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Zittau: Wie die Diskussion über Corona-Beschränkungen verläuft

April 25
22:23 2020

Noch hält die große Mehrheit der Deutschen die Corona-Beschränkungen für angemessen. Doch die Ungeduld wächst. Im sächsischen Zittau führen die Diskussionen zu einer Debatte über das Erbe der DDR.

"Wir sind das Volk", hallt es um 11:30 Uhr über den Platz am Herkulesbrunnen im sächsischen Zittau. Gut 70 Menschen haben sich hier versammelt. 15 davon protestieren offiziell gegen die Corona-Beschränkungen, die anderen sind Zuschauer, bekunden jedoch ihre Zustimmung. In Druckbuchstaben haben die 15 Demonstranten "Maulkorb" auf ihre Masken geschrieben. Auf dem Pflasterstein haben sie mit Klebeband Kreuze markiert, um zu zeigen, dass sie den vorgeschriebenen Abstand einhalten. "Widerstand" rufen sie und halten das Grundgesetz hoch.

Der öffentliche Protest war die neueste Aktion einer Gruppe, die vor zwei Wochen einen Streit in dem 30.000-Einwohner-Ort Zittau angezettelt hat. Noch immer ist die Zustimmung für die Beschränkungen wegen des Virus in Deutschland groß, doch die Werte sinken. Auch Datenanalysen deuten darauf hin, dass die Menschen wieder mehr unterwegs sind. Wie in Zittau gingen in mehreren Orten Deutschlands am Samstag Menschen auf die Straße, um ihren Unmut gegen die Restriktionen zu äußern.

Im ostsächsischen Zittau liefern sich Gegner und Befürworter der Maßnahmen einen Streit per öffentlichem Briefwechsel. Die Auseinandersetzung zerreißt Freundeskreise und eröffnete eine Diskussion um das Erbe der DDR.

"Massive, unverhältnismäßige Grundrechtsverletzungen"

Der Initiator der Gruppe, die am Samstag demonstrierte: Steffen Golembiewski, Videoproduzent. Seine Gruppe bildete sich auf seiner Facebookseite, wo er schon vor Wochen darauf hinwies, dass die Beschränkungen unverhältnismäßig seien. Die Resonanz war so groß, dass man sich zusammentat und einen gemeinsamen Brief formulierte. Am 6. April schickte die Gruppe, damals 24 Personen, ein Schreiben mit der Überschrift "Wir protestieren" an die lokalen Medien. Sie beklagten die "massiven, unverhältnismäßigen Grundrechtsverletzungen durch Einschränkung unserer persönlichen Freiheit und die unabsehbaren Folgen für unsere wirtschaftliche und damit existenzielle Basis." Sie stellen eine "Reaktivierung der Staatsverwaltung in einen totalitären Modus" fest, "wie es ihn in Deutschland seit 30 Jahren nicht mehr gegeben hat".

Inzwischen hat sich eine größere WhatsApp-Gruppe gebildet, "Freiheit und Grundrechte ZI" heißt sie. Gut 50 Personen seien aktiv dabei, sagt Golembiewski. Er selbst ist als Unternehmer von den Maßnahmen betroffen, seine Auftragslage tendiere gegen null. Er und seine Mitstreiter berichten von negativen Erfahrungen. Die 65-jährige Ursula Hassa etwa spricht von einem ihr nicht nachvollziehbaren Quarantänefall in der Familie. Ihre 88-jährige Mutter hätte zum Geburtstag gern die Enkelkinder gesehen. Bei dem Familientreffen eines der Gruppenmitglieder soll die Polizei vor der Tür gestanden haben, sagt Golembiewski.

Eine parteipolitische Richtung habe man nicht, versichert er, auch wenn er schon immer politisch war und sich in einer Stadtinitiative engagiert. Weder hänge die Gruppe Verschwörungstheorien an, noch wolle man sich von Rechtsradikalen vereinnahmen lassen. Als ein Mitglied der Chatgruppe in diese Richtung tendierte und immer wieder gegen Muslime polemisierte, habe man diesen umgehend entfernt. "Wir sind nicht islamophob, das ist überhaupt nicht unser Thema", sagt Golembiewski.

Und doch sei es bezeichnend, dass man gleich in diese Richtung geschoben werde. Er selbst fühle sich an die DDR erinnert. "Wir fangen wieder an leiser zu sprechen: Da stimmt was nicht. Was passiert hier?" Er selbst war Wehrpflichtverweigerer in der DDR, gehörte zum weiteren Dunstkreis der Bürgerrechtsbewegung, wie damalige Mitstreiter sagen.

Auch die aktuelle mediale Berichterstattung finde er falsch, sagt Golembiewski. "Wenn man sich von dem Gespenst, was gejagt wird, befreien will, muss man den Fernseher auslassen." Es werde eine Angst geschürt, die nicht berechtigt sei. Nun fühlen sich die Gruppenmitglieder in der Stadt wie Aussätzige behandelt, manche beklagen Schikane am Arbeitsplatz und im Freundeskreis.

Seine engste Unterstützerin Claudia Loewenau ist der Auffassung, die Regierung solle mehr auch Wissenschaftler anhören, die zu anderen Ergebnissen kommen. Sie zweifle nicht daran, dass das Virus Menschen töte, sie stelle nur infrage, ob die Maßnahmen nicht viel schlimmere Folgen hätten.

Wanderung mit Aussprache unter Freunden

Einer, der das nicht verstehen kann, ist der Grüne Thomas Pilz, der mit Golembiewski gut befreundet ist. Er hat mit Annett Jagiela, Grünen-Kreisvorsitzende, einen Gegenbrief formuliert. 100 Menschen unterschrieben, darunter auch Politiker anderer Parteien. "Ich habe die Not meines Freundes verstanden. Ich kann nicht alles nachvollziehen, aber ich kann zuhören", sagt Pilz am Telefon.

Er störe sich vor allem daran, wie der Brief formuliert sei. Mit dem DDR-Vergleich diskreditiere sich die Gruppe, die Fundamentalkritik sei unverhältnismäßig, auch wenn das Hinterfragen aller Maßnahmen richtig sei. Pilz war selbst in der Bürgerrechtsbewegung aktiv, Golembiewski kannte er schon damals. Wie er sagt, seien die beiden vergangene Woche wandern gewesen, um sich auszusprechen – bisher ohne Erfolg, dass der eine den anderen überzeugen konnte.

"Das sind hochanständige Leute, die da mitmachen, aber es zeigt sich ein Kommunikationsproblem der Regierung", glaubt er. Das Grundvertrauen in die Demokratie sei bei manchen Menschen nicht vorhanden, was in dieser Situation zu besonderen Problemen führe. Erst recht, wenn man die Gefahr für das Gesundheitssystem unterschätze. "Da ist einfach eine unterschiedliche Wahrnehmung."

Auch die grüne Landtagsabgeordnete Franziska Schubert, die ebenfalls den Gegenbrief unterschrieb, stört sich an der Wortwahl der Kritiker. "Gleichschaltung", "totalitär" – "Das erweckt den Eindruck, als stünden wir kurz vor der Übernahme eines autoritären Regimes. Und das ist einfach nicht so", sagt Schubert. Sie finde es wichtig, den Dialog auch mit den härteren Kritikern der Maßnahmen zu suchen, auch damit Rechte den Unmut nicht für sich nutzen können. Mit dem Gegenbrief habe man den Dialog mit der Gruppe suchen wollen. Die Streitkultur dürfe nicht darauf aus sein, den anderen zu zerstören.

"Ich finde es gut, dass die Gruppe demonstrieren darf. Auch wir Grünen haben uns für die Versammlungsfreiheit eingesetzt", sagt Schubert. "Kritik gehört zu unserer Demokratie – aber sie muss möglich sein, ohne dem Staat gleich Totalitarismus vorzuwerfen."

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