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Stammheim: Im Prozess gegen rechtsterroristische „Gruppe S.“ verteidigen Szeneanwälte

April 14
18:46 2021
Mutmaßliche Rechtsterroristen im Gerichtssaal in Stammheim: Namensschilder für den besseren Überblick? Bild vergrößern

Mutmaßliche Rechtsterroristen im Gerichtssaal in Stammheim: Namensschilder für den besseren Überblick?

Foto: Philipp Guelland / Pool / EPA

Es ist nicht leicht, im Sitzungssaal 1 im Hochsicherheitstrakt Stammheim den Überblick zu behalten. Links in einem Kasten aus Panzerglas sitzen elf mutmaßliche Rechtsterroristen, Mitglieder der »Gruppe S«, bewacht von 22 Justizbeamten. Rechts, auf der anderen Seite der Scheibe, sitzt der zwölfte Angeklagte, der die anderen verpfiffen haben soll. Mit ihm insgesamt 29 Verteidiger, drei Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft, der fünfköpfige Senat samt Ergänzungsrichtern und zwei Protokollanten.

Und so gab es zu Beginn dieses Staatsschutzverfahrens vor dem Oberlandesgericht Stuttgart Streit darum, ob man den Angeklagten auf den Tisch vor ihnen ein Namensschild verpassen soll; ob dieser historisch bedeutsame Prozess aufgezeichnet werden soll; inwieweit der Infektionsschutz eingehalten werden kann und muss und ob das Tragen einer Maske überhaupt notwendig sei.

Es klang lapidar. In Wahrheit markierte die Debatte zwei Lager bei den Verteidigern: Die, für die bei diesem Mammutprozess die Aufklärung im Vordergrund steht, und die, die das Verfahren nutzen könnten, um politische Statements loszuwerden. Denn unter den 29 Anwälten finden sich durchaus gewöhnungsbedürftige Charaktere.

»Jeder kann die Gesinnung vertreten, die er will«

Am zweiten Tag des Prozesses manifestieren sich diese Gräben, als Günther Herzogenrath-Amelung sein Mikrofon einschaltet, um mal »einiges Grundsätzliches« anzusprechen. Herzogenrath-Amelung gilt seit mehr als 20 Jahren als Anwalt der rechten Szene: Er vertrat NPD-Funktionäre und den NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke; er verteidigte den Rechtsterroristen Martin Wiese, der ein Sprengstoffattentat auf das Jüdische Zentrum München plante, und Mitglieder der inzwischen verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz. Als Neonazis in Erinnerung an die NSU-Mordserie bei einem Aufmarsch das »Paulchen Panther«-Lied abspielten, kämpfte er auch für sie vor Gericht.

Herzogenrath-Amelung schulte außerdem NPD-Nachwuchstalente und gehörte dem »Deutschen Rechtsbüro« an, das von 1992 bis 2013 straffällig gewordenen »nationalen Deutschen« Rechtsauskünfte erteilte und Rechtsanwälte aus dem rechten Lager vermittelte.

»Sehr hässliche Sachen«

Zu dem »Grundsätzlichen«, was er an diesem Tag loswerden will, gehört der Vorwurf des Generalbundesanwalts, die »Gruppe S.« sei darauf ausgerichtet gewesen, »die rechtsextremistische und bisweilen offen nationalsozialistische Gesinnung der Angeschuldigten und ihre Vorstellungen von einem danach ausgerichteten Staats- und Gesellschaftssystem in der Bundesrepublik Deutschland gewaltsam durchzusetzen«. Dazu sei zu sagen, so Herzogenrath-Amelung, dass wir in einem »freien Land« lebten. »Jeder kann die Gesinnung vertreten, die er will.«

In den sichergestellten Chats unter den Angeklagten stünden zwar »sehr hässliche Sachen«, aber diese seien nicht öffentlich und damit nicht strafbar. »Wir wollen nicht zurück in die Diktatur eines Hitlers.«

Wenige Plätze weiter sitzt Dubravko Mandic, der Michael B. vertritt. Der Rechtsanwalt aus Freiburg kandidierte bei den Landtagswahlen im März für die AfD, im Wahlkampf soll er provozierend ohne Maske aufgetreten sein. Wenig überraschend also, dass ausgerechnet er nun die Coronamaßnahmen in Saal 1 beklagt. Mandic beschimpfte in der Vergangenheit Barack Obama als »Quotenneger«, suchte die Nähe zur rechtsextremen Identitären Bewegung und ist bereits wegen Nötigung einer Journalistin verurteilt.

Unter den Verteidigern ist auch Frank Miksch, Szeneanwalt aus Nürnberg und einst Aktivist der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten«. Er vertrat zuletzt Susanne G., eine Heilpraktikerin, die Sprengmittel beschafft und Morddrohungen gegen Politiker sowie einen Anschlag auf eine Moschee ausgesprochen haben soll.

Mikschs Co-Verteidiger ist André Picker. Als ebenfalls bundesweit bekannter Nazianwalt gilt er als gut vernetzt in der Szene. Er soll lange im Vorstand der Rechtspopulisten von »Pro NRW« und Mitglied bei den Republikanern gewesen sein. In Stammheimer Terrorverfahren verteidigen Miksch und Picker nun Marcel W., einen vorbestraften Neonazi mit einer eintätowierten »88« auf beiden Oberarmen für »Heil Hitler«, H. ist der achte Buchstabe im Alphabet. Der 39-Jährige soll vor zwei Jahren auf dem Gelände einer Asylbewerberunterkunft in München gefilmt haben, um die Bevorzugung Geflüchteter gegenüber einheimischen Obdachlosen zu dokumentieren.

Picker springt an diesem Tag seinem Kollegen Herzogenrath-Amelung bei, der in die Runde fragt: Wie hätte ein gewaltsamer Umsturz der Angeklagten vonstattengehen sollen? Der Großteil der beschuldigten Männer gehöre dem Prekariat an, meint Herzogenrath-Amelung. Waren da überhaupt die geistigen und materiellen Fähigkeiten vorhanden, um die Bundesrepublik zu gefährden? Für den Anwalt entstammt dieser Vorwurf der »Phantasie« der Bundesanwaltschaft, die ihre Anklage auf die Angaben des mutmaßlichen Aussteigers U. stütze.

U. muss nicht hinter Panzerglas sitzen, er hat gegenüber den Ermittlern umfassend ausgesagt. Herzogenrath-Amelung bezeichnet ihn als »mindestens sehr problematische Persönlichkeit«: U. habe mehr als 20 Jahre lang »in sicherem Gewahrsam« verbracht – also in Haft oder in einer geschlossenen Einrichtung. Seinen Angaben müsse man in diesem Verfahren »mit größter Skepsis« begegnen.

Auch Picker fragt nach U.s Motivationslage: Was hat den 49-Jährigen dazu bewogen, so auszusagen, wie er ausgesagt hat?

Es dürfte ein spannendes Verfahren werden, denn als der Vorsitzende Richter fragt, wer der zwölf Angeklagten vor Gericht überhaupt etwas sagen wird – zu seiner Person oder zu den Vorwürfen – antworten die Verteidiger unisono: »Zunächst macht unser Mandant keine Angaben.« Nur Thorsten W., der Polizeimitarbeiter aus Hamm, und Stefan K. aus Sachsen-Anhalt wollen sich äußern und Fragen beantworten.

Sogar U., der Kronzeuge der Anklage, will schweigen.

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