Türkei bestellt deutschen Botschafter ein – Bericht über Razzia in Hessen
Neue Spannungen zwischen Ankara und Berlin: Die türkische Regierung hat nach eigenen Angaben den deutschen Botschafter einbestellt. Hintergrund sind Durchsuchungen bei türkischen Journalisten in Hessen.
Nach einer Hausdurchsuchung bei zwei türkischen Journalisten nahe Frankfurt am Main hat die Regierung in Ankara den deutschen Botschafter einberufen. Das türkische Außenministerium schrieb in einer Erklärung von einer »Festnahme« zweier Journalisten des Frankfurter Büros der Zeitung »Sabah« und erklärte, dieses Vorgehen solle die türkische Presse »schikanieren und einschüchtern«.
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt und das Polizeipräsidium Südhessen erklärten wenig später, die Privatwohnungen zweier Journalisten in Mörfelden-Walldorf seien »wegen des Verdachts des gefährdenden Verbreitens personenbezogener Daten« durchsucht worden, die Männer befänden sich auf freiem Fuß. Bei dem Einsatz in den Wohnungen seien am Morgen unter anderem elektronische Speichermedien beschlagnahmt worden, die beiden 46 und 51 Jahre alten Männer seien nach der Durchsuchung wieder entlassen worden.
Für die deutschen Ermittler stellt sich der Vorwurf der Schikane indes völlig anders dar. Demnach waren es mutmaßlich die »Sabah«-Journalisten, die andere eingeschüchtert haben.
Deutsche Nachrichtendienste beschäftigen sich mit »Sabah«-Kampagne
Nach SPIEGEL-Informationen ist der Hintergrund des Verfahrens eine Kampagne, mit der »Sabah« seit mehreren Monaten Anhänger der Gülen-Bewegung outet, die sich in Deutschland und Europa aufhalten. Für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan sind die Anhänger des Predigers Fetullah Gülen Staatsfeinde, die er für den gescheiterten Putsch 2016 in der Türkei verantwortlich macht.
In einem Artikel der »Sabah« wurde im September 2022 ein türkischer Exiljournalist an den Pranger gestellt, der in der Nähe von Darmstadt lebt – samt Foto von sich und seinem Wohnhaus. Trotz einer Auskunftssperre im Melderegister war es »Sabah« gelungen, ihn in Deutschland ausfindig zu machen. In ihrem Text bezeichnete das Blatt, das Präsident Erdoğan nahesteht, den Mann als »Goebbels« der Gülen-»Terrororganisation«, der aus Deutschland »schwarze Propaganda und Desinformation« gegen türkische Politiker und Beamte verbreite.
Das bislang letzte Outing der »Sabah« in Deutschland fand im April statt und betraf einen gülennahen Medienmanager, der in Frankfurt am Main abgelichtet wurde.
Die Kampagne der »Sabah« beschäftigt auch die deutschen Nachrichtendienste. Die »Übergänge von Einflussnahme im Sinne der türkischen Regierung über Denunziationen bis hin zu einem nachrichtendienstlichen Agieren« seien in Fällen wie diesen »fließend«, vermerkt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz.
Vor der Stichwahl in der Türkei
Der Vorfall ereignet sich mitten im Wahlkampf zur Stichwahl in der Türkei am 28. Mai, bei dem Amtsinhaber Erdoğan und sein Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu gegeneinander antreten. Die erste Runde hatte Erdoğan mit fünf Prozentpunkten Vorsprung für sich entschieden und dabei die 50-Prozent-Marke knapp verfehlt.
Das türkische Außenministerium nannte das Vorgehen der deutschen Behörden einen »vorsätzlichen Akt«. Deutschland wolle »die ganze Welt über die Presse- und Meinungsfreiheit belehren«, das Vorgehen »gegen die freie Presse« offenbare aber die »Doppelmoral« des Landes.