Wirecard-Aktien brechen an der Börse dramatisch ein

Der Ausverkauf der Wirecard-Aktien setzt sich vor. Die Papiere des von einem schweren Bilanzskandal getroffenen Bezahldienstleisters büßten im frühen Handel weitere knapp 38 Prozent auf 15,10 Euro ein, nachdem sie bereits am Donnerstag und Freitag um bis zu 82 Prozent eingebrochen waren.
Der Börsenwert ist so auf knapp 1,9 Milliarden Euro geschrumpft, womit sich seit Mittwoch elf Milliarden Euro in Luft aufgelöst haben.
1,9 Milliarden Euro ist bezeichnenderweise auch die Summe, die der Konzern vermisst. Denn im Bilanzskandal hat Wirecard einräumen müssen, dass das angeblich auf Treuhandkonten befindliche Bankguthaben "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht besteht." Es steht ein Milliardenbetrug im Raum.
Händler: "Keiner will in fallendes Messer greifen"
An der Börse herrscht Vorsicht. "In das fallende Messer will keiner reingreifen", sagte ein Händler. "Die Zukunft des Unternehmens ist aktuell mehr als unsicher." Hinzu dürfte eine Klagewelle kommen. Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen für Händler ab, sowohl an Ladenkassen als auch online. Das Unternehmen ist seit über einem Jahr in Bedrängnis, seit die Londoner "Financial Times" dem Management in einer Serie von Artikeln Bilanzmanipulationen vorwarf. Auch die Finanzaufsicht Bafin und die Münchner Staatsanwaltschaft untersuchen den Fall Wirecard.
Nach den aktuellen Hinweisen auf mögliche Luftbuchungen in Milliardenhöhe könnten auf Wirecard weitere Ermittlungen zukommen. "Wir prüfen alle in Betracht kommenden Straftaten", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München I.
Nachdem die Wirtschaftsprüfer von EY das Testat für den Jahresabschluss wegen der fehlenden Gelder verweigert hatten, könnten die Banken Wirecard nun die Kredite kündigen. Außerdem nahm Wirecard in der Folge nicht nur seine vorläufige Einschätzung für das Geschäftsjahr 2019 zurück, sondern auch die Zahlen für das erste Quartal. Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre werden zudem nicht ausgeschlossen.
Die Ratingagentur Moody's hat bereits am späten Freitagabend ihr Urteil für die Kreditwürdigkeit von Wirecard auf "Ramsch" gesenkt und mitgeteilt, dass weitere Abstufungen möglich seien. Dennoch könnten die Banken vorerst weiter zu dem Konzern stehen: "Keiner hat ein Interesse daran, den Kredit zu kündigen", zitierte die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" aus einem der beteiligten Geldhäuser. "Alle wollen jetzt das Ding kurzfristig stabilisieren."
Interims-Chef Freis: In "konstruktiven Gesprächen"
Auch Interims-Chef James Freis kämpft um das Überleben des Konzerns: Man stehe weiterhin mit Hilfe der am Freitag angeheuerten Investmentbank Houlihan Lokey in "konstruktiven Gesprächen" mit den kreditgebenden Banken. Aus dem Umfeld von Wirecard hieß es dem Bericht zufolge, man hoffe auf eine Einigung bis Ende kommender Woche.
Wirecard war bisher von der Existenz der Treuhandkonten ausgegangen und hatte sie als Aktivposten ausgewiesen – und musste mit der Einsicht, dass das Geld wohl weg ist, einräumen: "Mögliche Auswirkungen auf die Jahresabschlüsse vorangegangener Geschäftsjahre können nicht ausgeschlossen werden."
In der vergangenen Woche hatte sich der Bilanzskandal um Wirecard drastisch verschärft. Der umstrittene Vorstandschef Markus Braun musste seinen Posten räumen. Am Freitag teilten die philippinischen Banken BDO Unibank und Bank of the Philippine Islands mit, dass der deutsche Dax-Konzern kein Klient bei ihnen sei. Dokumente externer Prüfer, die das Gegenteil besagten, seien gefälscht. Auf den Konten der beiden Banken hätte die Summe eigentlich liegen sollen. Am Sonntag erklärte auch die Zentralbank in Manila, dass die fehlenden Milliarden wohl nicht auf den Philippinen sind.
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