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Startup Civey rettet sich selbst: “Scheitern ist in Deutschland stigmatisiert”

July 09
16:59 2024

Startup

Janina Mütze hat mit Civey im Januar ein Schutzschirm-Insolvenzverfahren angemeldet.

Janina Mütze hat mit Civey im Januar ein Schutzschirm-Insolvenzverfahren angemeldet.

Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland steigt deutlich. Im ersten Halbjahr 2024 haben 11.000 Unternehmen Insolvenz angemeldet, das sind knapp 30 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum, teilte die Wirtschaftsauskunft Creditreform mit. Die Insolvenzen erreichten damit den höchsten Stand seit 2016. Betroffen ist davon nicht nur die traditionelle, alteingesessene Wirtschaft in Deutschland, sondern auch die Startup-Szene. Im vergangenen Jahr sind so viele Startups pleitegegangen wie nie zuvor. Viele Gründerinnen und Gründer schätzen ihre Situation deshalb schlecht ein. Eine Insolvenz muss aber nicht zwangsläufig das Ende bedeuten. Man kann auf diesem Weg auch ein Unternehmen sanieren. Genau diese Erfahrung hat Janina Mütze gemacht. Vor fast zehn Jahren gründete sie das Meinungsforschungsinstitut Civey. Ihr Startup setzt auf Online-Umfragen, die auf Webseiten eingebunden werden. Kurz vor Weihnachten 2023 sei klar gewesen, dass die fest eingeplanten Gelder für die Finanzierung ihres Startups nicht kommen würden. Anfang dieses Jahres meldete Civey ein Schutzschirm-Insolvenzverfahren an.

ntv.de: Sie haben turbulente Wochen und Monate hinter sich. Was ist passiert?

Janina Mütze: 2023 war das erfolgreichste Jahr unserer Geschichte und jeder Gründer kennt das, dass man sich kurz vor Weihnachten darauf freut, einfach mal zwei bis drei Wochen durchzuatmen. Aber dann eskalierten die Meinungsverschiedenheiten, die wir im Gesellschafterkreis hatten. Wie viele andere Unternehmen sind wir Wagniskapital finanziert gewesen. Mir wurde klar: Wir können so nicht weitermachen. Also ging es kurz vor Weihnachten um alles oder nichts und wir mussten handeln.

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Was bedeutet das in diesem Fall?

Wir haben mit unseren damaligen Gesellschaftern über die Weihnachtsfeiertage neue Finanzierungsoptionen gesucht. Das hat aber nicht funktioniert, weshalb wir uns dann im Januar entscheiden mussten, andere Mittel zu nutzen, unter einen Schutzschirm zu gehen und zu versuchen, in Eigenverwaltung unseren Gesellschafterkreis neu zu strukturieren. Eine maximal harte Entscheidung, denn so ein Schutzschirmverfahren kommt theoretisch aus dem Insolvenzrecht. Da ist dieses böse Wort Insolvenz mit drin. Das ist, genau wie Scheitern, gerade in Deutschland wahnsinnig stigmatisiert. Für uns war einfach klar: Entweder laufen wir hier gegen eine Wand oder wir nehmen all unsere Kraft und strukturieren uns neu und dann auch mit den Mitteln, die es im Gesetzbuch gibt. Wir haben dann einen Antrag auf Schutzschirmverfahren in Eigenverwaltung gestellt und konnten so als Geschäftsführer diesen Prozess durchsteuern. Wir hatten also alle Mittel in der Hand, die es brauchte, um die Firma neu aufzusetzen.

Wie schwierig ist Ihnen diese Entscheidung gefallen? Zwar sind eine Insolvenz und das, was Sie gemacht haben, zwei verschiedene Dinge, aber sie werden auch gerne miteinander vermischt. War Ihnen das klar?

Ja, das war mir klar. Rein pragmatisch würde ich immer sagen: Ist doch großartig, dass es solche Mittel gibt. Man hat so als Unternehmen die Möglichkeit, sich zu sanieren und sich neu aufzustellen. Allerdings sind wir ein Unternehmen, dass auch viel öffentlich stattfindet und auf das geschaut wird. Deshalb wollten wir nichts verheimlichen. Wir haben erst unser Team informiert, dann unsere Kunden und Kooperationspartner, Lieferanten, alle Stakeholder und sind dann auch an die Öffentlichkeit gegangen. Mit dem Ergebnis, dass unser Schutzschirmverfahren auf Seite eins des Handelsblatts stand.

Hat sich dieser Moment für Sie wie Scheitern angefühlt?

Nein. Ich habe realisiert, dass wir in eine Situation hereinlaufen, die schmerzhaft wird. Dann hat es für mich ein paar Tage und viele Gespräche mit Partner, Bekannten und Freunden gebraucht, um wieder das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Solange man selbst die Kontrolle hat, geht es einem irgendwie gut. Das hat sich deshalb auch nicht als Scheitern angefühlt.

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So wie Ihnen geht es gerade immer mehr Gründern. Die Zeiten für Startups haben sich geändert. Wie nehmen Sie das wahr?

Hinter den Kulissen passiert sehr viel, über das viele nicht sprechen wollen. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir nicht aus dem Affekt heraus Werte vernichten, die aufgebaut worden sind. Oft ist es vergleichsweise wenig Geld, das fehlt, um ein Unternehmen profitabel weiterlaufen zu lassen. Man muss den Unternehmen auch die Zeit geben, um von der Wachstumsfinanzierungsphase, die wir vor ein paar Jahren hatten, wo wir immer mehr wollten und immer mehr investiert haben, auf ein profitables Geschäftsmodell umzustellen. Das kann bei manchen Unternehmen unterschiedlich lang dauern. Ich hoffe, dass wir in dem Ökosystem genug Ruhe haben, um das Geld jetzt nicht ruckartig im Affekt herauszuziehen. Ich drücke allen Unternehmerinnen und Unternehmern die Daumen, dass sie da gut durchkommen.

Ist das denn nicht auch eine Bereinigung des Marktes, die wir in der Startup-Welt sehen?

Ja, ein Stück weit kann Bereinigung stattgefunden haben. Aber wir sind gerade in einer Phase, in der wir als Gesamtwirtschaft nicht das Wachstum an den Tag legen, das wir uns wünschen. Die Aussichten sind eher trüb. Die Zuversicht im Land ist weiterhin auf dem Tiefpunkt. Und ich glaube, es ist wahnsinnig wichtig, dass wir uns nicht wegducken und sagen: Das waren jetzt ein paar gute Jahre, in denen wir ein bisschen Geld gemacht haben und das war’s. Wir sollten weiterhin den Anspruch haben, Innovation zu finanzieren. Gerne weniger überzogen, aber ohne diese Digitalszene und ohne den Mut zur Innovation und auch zum Risiko, bleibt die deutsche Wirtschaft nicht lange zukunftsträchtig.

Mit Janina Mütze sprach Janna Linke. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Vollständig können Sie es im ntv-Podcast "Startup – Jetzt ganz ehrlich" anhören.

Startup – Jetzt ganz ehrlich

Was verbirgt sich hinter der schillernden Fassade der Startup-Szene? Janna Linke weiß es. Im Podcast "Startup – Jetzt ganz ehrlich" wirft sie jede Woche einen Blick hinter die Kulissen der Gründerszene und spricht über Themen, die gerade Schlagzeilen machen. Sie ordnet ein, hakt nach. Persönlich, ehrlich und mit einem echten Mehrwert. Dafür spricht sie mit Persönlichkeiten der Szene, Expertinnen und Experten und gibt euch den absoluten Rundumblick. Gemeinsam taucht ihr tief ein in die Startup-Welt.

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Quelle: ntv.de

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