Was steckt hinter der Taiwan-Äußerung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron?
Mit nur zwei Interviews gelang es Emmanuel Macron, sowohl viele Europäer als auch die USA gegen sich aufzubringen. Aber was steckt hinter der umstrittenen Taiwan-Äußerung des französischen Präsidenten?
Es sind Bilder, wie man sie bisher eher aus chinesischen Propagandafilmen kannte, die Emmanuel Macron Anfang dieser Woche über sein Twitter-Profil postete: Vor der Großen Halle des Volkes in Peking marschiert eine militärische Ehrenformation auf, neben Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping schreitet Macron über den roten Teppich. Macron und Xi bei einer feierlichen Teezeremonie im südchinesischen Guangzhou. Macron in einem Bambusgarten und umringt von einer Menge begeisterter Studenten.
Das Ganze beginnt mit einem rasanten Zeitraffer, ist schnell geschnitten, mit Musik unterlegt. Eingeblendet werden Sätze, die Macron in China gesagt hat, zum Beispiel: »Wir, China und Frankreich, tragen eine Verantwortung. Wir haben die Kapazität, den großen Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts zu begegnen.«
Oder auch: »Ich glaube, es gibt eine gegenseitige Anziehung zwischen China und Frankreich.«
Das Video verrät viel darüber, wie der französische Präsident seinen Drei-Tages-Trip der vergangenen Woche verstanden wissen will. Er ist der Mann, der mit allen redet und mit dem alle reden, auch Xi Jinping. Frankreich steht auf Augenhöhe mit der asiatischen Supermacht und wird deshalb von ihr umworben. Und: Auch die Chinesen finden ihn irgendwie cool.
»Am Anfang habe ich gedacht, es handle sich um eine Parodie. Bis ich feststellte, es war keine«, sagt François Heisbourg, Senior-Berater des »International Institute for Strategic Studies« in London und ein langjähriger Kenner der französischen Außenpolitik. Mit dem Verweis »Dies ist keine Parodie« twitterte Heisbourg den Clip weiter. Er hält ihn wie viele für misslungen. »Aber er zeigt gleichzeitig die gesamte Hybris Macrons. Er sieht sich als der Mann, der Putin verführen kann, der selbst Xi Jinping fasziniert«, so Heisbourg.
Frankreichs Verbündete waren nicht ganz so begeistert von Macrons Reise wie die Medienabteilung des Élysée-Palasts. Denn statt in China eine gemeinsame europäische Position zu vertreten, distanzierte sich Macron von der deutlich China-kritischeren EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Dabei hatte er sie eigens mitgenommen, damit »Europa mit einer Stimme spricht«, wie seine Berater zuvor verlauten ließen. Statt Moskaus strategischem Partner Peking zu signalisieren, dass es in Zeiten des Ukrainekriegs kein »business as usual« geben kann, ließ er sich von einer umfangreichen Wirtschaftsdelegation begleiten. Die größte Aufregung aber verursachte er mit zwei Interviews, die er im Flugzeug zurück nach Paris gab. Mit Blick auf eine mögliche Eskalation des Taiwan-Konflikts sagte er da der französischen Tageszeitung »Les Echos« und dem Nachrichtenportal »Politico«, Europa riskiere, sich in Krisen verwickeln zu lassen, »die nicht unsere sind«.
Im selben Interview warnte er davor, sich in eine mögliche Eskalation um Taiwan hineinziehen zu lassen und Amerika blind zu flogen: »Das Schlimmste wäre, zu denken, dass wir Europäer bei diesem Thema Mitläufer sein sollten und uns an das amerikanische Tempo und eine chinesische Überreaktion anpassen sollten«, so Macron.
Nicht nur in Deutschland, den USA, in Polen und den baltischen Staaten verursachte Macron mit seinen Äußerungen Empörung, beziehungsweise Unverständnis. Auch in Frankreich zeigte man sich verwundert: Als Präsident könne man sicher einmal sagen, dies alles sei ein Missverständnis, schrieb »Le Monde«. Wenn so etwas aber zu oft vorkomme, müsse man wohl die Außenpolitik Macrons selbst infrage stellen. Nach seinen Äußerungen zum »Hirntod der Nato« Ende 2019 und den Versuchen, einen strategischen Dialog mit Russland aufzunehmen, ohne sich mit den europäischen Verbündeten abzustimmen, verursache der Präsident nun ein weiteres Mal Irritationen.
Die große Frage lautet, ob Macrons Interview nach seiner Chinareise als gezielte Provokation angelegt war, oder eher ein diplomatischer Ausrutscher ist. Oder ob er – wie 2019, als er in einem »Economist«-Interview den »Hirntod der Nato« konstatierte – eine Debatte anstoßen wollte und dabei bewusst in Kauf nimmt, dass er auch Schaden anrichtet. Wovor er grundsätzlich keine Angst hat, wenn man dadurch Dinge in Bewegung bringen kann. Bewegung ist ein wichtiges Motiv für Macron, Stillstand hasst er.
Bertrand Badie, Spezialist für internationale Beziehungen und emeritierter Professor der Sciences Po-Hochschule in Paris, glaubt nicht daran, dass Macron die Sätze, die nun für so viel Ärger sorgen, wirklich aus Versehen sagte. »Es gibt dafür gleich mehrere Motive. Eines davon geht auf eine der wenigen Konstanten der beiden Amtszeiten Macrons zurück, auf seine Idee eines neuen europäischen Leaderships. Den politischen Willen, sich von den USA abzusetzen, gibt es zwar seit den Sechzigerjahren in Frankreich. Aber Macron hat ihn mit seiner ›strategischen Autonomie Europas‹ neu definiert.«
Zudem komme es ihm entgegen, angesichts der massiven Proteste gegen die Rentenreform und der Krise im eigenen Land, wieder die Initiative zu ergreifen und mit anderen Themen von sich reden zu machen. Und, so Badie, Macron habe begriffen, dass China im Krieg gegen die Ukraine und einer möglichen Lösung des Konflikts eine entscheidende Rolle ausüben kann.
Ist es normal, so viel erklären zu müssen nach einer gezielten Provokation?
»Kein anderes Land könnte einen ähnlichen Druck auf die Russen ausüben wie China. Das sieht Macron und mit dieser Einschätzung hat er durchaus Recht. Er würde gern Vermittler sein, um den Krieg zu beenden. Und mit seiner Taiwan-Äußerung könnte er den Chinesen demonstrieren wollen, dass er nicht in einer Block-gegen-Block-Logik gefangen ist.«
Aber würde er deshalb wirklich so weit gehen, eine Eskalation um Taiwan als Krise zu bezeichnen, die Europa nicht betreffen würde?
Der Élysée-Palast versuchte es am Dienstag mit Beschwichtigungen, Emmanuel Macron habe nur Dinge wiederholt, die er schon oft gesagt habe: Ein souveränes Europa sei dringend notwendig für das Gleichgewicht in der Welt. Es gelte, eine Konfrontation der Blöcke zu vermeiden und China in einem multilateralen System miteinzubeziehen. Im Übrigen stehe außer Frage, dass die USA Frankreichs Alliierte seien, mit denen man gemeinsame Werte teile, und Paris den Status quo Taiwans unterstütze.
Ist es normal, so viel erklären zu müssen nach einer gezielten Provokation?
Das Erstaunliche sei, dass Macron in dem »Echos«-Interview tatsächlich viele intelligente Dinge von sich gebe, wenn man es in seiner Gesamtheit lese, sagt Jean-Marie Guéhenno, ehemaliger Diplomat und heute Professor an der Columbia-Universität in New York. »Er stellt die richtigen Fragen. Er hat Recht, wenn er fordert, dass Europa gegenüber China zu einer gemeinsamen Position finden müsse, dass es eine strategische Autonomie braucht. Aber dann sagt er irgendwann diesen Satz, dass eine Krise in Taiwan nicht eine Krise Europas wäre. Damit geht er eindeutig zu weit, abgesehen davon, dass es nicht stimmt. Natürlich wäre Europa betroffen.«
Guéhenno glaubt nicht an eine kalkulierte Provokation Macrons. »Was für ein Kalkül sollte dem auch zugrunde liegen? Er macht ja alles nur komplizierter, entzweit die Europäer und bringt die USA gegen sich auf. Es war ein diplomatischer Fehler.« Oder aber der misslungene Versuch, beide Seiten zufriedenstellen zu wollen – die chinesische und die europäische.
2017 lud Macron Donald und Melania zu einem Abendessen auf dem Eiffelturm ein
Macron habe eine sehr romantische Vorstellung von Außenpolitik, sagt Experte Heisbourg vom »International Institute for Strategic Studies«. »Macron glaubt, durch seine eigene Überzeugungskraft, mehr als es anderen möglich ist, Dinge in Bewegung zu bringen.«
Das wiederum hat Macron wiederholt öffentlich versucht, um anschließend ebenso öffentlich zu scheitern. Im Juli 2017 lud er Donald und Melania Trump nach Paris ein, umgarnte beide bei einem Abendessen auf dem Eiffelturm und bei der Militärparade zum 14. Juli in der Hoffnung auf eine »special relationship«. Sie stellte sich nie ein, sieht man davon ab, dass Trump den französischen Präsidenten irgendwie putzig und sympathisch fand. Wochen zuvor hatte Macron den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit großem Pomp ins Schloss nach Versailles eingeladen und zuvor eigens alle Pferde der republikanischen Garde dorthin bringen lassen. Aber Macrons Prinzip, andere für sich einzunehmen, indem er seinem Gegenüber uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkt, führte auch hier nicht zu besonderen außenpolitischen Erfolgen.
Nun also scheint Macron sein Glück noch einmal mit China zu versuchen. Er wende dort wieder, so Heisbourg, seine »en même temps«-Formel an, mit der er auch innenpolitisch rechtfertigt, zur selben Zeit politisch gegensätzliche Positionen zu beziehen »Warum also soll er nicht gleichzeitig China etwas entgegenkommen und die strategische Autonomie Europas einfordern?«
Einer der Berater Macrons hat das mal ähnlich formuliert: Der Präsident gehe davon aus, dass man den Lauf der Geschehnisse grundsätzlich beeinflussen könne. Macron nenne das den Optimismus des Willens.