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Viersen: Mordverdacht gegen Erzieherin – „Wir sind alle geschockt“

May 29
20:31 2020
Kita "Am Steinkreis" in Viersen: Am 21. April alarmierte das Team den Notarzt Icon: vergrößern

Kita "Am Steinkreis" in Viersen: Am 21. April alarmierte das Team den Notarzt

SASCHA STEINBACH/EPA-EFE/Shutterstock

Das Haus, in dem Sandra M. bis zuletzt mit ihren Eltern und ihrem Bruder gelebt hat, liegt im äußersten Westen Nordrhein-Westfalens, von hier sind es nur noch ein paar Hundert Meter bis zur niederländischen Grenze. Die Sträßchen sind eng, man kommt an gepflegten Vorgärten vorbei. Das Haus der M.s ist ein Klinkerbau mit Flachdach, in der Einfahrt parkt ein blauer VW, im Garten steht ein Pool.

"Wir möchten nicht darüber reden", sagt ein Mann, der aus der Haustüre tritt, vermutlich ist es der Vater der Beschuldigten. Das, worüber er nicht sprechen möchte, schockiert Menschen im ganzen Land.

Seit dem 19. Mai sitzt Sandra M. in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt die 25-Jährige des heimtückischen Mordes. Sie soll in einer integrativen Kindertageseinrichtung in Viersen ein Mädchen so schwer verletzt haben, dass es nicht überlebte.

Der Vorfall ereignete sich bereits vor mehr als einem Monat. Die integrative Kita "Am Steinkreis" hatte am 21. April den Notarzt alarmiert. Die kleine Greta atmete nach einem Mittagsschlaf nicht mehr. Die Einsatzkräfte reanimierten das Kind, versorgten es notärztlich, dann wurde es in eine Klinik gebracht. Greta wurde maschinell beatmet und starb am 4. Mai. Einen Tag nach ihrem dritten Geburtstag.

Vieles deutet darauf hin, dass die Beschuldigte vorsätzlich handelte

Auf einer Pressekonferenz am Donnerstag teilten die Ermittler weitere Details mit. So liegen der Mordkommission Indizien dafür vor, dass Sandra M. bereits an früheren Arbeitsstellen immer wieder lebensgefährliche Übergriffe auf Kinder verübte. Die Ereignisse sollen bis ins Jahr 2017 reichen und vieles deutet darauf hin, dass Sandra M. vorsätzlich handelte.

In ihrem Anerkennungsjahr als Erzieherin soll sich in einer Kita in Krefeld ein möglicher Übergriff ereignet haben. Im November 2017 rief sie andere Kolleginnen zu Hilfe. Ein Junge sei nicht mehr ansprechbar gewesen und wurde ins Krankenhaus gebracht. Die Ursache für seinen Zustand konnten die Ärzte laut Polizei nicht finden.

Unter Atemnot soll auch ein Junge aus einer Kita in Kempen, in der Sandra M. von August 2018 bis Juli 2019 arbeitete, gelitten haben. Bei ihrer nächsten Arbeitsstelle, einer Kita in Tönisvorst, kam ein Kind Ende Oktober 2019 mit einem Atemstillstand ins Krankenhaus. Das kleine Mädchen überlebte.

Greta aus Viersen hat das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Ein Arzt informierte die Polizei über den Fall, weil ihm kleine, rote Punkte auf den Augenlidern und im Gesicht des Mädchens aufgefallen waren. Sie deuteten auf einen Sauerstoffmangel hin.

Die Mordkommission ermittelte, Sandra M. wurde festgenommen. Bei ihrer Vernehmung berichtete sie laut Polizei abgeklärt über die Ereignisse. Sie habe das Kind noch reanimiert, bis der Notarzt gekommen sei. Inzwischen verweigert sie die Aussage.

Die Ermittler berichteten auf der Pressekonferenz auch, dass man sich in allen Kitas gewundert habe, "warum sich solch ein Mensch, dem ein Zugang zu Kindern fehlt, sich solch einen Beruf aussucht". Zudem tauchte während der Ermittlungen ein anderer, merkwürdiger Fall auf, der ein Jahr zurückliegt. Und der vielen im Gedächtnis geblieben ist.

Ein Nachbar, den man auf Sandra M. anspricht, erinnert sich gut an jenen Tag im Mai 2019. M. hatte damals behauptet, im nahegelegenen Wald von einem Mann mit einem Messer verletzt worden zu sein.

"Es war verrückt, was damals los war", sagt der Nachbar, "überall waren Einsatzkräfte, alles war abgesperrt, ein Hubschrauber kreiste über dem Wald." Gerichtsmediziner stellten später fest, dass sich M. die Verletzungen wahrscheinlich selbst zugefügt hatte.

Wegen des Vortäuschens einer Straftat ermittelte die Staatsanwaltschaft Kleve gegen sie. Im Juni 2019 wurde das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt. Sie sei damals psychisch auffällig gewesen, sagt Günter Neifer, Sprecher der Staatsanwaltschaft. M.s Schuldfähigkeit sei aufgrund ihrer persönlichen Verfassung "womöglich vermindert" gewesen. Man habe den Opferschutzbeauftragten der Kreispolizeibehörde Kleve eingeschaltet. "Sie hat auch versichert, dass sie psychologische Hilfe in Anspruch nehmen werde", sagt Neifer.

Ob Sandra M. dieses Angebot annahm, ist bislang nicht bekannt. Überhaupt weiß man wenig über die junge Frau, die in ihrer Heimatgemeinde offenbar gut integriert war. Jahrelang war sie im Tennisverein aktiv, spielte regelmäßig, ihr letztes Spiel absolvierte sie erst vor einigen Monaten. Auch für die Sommersaison 2020 ist sie gemeldet.

In der Nähe des Hauses befindet sich der Klub, bei dem Sandra M. spielte. Am Donnerstagabend, nachdem die ungeheuerlichen Vorwürfe bekannt werden, trainiert dort ein Herren-Doppel, ein paar Männer aus dem Klub schauen zu. "Wir sind alle geschockt", sagt einer.

Sandra M. sei im Verein nie negativ aufgefallen, habe ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern gehabt. Der Mann schüttelt den Kopf und sagt, dass er nicht mehr sagen möchte. Auch eine ehemalige Mitspielerin ihrer Mannschaft will sich am Telefon nicht äußern. Sie wirkt fassungslos. So wie viele in diesem Fall.

Icon: Der Spiegel

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