Wirecard: Welche Schuld trägt die Finanzaufsicht Bafin?

Bafin-Sitz in Frankfurt am Main: Gefühl des Benachteiligtseins
Schoening/ picture alliance
Wenn Bafin-Präsident Felix Hufeld am Mittwoch vor dem Bundestags-Finanzausschuss zum Wirecard-Skandal Fragen beantworten muss, geht es um alles für die Behörde mit Doppelsitz in Bonn und Frankfurt. Der Termin in der Hauptstadt ist brisant: Wegen des Bilanzskandals um den insolventen Zahlungsabwickler Wirecard und des Aufsichtsversagens vor allem der Bafin. Die Kritik an der Behörde reißt nicht ab, seit Wirecard milliardengroße Bilanzlöcher eingeräumt und als erster Dax-Konzern jemals Insolvenzantrag gestellt hat.
Die EU lässt das Agieren der Bafin im Wirecard-Skandal von Europas Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA überprüfen; Finanzstaatssekretär Jörg Kukies wiederum hat angekündigt, den Aufgabenbereich der Bafin zu erweitern. So wird die "Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung" (DPR) aufgelöst. Die Aufgaben dieser "Bilanzpolizei" – die beim Verdacht auf Unregelmäßigkeiten in der Bilanz von der Bafin zunächst eingeschaltet wird – werden ab Ende 2021 der Bafin zugeschlagen. Auch politisch sorgt der Wirecard-Skandal für ganz neue Allianzen: So fordern Linke und FDP, ansonsten weltanschaulich einander herzlich abneigt, beide einen Untersuchungsausschuss zur Rolle der Bafin.
Streit von Anfang an
Über die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, ihre Aufgaben und Arbeit wird gestritten, seit die Behörde 2002 an den Start gegangen ist. Dem Zusammenschluss der drei Vorgängerbehörden für Banken, Versicherer und den Wertpapierhandel vorausgegangen war der nahe liegende Gedanke, das bisherige Kompetenz-Wirrwarr zu beenden und Aufsichtslücken zu schließen. Globalisierung und Internationalisierung der Kapitalmärkte sollte die Bafin mit mehr Schlagkraft begegnen.
Das klappte manchmal – oft aber auch nicht. So erwischte der Zusammenbruch des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate (HRE) die Bafin 2008 kalt. Die Münchener Immobilienbank war über ihren Irland-Ableger Depfa außerbilanziell riskante "Kreditersatzgeschäfte" eingegangen, die dem Dax-Konzern in der Finanzkrise das Genick brachen – der Truppe des damaligen Bafin-Chefs Jochen Sanio fiel das nur viel zu spät auf. Auch weil Personal fehlte, die international verflochtene HRE so zu beaufsichtigen, wie es angemessen gewesen wäre, aber eben auch wegen interner Ineffizienzen.
Die drei wichtigsten Bafin-Geschäftsbereiche – die Wertpapier-, die Banken-, die Versicherungsaufsicht – orientieren sich an den Vorgängerbehörden und werden von ihren Exekutivdirektoren wie kleine Königreiche geführt. Viele Mitarbeiter sind demotiviert und fühlen sich benachteiligt, etwa gegenüber ihren Kollegen bei der Bundesbank. Mit der teilt man sich die Bankenaufsicht, aber sonst kaum etwas: Die Kollegen bei der Bundesbank verdienen nicht nur mehr, ihr öffentliches Ansehen ist auch ungebrochen hoch, obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) die meisten ihrer Aufgaben übernommen hat.
Kleiner Erfolg in diesem peinlichen Skandal
Dass die Bafin manchmal trotzdem mehr Tiger als handzahmes Kätzchen sein kann, zeigt sich immer dann, wenn die persönliche Motivation einzelner Mitarbeiter größer ist als der Frust über die mangelhafte Ausstattung. Wie bei Frauke Menke, ehedem Chefin der Abteilung BA 1 ("Aufsicht über Großbanken und ausgewählte Kreditbanken"). Die Geldwäsche-Spezialistin triezte die Granden der in allerlei Skandale verstrickten Deutschen Bank so lange, bis sie sich in Frankfurt den Ruf des Gottseibeiuns erworben hatte. Regelmäßig war die unbarmherzige, im Ton zuweilen schneidende Menke bei Aufsichtsratssitzungen des Konzerns zugegen, um den Bankern auf die Finger zu schauen. Ihre Ermittlungsarbeit kostete zahlreiche Topmanager der Bank den Job und das Institut hohe Strafen.
Heute ist Menke immer noch aktiv in der Bafin, aber irgendwo auf den langen Fluren verschwunden. Aus welchen Gründen ist unbekannt, an mangelnder Kompetenz kann es nicht liegen. Dafür gibt es mit Elisabeth Roegele eine Exekutivdirektorin für den Wertpapierhandel mit fragwürdiger Vergangenheit – als Chefjuristin der Fondsgesellschaft Deka soll sie sich für die Rückerstattung von Steuern aus Cum-Ex-Deals eingesetzt haben – und erklärungsbedürftigem Verhalten in der Causa Wirecard. Anstatt Vorwürfen intensiv nachzugehen, Wirecards Management füttere die Märkte mit falschen Informationen, initiierte sie lieber ein Verfahren gegen Reporter der britischen "Financial Times", die über die Missstände berichteten. Zwar wurden am Ende auch die Bilanzpolizisten der DPR auf Wirecard angesetzt – dies jedoch viel zu spät. Und offenbar störte sich bei der Bafin niemand daran, dass die DPR über mehr als ein Jahr lang keine Ergebnisse der Prüfung vorlegte. Auch dazu wird Hufeld in Berlin Stellung nehmen müssen.
Einen kleinen Erfolg kann der Bafin-Präsident trotzdem verbuchen in diesem peinlichen Skandal: die Auflösung der "Bilanzpolizei DPR" und die Übertragung von deren Aufgaben an die Bafin. Mit ihrer Miniausstattung – ein Bilanzprüfer war für die Verfolgung der Missstände bei Wirecard zuständig – war die DPR von Beginn an eine bizarre, ihren Aufgaben niemals gewachsene Einrichtung.
Doch das allein wird nicht reichen, zu wenig hat auch die Bafin im Fall Wirecard gemacht, so sehen es zumindest ihre Kritiker. "Die Bafin muss eine proaktivere Aufsicht betreiben, die von möglichen Maßnahmen regen Gebrauch macht und die notfalls Lücken bei der Politik reklamiert. Diese Behörde muss endlich mehr aufseiten der Verbraucher und des Gemeinwohls stehen", sagt Gerhard Schick. Der Ex-Bundestagsabgeordnete der Grünen saß jahrelang als Experte im Finanzausschuss und gilt als Koryphäe; heute leitet er die "Bürgerbewegung Finanzwende". Schick geht mit der Bafin hart zu Gericht im Fall Wirecard: "Das war klares Aufsichtsversagen, und das nicht zum ersten Mal bei dieser Behörde."
Die Bafin wiederum verwies schon in der Vergangenheit immer wieder darauf, nur die Banktochter des Konzerns prüfen zu können, weil eben nur die, und nicht die gesamte AG unter ihrer Aufsicht stand. Offenbar hat Hufeld durchaus Versuche unternommen, das zu ändern – ob die ausreichend waren, wird jetzt zu klären sein.
Wer trägt die Verantwortung für das Wirecard-Desaster?
Frank Schäffler, der für die FDP im Finanzausschuss sitzt, will vor allem Hufeld und Roegele in die Verantwortung nehmen, auch wenn es noch zu früh sei, um nach Rücktritten zu fragen. "Aber diese Woche wird sich aus meiner Sicht schon herausstellen, ob da nicht jemand zu seiner Verantwortung stehen muss."
Die Auflösung der DPR als Reaktion auf den Skandal sei "lächerlich". Den "15-Mann-Verein" mit so wichtigen Aufgaben wie der Überprüfung der Bilanzen zu beauftragen und für Wirecard letztlich nur einen Prüfer abzustellen, sei ein struktureller Mangel. "Eine echte Börsenpolizei muss sich schon richtig einschalten können, wenn der Verdacht der Bilanzmanipulation besteht", sagt Schaeffler. Die Bafin hätte aus seiner Sicht viel intensiver nachhaken und die Angelegenheit letztendlich auch an sich ziehen müssen, als die DPR Monate auf Ergebnisse in Sachen Wirecard warten ließ.
Zudem müsse die Bafin Zahlungsdienstleister wie Wirecard als Ganzes beaufsichtigen können. Tatsächlich fällt etwa die Geldwäscheaufsicht im Fall Wirecard weder in den Amtsbereich der Bafin noch in den der Bilanzpolizei DPR – sondern in den der Bezirksregierung Niederbayern.
Die Zuständigkeiten neu zu regeln und die Neuaufstellung der Bafin voranzutreiben, obliege Bundesfinanzminister Olaf Scholz, so Schick. Der habe die Bafin bisher schließlich mit Samthandschuhen angefasst. "Jetzt", so Schick, "gibt es keine Ausflüchte mehr."
Icon: Der Spiegel