Wirecard und Bafin: Chef-Finanzaufseher Felix Hufeld verteidigt Vorgehen der Behörde

Bafin-Chef Felix Hufeld: "Den Ernst der Lage nicht verstanden"
Peter Juelich/ Bloomberg via Getty Images
Felix Hufeld war offenbar ganz der Alte. Als sehr selbstbewusst beschreiben Teilnehmer den Auftritt, den der Chef der Finanzaufsicht Bafin am Mittwoch vor dem Finanzausschuss des Bundestags hatte. Dabei schwebte über der Anhörung eine ziemlich unangenehme Frage: Sind Sie überfordert?
Gut eine Woche ist es her, dass der Zahlungsabwickler Wirecard ein milliardenschweres Loch in seiner Bilanz eingeräumt und kurz darauf Insolvenz angemeldet hat. Seitdem steht die Bafin in der Kritik. Schließlich hat die Finanzaufsicht den vermeintlichen Betrug trotz frühzeitiger Warnungen nicht erkannt. Stattdessen ging sie gegen Wirecard-kritische Journalisten vor und verbot Leerverkäufe mit der Aktie des Dax-Konzerns.
Das Leerverkaufsverbot würde er heute genauso wieder erlassen, sagte Hufeld laut Teilnehmern. Bei ausreichendem Verdacht müsse die Aufsicht so handeln. Hufeld verteidigte auch sonst sein Vorgehen und das seiner Behörde. Er beschrieb das Hin und Her um die Frage, ob die Wirecard AG nun eine Finanzholding sei – dann nämlich hätte die Bafin sehr viel mehr Schritte unternehmen können, um den Skandal zu entdecken. Doch in Abstimmung mit Bundesbank und Europäischer Zentralbank wurde Anfang des Jahres festgestellt, dass Wirecard als Technologiekonzern zu sehen sei. So war die Bafin stets formal nur für einen Teil des Konzerns zuständig – die Wirecard Bank AG.
Als der Verdacht auf Unregelmäßigkeiten in der Bilanz des Mutterkonzerns auftauchte, blieb der Bafin nach Darstellung Hufelds so nur eins: das sogenannte zweistufige Verfahren. Die Bafin schaltet dafür zunächst die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) ein – einen von der Privatwirtschaft getragenen Verein. Die stellte allerdings nur einen Mann ab für den Auftrag – und der hat bis heute, mehr als ein Jahr nach seinem Auftrag, noch keinen Bericht vorgelegt. Ungewöhnlich fand das die Bafin offenbar nicht. Die DPR brauche im Schnitt 13,5 Monate für eine solche Prüfung, erklärte Hufeld den Abgeordneten dazu.
Am Ende fühlte sich niemand zuständig
So wurde in Berlin vor allem eines nochmal deutlich: Wie zersplittert die Aufsicht über einen modernen Zahlungsdienstleister wie Wirecard ist, dass die Kontrolle genau deshalb so löchrig ist – und dass sich am Ende niemand endgültig verantwortlich fühlt. Auch Hufeld nicht. Der verwies nun darauf, er habe nach Bekanntwerden des Skandals immerhin als erster öffentlich Verantwortung übernommen und den Kollaps als "Desaster” bezeichnet – was sich auch als Seitenhieb auf die Bundesregierung verstehen lässt.
Vor allem die Opposition zeigte sich unzufrieden mit Hufelds Auftritt. Die Anhörung habe "das Gegenteil von Aufklärung” gebracht, kritisierte etwa Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz. Alle Beteiligten sähen sich als Opfer komplizierter Umstände. In der Summe ergebe sich das "Gesamtbild einer dilettantischen, kollektiven Unverantwortlichkeit”.
"Herr Hufeld hat den Ernst der Lage nicht verstanden", findet auch Fabio de Masi. Hufeld sei teilweise regelrecht "breitbeinig" aufgetreten, sagt der Linken-Abgeordnete und spricht von "fehlender Demut" des Behördenchefs. "Er ist von seiner ganzen Mentalität her, wie er an das Problem herangeht, nicht der Richtige, um die Bafin neu aufzustellen."
Auch außerhalb des Bundestags werden Forderungen nach dem Rücktritt Hufelds laut. So fordert etwa Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, die Gelegenheit für einen echten Neuanfang zu nutzen. "Auch wenn ich Herrn Hufeld persönlich schätze, braucht es jetzt jemanden an der Spitze, der die Probleme schonungslos und unvoreingenommen angeht." Auch die für die Wertpapieraufsicht zuständige Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele müsse gehen. "Sie hat einfach in den letzten Jahren zu viel übersehen, das Maß ist jetzt voll."
Die lange Liste der übersehenen Skandale
Schließlich ist es bei weitem nicht das erste Mal, dass die Behörde von einem Finanzskandal überrascht wurde. Die Liste der Versäumnisse, die Kritiker Hufeld, seinen Vorgängern und Kollegen vorwerfen, ist lang: Schon in der Finanzkrise hatte die Bafin keine gute Figur gemacht und unter anderem übersehen, wie der Immobilienfinanzierer HRE über einen Ableger in Irland hochriskante Geschäfte eingegangen war. Die Entschuldigung von Hufelds Vorgänger Jochen Sanio: Man sei als nationale Aufsicht nicht für irische Gesellschaften zuständig.
Auch das Desaster beim Containeranbieter P&R sah die Bafin nicht kommen: Das Unternehmen hatte jahrelang Container an Anleger verkauft, die gar nicht existierten. Die Bafin hatte seit einer Gesetzesänderung 2017 die Verkaufsunterlagen dafür genehmigt. Die Entschuldigung des Hauses dafür, dass man den Betrug nicht aufgedeckt hat, lautet in diesem Fall: Man prüfe zwar Prospekte, jedoch nur auf deren Vollständigkeit hin.
Eine dritte Angelegenheit, in der die Aufsichtsbehörde alles andere als glänzte: Der Skandal um so genannte Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich die Nutznießer durch das Hin- und Herschieben von Aktien und mit Hilfe von Banken einmal gezahlte Kapitalertragssteuer mehrfach erstatten ließen und damit Milliardenschäden verursachten. Obwohl die Bafin den Wertpapierhandel beaufsichtigt, wurde sie bei den umstrittenen Geschäften nicht aktiv. Die Entschuldigung in diesem Fall: Wenn es um steuerrechtliche Fragen geht, könne man nichts machen.
Die Bafin hätte in diesem und auch in den anderen Fällen aber durchaus einschreiten können, moniert Schick. Bei Cum-Ex etwa hätte der Bafin die starken Unregelmäßigkeiten in den Handelsaktivitäten auffallen müssen, "die entsprechenden Daten lagen vor, wurden aber nicht ausgewertet". Zu den peinlichen Details dieses Desasters gehört, dass ausgerechnet die für den Wertpapierhandel zuständige Exekutivdirektorin Roegele in ihrem vorherigen Job als Chefjuristin der Fondsgesellschaft Deka die umstrittenen Deals verteidigt hatte.
"Zu wenig Leute, die denken wie Kriminalisten"
Schick hat mit seinen Kollegen schon im vergangenen Jahr ein Dossier mit dem Namen "Die Akte Bafin" vorgelegt, in dem die unrühmliche Rolle der Behörde in den Finanzskandalen der letzten Jahre aufgearbeitet wurde. Die Bafin nutzt ihre Kompetenzen nicht aus, ist viel zu sehr bürokratische Behörde und viel zu wenig agiler Wächter über die Finanzmärkte, lautet zusammengefasst der Vorwurf.
"Wenn bei der Bafin der Vorwurf eingeht, dass bei einem Unternehmen etwas nicht stimmt, dann scheint sie zuerst einmal das nur das Unternehmen anzuschreiben mit der freundlichen Bitte um Stellungnahme", fasst Schick das Problem zusammen. "Es gibt in der Bafin schlicht zu wenig Leute, die denken wie Kriminalisten, und auch entsprechend vorgehen."
Mangelt es der Bafin also an Tatkraft, oder an Kompetenzen? Wahrscheinlich sowohl als auch. Die Folgen sind dramatisch. Aktionäre haben mit dem Wirecard-Skandal Milliarden verloren – und Investoren das Vertrauen in den Finanzstandort Deutschland.
Verschiedene institutionelle Investoren wollen nun deswegen gegen die Bafin klagen: "Wir sind von mehreren internationalen Investoren beauftragt worden, eine Staatshaftungsklage zu prüfen", sagt der Berliner Anwalt Marc Liebscher, der gemeinsam mit seinem Kollegen Wolfgang Schirp schon gegen den Wirtschaftsprüfer E&Y in der Sache vorgeht. "Wir sehen hier ein komplettes Systemversagen: Bei der DPR, bei der Bafin, und im Bundesfinanzministerium, das keine Struktur aufgebaut hat, die effektiv prüfen kann."
Wie sehr der internationale Ruf des Finanzstandorts Deutschland gelitten habe durch den Skandal, sei "den Verantwortlichen offenbar noch gar nicht klar", sagt Liebscher.
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