Trump auf Kuschelkurs mit Minsk: “Der Kreml ist beunruhigt über US-Aktivitäten im postsowjetischen Raum”
Politik
Trump auf Kuschelkurs mit Minsk"Der Kreml ist beunruhigt über US-Aktivitäten im postsowjetischen Raum"
14.11.2025, 20:07 Uhr

Während Donald Trumps Friedensbemühungen um die Ukraine in letzter Zeit kaum Fortschritte bringen und die US-Russland-Beziehungen weiterhin feststecken, setzt der US-Präsident seinen Kuschelkurs gegenüber dem belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko fort. Trotz Provokationen des belarussischen Regimes gegenüber NATO-Nachbarn ernennt Trump nun sogar einen Sondergesandten für das Land. Was bezwecken die US-Amerikaner mit dieser Annäherung? Darüber spricht Osteuropa-Experte Alexander Friedman im Interview mit ntv.de. Im Gespräch geht es auch darum, welche persönlichen Vorteile sich Lukaschenko erhofft – und warum der Kreml diese Annäherung mit großer Vorsicht verfolgt.
ntv.de: In den vergangenen Monaten haben sich die Beziehungen zwischen den USA und Belarus verbessert. Minsk ließ Dutzende politische Gefangene frei, Washington hob im Gegenzug einige Sanktionen auf. Vor kurzem hat der belarussische Diktator einen weiteren, "großen" Deal angekündigt. Was wollen die USA damit erreichen?
Alexander Friedman: Die Amerikaner machen keinen Hehl daraus, dass für sie dabei der Waffenstillstand beziehungsweise der Friedensprozess um die Ukraine im Mittelpunkt steht. Sie sehen Lukaschenko sozusagen als einen Verbindungsmann zu Putin, als eine Person aus seinem unmittelbaren Umfeld, und nutzen ihn als Kommunikationskanal zu Russland. Lukaschenko liefert Informationen aus dem Kreml, wohl in Absprache mit Moskau, und übermittelt im Gegenzug Botschaften der Amerikaner nach Russland.Die USA betrachten ihn dabei als wichtigen Mann an der Spitze eines Landes, das an die Ukraine grenzt, Russlands engster Verbündeter und zugleich ein Partner Chinas ist. Unter diesen Umständen ist Lukaschenko für Washington von Bedeutung, und sie wollen die Kontakte fortsetzen.
Wie ordnen Sie die Freilassung politischer Gefangenen ein und die Ankündigung, dass über weitere Freilassungen verhandelt wird?
Die Freilassung politischer Gefangener ist eher ein Nebeneffekt dieser Beziehung und eine vertrauensbildende Maßnahme seitens der Lukaschenko-Regierung. Lukaschenko möchte die Beziehungen verbessern, Sanktionen loswerden und das Interesse der Amerikaner wachhalten. Und so ist er im Gegenzug bereit, kleinere Schritte zu unternehmen, die ihn bisher ja nicht viel gekostet haben.
Wie sehen die aus?
Bisher so: Lukaschenko lässt Gefangene frei, die Amerikaner reden mit ihm, und einige Sanktionen werden aufgehoben. Interessant ist, dass John Coale – ein Anwalt aus Trumps Umfeld – inzwischen zum Sondergesandten für Belarus ernannt wurde. Das ist ein klares Signal der Amerikaner an Minsk: Wir sind bereit, mit euch weiter zu reden und hoffen, dass das etwas bringt.
Dieses Amt – den Sondergesandten für Belarus – gab es vorher nicht?
Nein, das ist neu. Bisher war Coale Stellvertreter von Keith Kellogg, des Sondergesandten für die Ukraine. Jetzt hat er ein eigenes Mandat – eine Aufwertung für ihn selbst und ein Zeichen der Anerkennung der Bedeutung von Belarus für die USA. Coale ist jemand, der Trump persönlich nahesteht und als Problemlöser gilt. In seiner bisherigen Position hat er etwas vorzuweisen: Politische Gefangene, die freigelassen wurden. Unter ihnen ist etwa Sergej Tichanowski, der Ehemann der Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Coale verhandelt zudem über die Freilassung des Friedensnobelpreisträgers Ales Bjaljazki. Diese Erfolge erklären, warum er nun zum Sondergesandten ernannt wurde. Für Lukaschenko ist das eine schmeichelhafte Aufwertung seines Regimes.
Wenn man Trumps Regierung kennt, dann ist klar, dass es ihr kaum um die Menschenrechte in Belarus gehen wird.
Die Trump-Administration kritisiert die Repressionen in Belarus nicht, anders als die Biden-Regierung zuvor. Gefälschte Wahlen, Verhaftungen, Gewalt – all das wird ignoriert. Während politische Gefangene freikommen, werden gleichzeitig neue inhaftiert. Die Repressionen in Belarus gehen weiter. Für Trump geht es nicht um Menschenrechte, sondern um Erfolge, die sich medial ausschlachten lassen. Lukaschenko wiederum versucht, aus der aktuellen Situation möglichst viel für sich herauszuholen, etwa die Aufhebung von Sanktionen, potenzielle US-Investitionen oder symbolische Gesten wie eine Einladung ins Weiße Haus. Das wäre für ihn nach mehr als 31 Jahren im Amt eine enorme persönliche Genugtuung.
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Was wäre für Trump ein Erfolg?
Trump will große "Deals" – also möglichst viele Gefangene auf einmal befreien -, denn so kann er sich als Friedensstifter und Geiselbefreier darstellen. Lukaschenko dagegen setzt lieber auf viele kleine "Deals". So kann er schrittweise mehr Vorteile herausholen und muss weniger riskieren. Aber er muss vorsichtig bleiben: Diese Annäherung funktioniert nur, solange Moskau sie duldet. Sollte es zum Bruch zwischen Trump und Putin kommen, wäre das wohl schnell vorbei.
In seinem Beitrag auf Truth Social am vergangenen Wochenende, in dem er die Ernennung von Coale ankündigte, bezeichnete Trump die politischen Gefangenen als "Geiseln". Ist das keine Kritik an dem Regime?
Das ist äußerst interessant. Einerseits lobt er Lukaschenko in dem Post als "hoch geschätzten Präsidenten", andererseits spricht er von "Geiseln". Das geschieht aber nicht, weil er Lukaschenko schlecht darstellen möchte. Vielmehr will Trump seine eigene Leistung aufwerten und zeigen: "Ich habe Geiseln befreit". Er will damit an die Narrative im Zusammenhang mit der Befreiung israelischer Geiseln aus dem Gazastreifen anzuknüpfen. Menschenleben zu retten ist für Trump zweitrangig, ihm geht es vorrangig darum, große, medienwirksame Ergebnisse zu präsentieren.
Nutzen die Russen diese Annäherung ebenfalls für sich aus?
Ich bin mir sicher, dass die Russen die Annäherung zwischen Minsk und Washington sehr aufmerksam beobachten und auch eine gewisse Angst haben, dass Lukaschenko zu weit geht. Die Russen sind ohnehin schon ziemlich beunruhigt über amerikanische Aktivitäten im postsowjetischen Raum – und die Amerikaner tun dort tatsächlich einiges. Beispielsweise gab es Treffen mit dem aserbaidschanischen Präsidenten und dem armenischen Ministerpräsidenten in Washington. Und erst letzte Woche hat Trump die Staatschefs mehrerer ehemaliger Sowjetrepubliken aus Zentralasien empfangen. Dazu kommen jetzt auch noch die Kontakte zu Lukaschenko. Das alles beobachten die Russen mit großer Vorsicht.
Haben die Russen davon nur Nachteile?
Sie nutzen Lukaschenko selbst als Kontaktperson – als zusätzliche Möglichkeit, ihre eigenen Narrative in Richtung Washington zu tragen. Für Russland ist es extrem wichtig, diese Prozesse unter Kontrolle zu behalten, und bisher gelingt das auch ganz gut.
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Besteht da für den Kreml die Gefahr, dass Belarus sich von der russischen Abhängigkeit loslöst und sich mehr in Richtung Westen orientiert?
Die Vorstellung, die USA könnten Lukaschenko für sich gewinnen, um Russland und China etwas zu schwächen, halte ich für unrealistisch. Lukaschenko betont immer wieder, dass seine Orientierung klar in Richtung Russland und China geht. Er wird sicherlich nicht in eine US-amerikanische Richtung abdriften.
Und was den eigentlichen Sinn dieser Annäherung betrifft, den Frieden in der Ukraine zu fördern: Gibt es da Bewegung?
Kaum. Belarus hat sich in diesem Jahr nicht intensiver in den Krieg eingemischt, aber ich weiß nicht, ob man das als Verdienst der Amerikaner betrachten sollte. Lukaschenko versucht die ganze Zeit, den Amerikanern die russischen Pläne schmackhaft zu machen: Das, was die Russen fordern, etwa die Anerkennung des Donbass als russisches Gebiet, sei ein tolles Angebot, ein besseres werde von Putin nicht kommen, und die USA und der Westen sollten es annehmen. Ansonsten würden "wir" – also er und Putin – einen richtigen Krieg führen, man habe "noch gar nicht angefangen" und würde "bis zum bitteren Ende" kämpfen.
Die USA sehen in ihm eher einen nützlichen Kanal nach Moskau, ohne viel zu investieren. Sie haben ein paar Sanktionen aufgehoben und dafür die Freilassung einiger Gefangener erreicht – kleine, symbolische Schritte, aber ich glaube nicht, dass die Kontakte zwischen den USA und Lukaschenko den Frieden in der Ukraine näher gebracht haben.
Wie ordnen Sie diese Annäherung insgesamt ein?
Sie steht im Kontext der US-Russland-Beziehungen. Washington justiert seine Osteuropa-Politik neu und prüft, ob Lukaschenko bei künftigen Verhandlungen vielleicht eine Vermittlerrolle spielen könnte. Er selbst würde das gern tun, um sich international aufzuwerten. Die Ukraine lehnt das aber strikt ab, ebenso die EU.
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Warum ist Europa auch dagegen?
Der europäische und der amerikanische Ansatz unterscheiden sich gravierend. Für die Amerikaner ist Belarus im Kontext von Russland und China interessant, aber letztendlich ein unbedeutender und weit entfernter Staat. Für Europa hingegen ist Belarus ein Nachbar, ein sehr schwieriger Nachbar, der von Russland in seinem hybriden Krieg gegen die EU instrumentalisiert wird. Beispiele dafür sind die ständigen Drohnenvorfälle oder die Luftballons mit Schmuggelware, die Belarus nach Litauen schickt und den Luftverkehr im Nachbarstaat lahmlegt. Oder die von Lukaschenko organisierte Flüchtlingskrise an der belarussisch-polnischen und -litauischen Grenze vor vier Jahren. Die Europäer können die innenpolitische Situation in Belarus nicht ignorieren. Für die USA dagegen scheint es vollkommen egal zu sein, dass es sich um eine Diktatur handelt.
Mit Alexander Friedman sprach Uladzimir Zhyhachou

