da nun auch so viele andere Staaten betroffen sind. Die weltweit höchsten Fallzahlen verzeichnen derzeit die USA und Großbritannien, wie die iranischen Statistiker nicht müde werden zu wiederholen. Gleichzeitig gibt es auch in Iran beunruhigende Entwicklungen: Mehrere Provinzen im Norden und Westen des Landes gelten als Kategorie "Rot": Die Zahl der Fälle ist dort auf hohem Niveau und nimmt teils weiter zu.

Eine zweite Welle ist im Gange, auch wenn es schwierig ist, ihr Ausmaß klar zu benennen: Zwar sind die Infektionszahlen wieder auf einem sehr hohen Niveau von teils über 3000 Fällen pro Tag wie zu Zeiten der ersten Welle. Allerdings hat Iran seitdem seine Testkapazitäten deutlich erhöht. Die Todeszahlen liegen bisher noch konstant bei ungefähr 70 pro Tag, doch das könnte sich in einem guten Monat ändern. Schließlich dauert es von der Infektion bis zum Tod.

Rohani verfolgt die Entwicklung der Seuche mit Sorge, doch er behauptet gleichzeitig, die Regierung könne nicht viel mehr tun. Aufgrund von Misswirtschaft und harschen amerikanischen Sanktionen war Irans Wirtschaft bereits vor Corona in einem desolaten Zustand. "Unter diesen Umständen haben wir keine Wahl", sagte Rohani. "Wir müssen arbeiten, unsere Fabriken müssen in Betrieb sein, unsere Läden offen. Es muss in diesem Land so viel Bewegung wie nötig geben."

Die Vorsicht der Iraner lässt nach

Seit April hat die Regierungen viele Beschränkungen wieder aufgehoben. Fast alle Branchen haben die Arbeit wiederaufgenommen. In Teheran herrschen wieder Stau und Gedränge. Auch das Freitagsgebet findet in vielen Städten wieder statt. Ende Juni sollen möglicherweise auch Kinos, Konzerte und Theater wieder öffnen – ungeachtet der Infektionsentwicklung. Die iranische Führung macht die Bürgerinnen und Bürger jetzt größtenteils selbst für die Eindämmung des Virus verantwortlich.

Tatsächlich scheint der laxe Umgang mancher Iranerinnen und Iraner mit Corona zur zweiten Welle beigetragen zu haben. So kritisierte Präsident Hassan Rohani, dass eine Hochzeit ein neues Infektionscluster verursacht habe. Wo diese stattfand, verriet er nicht.

Irans Gesundheitsminister Saeed Namaki sagte der iranischen Nachrichtenagentur ISNA, ihn sorge, dass die Menschen sich wieder völlig sorglos verhielten. Sein Stellvertreter Iraj Harichi sagte, eine Umfrage des Gesundheitsministeriums lege nahe, dass nur noch 40 Prozent der Iraner an Social Distancing glaubten – zuvor waren es 90 Prozent. Er nannte dies eine "Katastrophe". Harichi war im Frühjahr selbst an Corona erkrankt.

Auch die iranische Nachrichtenagentur Tasnim legt nahe, dass die Iranerinnen und Iraner selbst für die jüngsten Anstiege verantwortlich seien. So heißt es in einem ihrer Berichte, dass in der Provinz Chusestan viele arabische Iranerinnen und Iraner sich zum Zuckerfest Ende Mai massenweise gegenseitig besucht hätten. In der Provinz Ost-Aserbaidschan wiederum würden sich viele nicht an die Maskenpflicht in Bussen und Taxis halten.

Teheran fürchtet den Beginn der Sommerferien

Die iranische Regierung fürchtet nun eine Wiederholung des Szenarios wie zu den Zuckerfest-Feiertagen: viele Reisen, Familientreffen und damit weitere Infektionscluster. Denn Mitte Juni beginnen in Iran die Sommerferien, während der viele Iranerinnen und Iraner in die nun am stärksten betroffenen Regionen fahren: in die Heimat zu ihren Familien, in die kühlen Bergdörfer, ans Kaspische Meer.

Das iranische Gesundheitsministerium bittet Iranerinnen und Iraner, von unnötigen Reisen abzusehen und Masken zu tragen. Tatsächlich geht es ohne das Mitwirken der Bürgerinnen und Bürger nicht. Doch für manche ist dies leichter gesagt als getan.

"Wie soll ich duschen oder auch nur mir die Hände waschen, wenn ich kein Wasser habe?", schimpft ein Einwohner der Stadt Ahvaz in der besonders betroffenen Provinz Chusestan in einem Video in sozialen Medien.

In Ahvaz kommt es immer wieder zu Protesten. Viele Menschen dort, darunter einige aus der Minderheit der arabischen Iraner, fühlen sich von Teheran vernachlässigt. Eigentlich ist ihre Provinz reich: Chusestan hat viel Öl und Erdgas und ist zudem strategisch wichtig durch seine Grenze mit Irak. Doch im Alltag mangelt es an allem, selbst an Wasser.

Icon: Der Spiegel

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