Warum Deutschland Europas Gaspreisdeckel stoppen will
Mit einer Preisobergrenze wollte die EU die hohen Preise für Gas aus Ländern wie Norwegen oder den USA drücken. Doch die Bundesrepublik und andere Staaten stemmen sich gegen einen solchen Deckel – wie es aussieht, mit Erfolg.
Es war ein weitreichendes Versprechen, das Ursula von Leyen den Abgeordneten des Europaparlaments gab. Um die inflationsgeplagten Verbraucher zu entlasten, wolle die Staatengemeinschaft einen Preisdeckel beim Gaseinkauf aus Ländern wie Norwegen, Algerien oder den USA einführen, kündigte die Präsidentin der EU-Kommission in Straßburg an. Von einer »vorübergehenden Lösung« sprach sie, die »angemessen gestaltet werden« müsse, um »die Versorgungssicherheit zu gewährleisten«.
Eine Woche später glauben nur noch wenige, dass aus dem Plan rasch Wirklichkeit wird. Die Energieminister des Kontinents konnten sich bei ihrer Tagung am Mittwoch in Prag zum wiederholten Mal auf kein Konzept für eine Preisgrenze beim Einkauf verständigen. Und dass die Regierungschefs auf ihrem Gipfel nächste Woche einen Kompromiss finden, gilt als unwahrscheinlich. Stattdessen wächst in Brüssel die Erkenntnis, dass ein Preisdeckel nur an den Symptomen der Gaskrise kurieren, aber kaum die Wurzel des Übels bekämpfen würde.
Norwegen droht
Seit kaum noch Gas aus Russland nach Europa strömt, wird der Brennstoff in riesigen Tankern aus aller Welt in die EU-Staaten geliefert. Das sogenannte Flüssiggas (LNG) aber ist knapp und teuer, und so kostet der Brennstoff am Weltmarkt inzwischen rund dreimal so viel wie vor dem Ukrainekrieg. Entsprechend groß sind die Gewinne der Produzenten, ein Ärgernis, das eine wachsende Zahl von EU-Staaten nicht mehr so einfach akzeptieren will. 15 Länder von Italien bis Lettland haben deshalb gefordert, eine EU-weite Preisobergrenze für Gas einzuziehen.
Das Problem ist nur, dass der Brennstoffmangel dann möglicherweise nicht kleiner, sondern größer würde. Andere Kunden etwa in Asien könnten dann mehr Geld bieten und die begehrte Energie in ihre Häfen lenken. Auf den guten Willen von befreundeten Lieferländern wie Norwegen sollte der Staatenbund besser nicht hoffen. Er halte einen Preisdeckel für keine gute Idee, mahnte der norwegische Energieminister Terje Aasland auf dem Prager Treffen, um dann eine kaum verhohlene Drohung nachzuschieben. Es sei für sein Land »sehr wichtig«, sagte er, »das hohe Niveau an Gasexporten an den europäischen Markt beizubehalten, um ihn zu stabilisieren«.
Schreckt die Preisgrenze Lieferanten wie Norwegen ab, werden die Probleme für die EU noch größer. Dann müsste die Gemeinschaft entscheiden, wer den Brennstoff bekommt – und wer möglicherweise nicht. Länder mit ausreichend Flüssiggas-Kapazitäten wie Spanien oder Belgien wären dann im Vorteil gegenüber Empfängerstaaten wie Deutschland, fürchten Experten. »Für Deutschland wäre es ein Problem, wenn man nicht mehr höher als andere Mitgliedstaaten bieten könnte, um benötigtes Gas nach Deutschland zu bekommen«, sagt Georg Zachmann, Ökonom an der Brüsseler Denkfabrik Bruegel.
So kommt es, dass ein Preisdeckel für den Gaseinkauf in der Staatenunion derzeit kaum durchsetzbar scheint. Zu viele Staaten haben Vorbehalte, und auch die Fachleute in der EU-Kommission warnen vor allzu forschen Eingriffen in die Energiemärkte.
Deutschland und die Niederlande haben deshalb ein eigenes Konzept vorgelegt, um die Gaspreise in Europa zu drücken. Es gebe »keine einfache Lösung für das Problem«, heißt es in ihrem Papier. Nötig sei vielmehr ein »Bündel von Maßnahmen«, mit denen die Ursachen der Gaspreis-Inflation bekämpft werden sollten: das geringe Angebot, die zu hohe Nachfrage, und die fehlende Koordinierung in der Staatenunion.
Europas Gasspeicher sollen früher befüllt werden
Im Einzelnen zielt die deutsch-niederländische Initiative darauf ab, Gas künftig gemeinsam einzukaufen, um bessere Konditionen auszuhandeln. Auch sollen die europäischen Gasspeicher künftig koordiniert und früher befüllt werden, damit sich die EU-Staaten nicht gegenseitig überbieten. Der Ausbau erneuerbarer Energien müsse beschleunigt und die Einsparziele beim Gasverbrauch müssten verschärft werden. Auch einen Preisdeckel soll es geben, allerdings nur für russisches Gas und auch nur dann, wenn die zumeist osteuropäischen Länder, die noch Brennstoff aus Sibirien beziehen, einverstanden sind.
Kein Wunder, dass die Sitzung der europäischen Energieminister mit einem Patt endete. Einen Preisdeckel beim Gaseinkauf wird es vorerst nicht geben, allenfalls eine Obergrenze für Brennstoffe, die bei der Stromproduktion eingesetzt werden. Zentrales Element des Maßnahmenpakets, das die EU-Kommission bis zur nächsten Woche schnüren will, wird indes der gemeinsame Gaseinkauf sein, über den in Europa schon seit Monaten diskutiert wird. Damit müsse es »jetzt endlich losgehen«, sagt der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold.
Manchmal ist es der kleinste gemeinsame Nenner, der die größten Fortschritte bringt.