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VW ID.3: Volkswagens erstes richtiges Elektroauto startet am Markt

June 16
22:33 2020
Das erste echte Elektroauto von VW, der ID.3, kämpft noch mit Softwareproblemen, soll aber dennoch ab September an Kunden ausgeliefert werden. Icon: vergrößern

Das erste echte Elektroauto von VW, der ID.3, kämpft noch mit Softwareproblemen, soll aber dennoch ab September an Kunden ausgeliefert werden.

Christine Roch/ Volkswagen AG

Der erste Eindruck: Die Form geschliffen glatt, die Heckscheibe geschwärzt und ohne Rahmen – der VW ID.3 sieht neu und anders aus, seine Sonderstellung ist gleich erkennbar. Und doch wirkt er lange nicht so futuristisch wie 2013 etwa der BMW i3. Angesichts der eher konservativen VW-Kundschaft ist das bestimmt kein Schaden.

Das sagt der Hersteller: Vom "großen Plan", der endlich Gestalt annehme, spricht Ralf Brandstätter, neuer VW-Markenchef und in dieser Funktion Nachfolger von Herbert Diess. "Jetzt wird's ernst."

Tatsächlich ist der ID.3 Volkswagens erstes Elektroauto, das voll und ganz als solches konzipiert wurde. Der Kompaktwagen soll den Konzern in eine Zukunft ohne Verbrennungsmotor führen. "So wie einst der Käfer und der Golf wird auch er das Unternehmen und eine ganze Epoche prägen", prophezeit Brandstätter. Damit das gelingt, hat Volkswagen für den ID.3 und drei Dutzend weitere Batteriemodelle einen modularen Elektroauto-Baukasten entwickelt, den MEB. In den investiert Volkswagen für die Kernmarke sowie Audi, Seat und Skoda mindestens 30 Milliarden Euro. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen mit dem Baukasten 20 Millionen Elektroautos produziert werden.

Die Niedersachsen haben es eilig. In diesem Jahr gilt in Europa erstmals der CO2-Grenzwert von 95 Gramm pro Kilometer als Durchschnitt für die verkauften Fahrzeuge eines Herstellers. Elektroautos werden mit null Gramm angerechnet, für Volkswagen zählt daher jeder Verkaufstag des ID.3. Damit es am Ende reicht, hat Brandstätter, kaum im neuen Job, trotz Problemen mit der Software den Verkauf gestartet. Zunächst wandeln registrierte Interessenten ab Mittwoch (17. Juni) ihre Reservierung in einen Kaufvertrag um, vier Wochen später kommen neue Interessenten zum Zug. Ab Anfang September werden die Autos ausgeliefert, die VW im Werk Zwickau schon zu vielen Tausenden auf Halde produziert hat.

Eine Handvoll Funktionen sind zum Start nicht verfügbar, sie werden später freigeschaltet, räumt Silke Bagschik ein, die den Vertrieb der E-Autos bei VW verantwortet. Dazu zählt sie den Fernbereich des Head-up-Displays sowie die Smartphone-Integration mit Apple Car Play und Android Auto. Im Gespräch mit Entwicklern ist zu erfahren, dass auch die Einparkautomatik anfangs fehle und – besonders schmerzhaft – jenes Modul, das die Updates über eine Mobilfunkverbindung aufspielt. Mindestens einmal noch müssen die "First Mover", wie VW die Erstkunden schmeichelnd nennt, mit ihrem ID.3 ganz analog in die Werkstatt fahren. VW erlässt ihnen im Gegenzug für den Ungemach die ersten drei Leasingraten.

Es rächt sich offenbar, dass VW im ID.3 erstmals alle Fahrzeugfunktionen in zwei Zentralrechnern bündelt und nicht mehr wie im Golf Dutzende Steuergeräte verbaut. Diese Umstellung läuft nicht so reibungslos wie erhofft. Vorbild ist Tesla, die Kalifornier kommen mit nur einem Rechner aus. Tesla-Fahrer sind gewohnt, ein nicht voll funktionstüchtiges Auto zu übernehmen. "Es gibt auch ein Jahr nach der Markteinführung bis heute noch kein Model 3, das Verkehrsschilder lesen und korrekt interpretieren kann", sagt Szenekenner Stefan Moeller von der E-Auto-Vermietung Nextmove. Updates gibt es bei Tesla jedoch ohne Werkstattbesuch.

Das ist uns aufgefallen: Neu und doch vertraut – das gilt auch für das Fahrgefühl im ID.3. Einerseits bietet er die für Elektroautos typische Stille. Er tritt so rasant an, wie man es selbst vom Golf GTI kaum kennt. Dafür begrenzt VW das Tempo bei 160 km/h, mit Rücksicht auf die Reichweite. Gleichzeitig kehrt der Wagen seinen Antrieb nicht nach außen, sodass sich auch Elektroautonovizen rasch gut aufgehoben fühlen dürften. Weder das größere Gewicht fällt unangenehm auf noch die durch die Akkus im Boden erhöhte Sitzposition. Anders als bei E-Autos wie dem Nissan Leaf oder dem DS3 ist das Fahrgefühl nicht synthetisch: Im ID3 spürt der Fahrer genau, was zwischen Rad und Straße passiert und hat ein direktes Lenkgefühl.

Um Fahrern den Umstieg aufs Batterieauto zu erleichtern, haben die Ingenieure allerdings eine schöne Fähigkeit von E-Autos kaum genutzt: Das Fahren nur mit dem Strompedal. Andere Modelle verzögern kräftig bis zum Stillstand, wenn man nur den Fuß lupft. Dann wird der E-Motor zum Generator und gewinnt Elektrizität zurück. Hingegen rollt der ID.3 im Standardmodus wie im Leerlauf aus. Auch wer von "D" auf "B" wechselt (also in den "Brems"-Modus), kommt nur mit viel Weitblick rechtzeitig zum Stehen, ohne auf die Bremse zu treten.

Einen Elektrovorteil spielt der ID.3 hingegen voll aus. Weil vorn kein Motor im Weg ist, schlagen die Räder stärker ein als im VW-Golf – das Auto kommt leichter ums Eck. Dagegen fühlt sich beim Rangieren selbst ein VW Polo fast sperrig an.

Der wohl größte Unterschied zu den klassischen Modellen zeigt sich im Innenraum. Die E-Technik ist derart platzsparend im Wagenboden untergebracht und die Achsen sind derart weit nach außen gerückt, dass Passagiere deutlich mehr Beinfreiheit haben. Hinterbänkler sitzen sogar besser als im VW Passat.

Zudem befreit VW das Cockpit noch gründlicher als im aktuellen Golf von Schaltern. Instrumente schrumpfen zu einem kleinen Display, das frei hinter dem Lenkrad steht. Daraus steht seitlich der Getriebewählhebel hervor, wie beim BMW i3. Ganz neu ist die Lichtleiste unter der Frontscheibe. Über sie kommuniziert das Auto mit dem Menschen. Während der Spracheingabe flackert es weiß, blaue Leuchtpunkte helfen bei der Navigation, rot steht für Warnmeldungen, grün für eingehende Anrufe.

Das muss man wissen: Die zuerst ausgelieferten Fahrzeuge ("First Edition") kosten knapp 40.000 Euro. Dank der gerade erst erhöhten staatlichen Kaufprämie zahlt der Kunde am Ende etwa 31.000 Euro – und Strom gibt's ein Jahr lang gratis dazu.

Der Motor – der erstmals seit dem Käfer bei einem VW wieder im Heck montiert ist – leistet 150 kW. Der Akku der ersten Serie speichert 58 kWh, was offiziell für 420 Kilometer reicht. Später folgen eine Version mit 77 kWh für bis zu 550 Kilometer und ein auf 330 Kilometer ausgelegtes 45-kWh-Modell, mit dem der Grundpreis unter 30.000 Euro fallen soll. Abzüglich der Förderung landet der ID.3 damit etwa beim Basispreis des Golf, den VW ab 19.995 Euro verkauft.

Mit dem De-facto-Kampfpreis für den ID.3 startet VW auch die Jagd auf Tesla. Dabei geht es für die Wolfsburger zunächst darum, endlich auf ähnlich hohe Elektroauto-Stückzahlen zu kommen wie die US-Amerikaner. Das dürfte ihnen gelingen – spätestens mit den nächsten Modellen aus dem Elektrobaukasten. Im direkten Modellvergleich liegt das Modell 3 klar vorn. Es ist aber auch teurer, größer und kräftiger und fährt schlicht in einem anderen Segment. Den direkten Vergleich mit Tesla sucht VW erst kurz vor dem Jahresende. Dann stellt der Konzern dem Modell Y den ID.4 gegenüber – das erste SUV aus dem MEB.

Der ID.3 konkurriert auf der Straße eher mit Elektroautos wie dem Nissan Leaf und dem Renault Zoe sowie etwas kleineren Stromern wie dem Opel Corsa e und seinen Konzerngeschwistern DS3 E-Tense. Auch Peugeot e-208, der Honda E oder der elektrische Mini fallen grob in die Liga des VW-Hoffnungsträgers.

Das werden wir nicht vergessen: Solide, bedienfreundlich und dank Staatshilfe recht günstig – der ID.3 ist in vielerlei Hinsicht ein typischer VW. Was nicht zur Marke VW passen will, sind "Look" und "Feel" – zumal bei einem so wichtigen Modell. Bei einem Hersteller, der sich in der Kompaktklasse für silikongedämpfte Haltegriffe und Gasdruckdämpfer für die Motorhaube hat feiern lassen, wirken die Kunststoffe im ID.3 fast beschämend billig – vor allem in der unteren Hälfte des Armaturenbretts und im Fond. Die harten, schlicht eingefärbten Oberflächen sind weit entfernt vom Klavierlack-Ambiente, mit denen Golf-Kunden umgarnt wurden.

Das ist bei Tesla zwar nicht besser, zeigt aber die schwierige Lage, in der VW steckt: weiter so mit Rundumkomfort? Dann wird der ID.3 wie jeder VW zu teuer. Oder konsequent Neues wagen, damit der Wagen Masse macht wie Käfer oder Golf. Diesen Weg gehen die VW-Manager. Wer sich daran stört, so mögen sie sich gedacht haben, kann ja einen Audi kaufen.

Icon: Der Spiegel

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