WM in Katar: 70 Prozent der Deutschen wollen die Spiele der Nationalelf nicht live sehen – SPIEGEL-Umfrage
Kurz vor dem WM-Start ist in Deutschland von Euphorie keine Spur: Eine Civey-Umfrage für den SPIEGEL zeigt, dass eine große Mehrheit das Turnier nicht verfolgen will – und das liegt nicht nur an Katar.
Eine große Mehrheit der Deutschen hat nicht vor, sich die Spiele der Fußball-WM in Katar live im TV anzusehen. Das geringe Interesse hat mit dem Gastgeberland und der kritikwürdigen Menschenrechtslage im Emirat zu tun – gleichzeitig hat aber auch die Begeisterung für die Nationalmannschaft der Männer deutlich nachgelassen. Das geht aus dem Ergebnis einer aktuellen Erhebung des Onlinebefragungsunternehmens Civey für den SPIEGEL hervor. Demnach gaben 70 Prozent der Befragten an, die WM-Partien nicht live verfolgen zu wollen.
Der Trend ist dabei klar: Im Vergleich zur Weltmeisterschaft in Russland gaben 77 Prozent der Befragten an, dass ihr Interesse gesunken sei – 63 Prozent gar mit dem Zusatz »eindeutig«. Dass ihr Interesse am Turnier hingegen gestiegen sei, befanden nur zwei Prozent.
Allerdings wird sich erst im Laufe des Turniers zeigen, wie das TV-Verhalten der deutschen Bevölkerung tatsächlich aussehen wird. Mit Erfolgen der deutschen Nationalmannschaft könnte das Interesse steigen, die WM startet am kommenden Sonntag mit dem Eröffnungsspiel Katar gegen Ecuador. Das DFB-Team tritt am 23. November zum ersten Gruppenspiel gegen Japan an. Das Testspiel gegen Oman am vergangenen Mittwoch verfolgten bei RTL im Durchschnitt 4,26 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer – angesichts eines Marktanteils von 19,3 Prozent ein enttäuschender Wert.
Die Gründe für den allgemeinen Rückgang der Fußballbegeisterung sind dabei unterschiedlicher Natur. Über allem stehen die besonderen Umstände rund um diese Weltmeisterschaft in Katar: Der mit 57 Prozent am häufigsten genannte Grund dafür, das Turnier nicht zu verfolgen, ist die Menschenrechtslage im Emirat. Der Golfstaat steht besonders aufgrund seines Umgangs mit Arbeitsmigrantinnen und -migranten in der Kritik, die unter oft gesundheitsgefährdenden Bedingungen etwa für die Infrastruktur der Weltmeisterschaft schuften mussten. Hintergründe zu den Todesfällen auf den WM-Baustellen liefert Folge drei des Podcasts »Ausverkauft« von SPIEGEL und Spotify.
Auch der Austragungszeitpunkt im Winter (28 Prozent) und die fehlende Fußballtradition in Katar (24 Prozent) sind für Teile der Befragten Gründe, sich nicht für die WM zu interessieren. Doch auch Gründe jenseits des Gastgeberlandes bewegen die Deutschen: Während 51 Prozent von einem generell fehlenden Fußballinteresse berichten, kritisieren 52 Prozent die voranschreitende Kommerzialisierung des Sports.
Entsprechend gering fällt daher auch das generelle Interesse an der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer aus: 23 Prozent der Befragten erklärten, nur ein geringes Interesse am DFB-Team zu haben, 55 Prozent sogar gar keines. In 66 Prozent der Fälle sei das Interesse an der Mannschaft, die nun nicht mehr so genannt werden möchte, dabei zuletzt eher oder eindeutig gesunken.
Der wichtigste Grund: eben die Kommerzialisierung des Teams, die 72 Prozent der Befragten zu viel wurde. Es folgen Kontroversen und Skandale (43 Prozent), als unsympathisch empfundene Spieler (26 Prozent) sowie Ärger über die fehlende Gleichberechtigung beim Nationalteam der Frauen (24 Prozent). Erst danach folgt der sportliche Misserfolg der Mannschaft, die bei der WM 2018 in der Gruppenphase scheiterte und bei der Europameisterschaft im Vorjahr nicht über das Achtelfinale hinauskam (21 Prozent).
Civey befragte rund 5000 Bürgerinnen und Bürger vom 18. Oktober bis zum 17. November online.