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Südkorea: Bürgermeister von Seoul tot – viele Fragen ungeklärt

July 10
18:15 2020
Trauernde in einem Krankenhaus in Seoul vor einem Porträt von Park Won-soon Icon: vergrößern

Trauernde in einem Krankenhaus in Seoul vor einem Porträt von Park Won-soon

Foto: Seoul Metropolitan Government/ Getty Images

Die Einwohner von Südkoreas Hauptstadt Seoul wachten am Freitag mit der Nachricht auf, dass ihr langjähriger Bürgermeister Park Won-soon tot ist. Seine Leiche wurde kurz nach Mitternacht auf einem Berg nahe der Innenstadt gefunden.

Die Polizei behandelt seinen Tod als Suizid. Im Rathaus war Park, 64, am Donnerstag nicht erschienen und hatte dies damit begründet, dass er krank sei. Am späten Nachmittag meldete seine Tochter ihn als vermisst, nachdem eine Hausangestellte auf seinem Schreibtisch einen Abschiedsbrief gefunden hatte, indem er sich bei "allen" entschuldigt, besonders bei seiner Familie, der er "nur Schmerzen zugefügt" habe. Daraufhin begann eine mehrstündige Suche mit 600 Einsatzkräften, Spürhunden und Drohnen im Norden von Seoul.

Parks Tod wühlt Südkorea auf, auch weil er möglicherweise in Zusammenhang steht mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung. Eine frühere Sekretärin hatte am Mittwoch Anzeige gegen ihn erstattet.

Park war nicht nur ein populärer Politiker, er setzte sich während seiner Karriere auch für Frauenrechte ein. Als Anwalt gewann er in den Neunzigerjahren den ersten Prozess in Südkorea wegen sexueller Belästigung. Als Bürgermeister stärkte er die Rechte von Frauen, etwa von alleinerziehenden Müttern. In einem Interview erklärte er vor zwei Jahren: "Ich erlaube mir zu sagen, dass auch ich Feminist bin. Ich habe mich immer für Gerechtigkeit unter den Geschlechtern eingesetzt."

Für viele sind die Widersprüche, die Parks Tod begleiten, schwer zu begreifen. Das ist am Freitag in Seoul zu spüren. Vor dem Rathaus hat sich am Mittag eine Gruppe älterer Männer eingefunden. "Er war ein guter Bürgermeister", sagt einer, der gekommen ist, um zu trauern. Ein anderer pflichtet ihm bei. "Ich bin sehr traurig, aber ich bin auch peinlich berührt wegen der Vorwürfe gegen ihn."

Aus einem Lieferwagen werden weiße Chrysanthemen ausgeladen, Blumen der Trauer in Südkorea, und ein Gedenkaltar wird vor dem Rathaus errichtet. Ein Professor, der mit seiner Frau in der Nähe steht, ist den Tränen nah. "Er hat sich um jene gekümmert, die von anderen nicht beachtet wurden. Wir sollten ihn nicht auf das reduzieren, was am Ende seines Lebens passiert ist. Ich wünschte, wir würden im Angesicht des Todes zusammenstehen."

Im Netz dagegen zeigten sich Frauen verärgert, dass die gegen Park erhobenen Vorwürfe nun nicht mehr untersucht werden – wegen seines Todes wird es keine weiteren Ermittlungen geben. Viele solidarisierten sich mit dem mutmaßlichen Opfer und beklagten, die Frau werde keine Entschuldigung oder Entschädigung erhalten. Eine Frau schrieb: "Das Opfer muss so wütend sein. Es hat sie sicher viel Mut gekostet, überhaupt Anzeige zu erstatten."

In den vergangenen Jahren hat sich eine immer stärker werdende Bewegung von Frauen gegen die hierarchischen Strukturen Südkoreas aufgelehnt, in dem vor allem ältere Männer wichtige Positionen einnehmen und Macht ausüben. Opfer von sexueller Gewalt wurden oft nicht gehört oder Täter nur milde bestraft.

Die seit 2018 in Südkorea aufbegehrende MeToo-Bewegung versucht, solche Missstände aufzudecken und dagegen vorzugehen. Mehrere prominente Männer wurden der sexuellen Belästigung beschuldigt, darunter einflussreiche Politiker.

Im April trat der Bürgermeister der zweitgrößten südkoreanischen Stadt Busan, Oh Keo-don, zurück, weil er eine Mitarbeiterin in seinem Büro sexuell belästigt haben soll. Ein aufstrebender Politiker der regierenden Demokratischen Partei wurde vergangenes Jahr zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er seine Sekretärin mehrfach vergewaltigte, als er Gouverneur der Provinz Süd-Chungcheong war.

Südkoreas hochrangige Politiker kondolierten am Freitag der Familie von Park Won-soon und vermieden, öffentlich auf die Vorwürfe gegen ihn einzugehen. Sie würdigten seine Verdienste als Bürgerrechtler.

Park kämpfte in den Siebziger- und Achtzigerjahren gegen die autoritäre Herrschaft in Südkorea und wurde als Student verhaftet. Später gründete er eine der einflussreichsten Bürgerrechtsgruppen des Landes. Als Anwalt vertrat er Opfer der Diktatur und setzte sich auch für die Rechte der Koreanerinnen ein, die während des Zweiten Weltkriegs in japanische Bordelle gezwungen worden waren.

2011 wurde er zum Bürgermeister gewählt, als selbsterklärter "Kandidat der Bürger". Zunächst unabhängig von einer Partei, schloss er sich später der sozialliberalen Demokratischen Partei des heutigen Staatspräsidenten Moon Jae-in an. Auch an der Spitze der Stadt Seoul prangerte er Ungleichheiten und die wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen an und kritisierte die Verflechtung von Konzernen und Politik.

Nach fast neun Jahren an der Spitze von Seoul – der Hauptstadt mit fast zehn Millionen Einwohnern – galt Park als möglicher Kandidat für das Amt des Präsidenten. In der Coronakrise hatte er sich als entschlossener Politiker profiliert. Als letzte Amtshandlung stellte er seine Version einer umweltfreundlicheren Stadt nach der Pandemie vor. Er starb an seinem 3180. Tag als Bürgermeister.

Möglicherweise wird der Tod Parks neben der zunehmenden Kontroverse nun auch zu einer weiteren Diskussion in Südkorea führen: über die hohe Selbstmordrate und psychische Krankheiten in dem ostasiatischen Land. Denn er weckt Erinnerungen an den Tod des früheren Präsidenten Roh Moo-hyun, der sich ein Jahr nach Ende seiner Amtszeit nach Korruptionsvorwürfen gegen seine Familie das Leben nahm.

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