Umstrittener Ratsvorsitz in EU: Das passiert, wenn Orban das Sagen hat
Politik

Orbans Regierung könnte die EU sechs Monate lang aufmischen.
Er ist ein Verbündeter von Präsident Putin und sorgt in der EU regelmäßig für Chaos: Ungarns Regierungschef Orban. Seine Regierung übernimmt ab Juli das Ruder im Rat der EU. Für sie bieten sich Gelegenheiten, den Betrieb in Brüssel zu behindern – besonders in der Ukraine-Politik.
Störenfried, Blockierer, Putin-Vertrauter – das sind nur einige Bezeichnungen, die in der EU über Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban kursieren. Ab Juni übernimmt Ungarn turnusmäßig den Vorsitz im Rat der EU. Die Minister von Orbans Regierungspartei Fidesz bestimmen dann sechs Monate lang die Agenda für die Treffen mit ihren Amtskollegen in den Runden der Fachminister. Budapest könnte seinen Vorsitz nutzen, um die Arbeit der EU noch stärker als bislang zu unterminieren, befürchten Abgeordnete des Europäischen Parlaments.

Politik 16.06.24 Ungarn nach der Europawahl "Die ewige Herrschaft von Fidesz ist nun infrage gestellt"
Der grüne Abgeordnete Daniel Freund fordert gar, Orban ein Hausverbot zu erteilen, falls seine Minister destruktiv agieren. "Das Europaparlament ist die Herzkammer der europäischen Demokratie. Keine Bühne für Autokraten", begründet Freund seine Forderung gegenüber ntv.de. Zudem sei es möglich, einzelne Gesetzgebungsverfahren für die Zeit der ungarischen Ratspräsidentschaft einzufrieren, sollte sich ein Interessenkonflikt ergeben.
Sprengstoff bieten vor allem die Entscheidungen über die Außenpolitik der EU. Auf Ebene der europäischen Staats- und Regierungschefs fiel Orban immer wieder durch russlandfreundliche Positionen auf. Demonstrativ pflegt er eine enge Beziehung zu Präsident Wladimir Putin. Immer wieder blockierte er Hilfsleistungen für Kiew und stützte Moskaus Position. In manchen Fällen gab er seinen Widerstand irgendwann auf – etwa beim 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine Anfang dieses Jahres. In anderen Fällen bleibt er stur. So erkämpfte sich Ungarn eine Ausnahme vom EU-Embargo gegen russisches Öl.
Ungarn kann bei Sanktionen jederzeit Vetos einlegen

Politik 10.06.24 Gegner fast bei 30 Prozent Orban erzielt schlechtestes Ergebnis bei Europawahl
"Viktor Orban weigert sich, öffentlich anzuerkennen, dass Russland einen brutalen Angriffskrieg führt und Kriegsverbrechen verübt. Diese Einstellung gefährdet eine resolute und einheitliche Stimme Europas vis-a-vis Moskau", sagt Freund. Orbans Regierung habe während der Ratspräsidentschaft zwar nicht die Macht, die Gesetzgebung im Alleingang durchzuboxen. Sie könne jedoch bei den Treffen der ungarischen Minister mit ihren Ressortkollegen über das Agenda-Setting mögliche Sanktionen gegen Russland verzögern, so Freund.
In der gemeinsamen Außenpolitik der EU braucht Orban nicht einmal die Ratspräsidentschaft, um Chaos zu stiften. Sein Außenminister übernimmt ab Juli auch nicht den Vorsitz des Rats für Auswärtige Angelegenheiten – dieser wird vom Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik geleitet. Bislang war dies der Spanier Josep Borrell. Aber Ungarn kann hier ganz einfach Vetos einlegen, um Sanktionen zu verhindern – schließlich gilt das Einstimmigkeitsprinzip.

Politik 15.06.24 Streit um Russland-Sanktionen Scholz nennt Blockade-Vorwurf "völligen Quatsch"
In den anderen Ministerräten könne Budapest Themen entweder gar nicht auf die Agenda setzen oder dies erst auf Druck anderer Mitgliedsstaaten tun, erläutert die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier, Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses des Europäischen Parlaments, ntv.de. Auch unliebsame Abstimmungen würden eventuell verzögert. "Es ist dann an den anderen Mitgliedsstaaten und insbesondere der Bundesregierung, Ungarn zu überstimmen und die Tagesordnung sowie Themenstellung anzupassen. Aber bisher habe ich wenig Rückgrat von Kanzler Scholz gesehen, wenn es darum ging, sich Herrn Orban in den Weg zu stellen", kritisiert Hohlmeier.
Barley fordert, Ungarn vom Ratsvorsitz auszuschließen
Zudem lauern Konflikte aufgrund von Orbans Feldzug gegen den Rechtsstaat in Ungarn. Die EU fror deshalb mehrere Fördermittel für Ungarn ein. Sie strich Budapest etwa Coronahilfen in Höhe von 28 Milliarden Euro. Auch aus dem Kohäsionsfonds wird noch immer ein hoher Betrag zurückgehalten, nachdem die Kommission im Dezember 10 Milliarden wieder freigegeben hatte. Teile der eingefrorenen Mittel würden komplett verloren gehen, sollten sie bis Ende 2024 nicht aufgetaut werden, sagt Freund. Er befürchtet, die Orban-Regierung könnte während des Ratsvorsitzes ihre Machtposition nutzen, um Zugriff auf diese Gelder zu bekommen.

Politik 09.06.24 "Bereit, Schicksal zu ändern" Orban-Herausforderer mobilisiert Zehntausende Ungarn
Die SPD fordert, Ungarn vom Ratsvorsitz auszuschließen: Die ungarische Regierung handle gegen europäische Interessen, sagt Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, ntv.de. Die SPD-Politikerin verweist auf das gegen Ungarn laufende Artikel-7-Verfahren wegen mutmaßlicher Rechtsstaatsverstöße. "Wenn ein derart schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit im Raum steht, sollte der betroffene Staat vorläufig nicht dem Rat vorsitzen dürfen", sagt Barley.
Welche Themen die ungarische Regierung für die Ministerräte der EU auf die Agenda setzt, hat sie noch nicht bekannt gegeben. Nach Angaben des ungarischen EU-Ministers János Bóka werden Wettbewerbsfähigkeit, Demografie und Migrationsmanagement im Fokus stehen. Generell wird es in den ersten Monaten weniger um Gesetze gehen, sondern eher um die Besetzung der Spitzenposten in der EU nach der Europawahl.
Belgien und Spanien könnten Ungarn einhegen

Auslandsreport 09.06.24 Mehr EU, weniger Geflüchtete Magyar will Orbán teils mit eigenen Waffen schlagen
Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie Orbans Regierung eingehegt werden kann, sollte sie sich zu bockbeinig benehmen. Zum einen arbeiten Mitgliedsstaaten, die den Ratsvorsitz innehaben, in Dreiergruppen eng zusammen. Der Dreiervorsitz formuliert langfristige Ziele. Er formuliert die wichtigsten Fragen, mit denen sich der Rat in einem Zeitraum von insgesamt 18 Monaten befassen soll. Als Trio-Partner stehen Ungarn sowohl Belgien als auch Spanien zur Seite, die bei der Agenda ein Wort mitzureden haben.
Zum anderen stimmen die Minister im Rat sich in Gesetzesverfahren mit dem Parlament in den sogenannten Trilog-Tagesordnungen zwischen Parlament, Rat und Kommission ab. Das Parlament ist dabei gleichberechtigter Partner. Kritische Punkte könnten deshalb nicht einfach von der Tagesordnung verschwinden, betont Hohlmeier. "Das Parlament hatte noch nie ein Problem damit, Fehlverhalten der Mitgliedsstaaten zu benennen, und würde im Zweifelsfall mit zuverlässigen Partnern bei den Mitgliedsstaaten sprechen", so Hohlmeier.
Quelle: ntv.de