SPD: Lars Klingbeil und seine Pläne für den Wahlkampf
Die Begrüßung durch den jungen Genossen fällt überschwänglich aus. "Der Lars ist einer der mächtigsten Männer Deutschlands", sagt Moses Ruppert, 20-jähriger Sozialdemokrat aus Ketsch, einer Gemeinde im Rhein-Neckar-Kreis. Ruppert erntet für seine Euphorie einige amüsierte Reaktionen – aber der Gast aus Berlin widerspricht nicht.
Lars Klingbeil, Generalsekretär der SPD, ist zum Picknick in den Mannheimer Schillerpark gekommen, um den örtlichen Parteinachwuchs zu treffen. Und er gibt das Lob zurück. Ruppert, dessen Vater einst aus Ruanda flüchtete, habe 2019 von Listenplatz acht aus die meisten SPD-Stimmen bei der Gemeinderatswahl geholt, die viertmeisten insgesamt. Ein kleiner Überraschungscoup im schwarz-grünen Baden-Württemberg.
Der VWL-Student ist einer von mehreren Nachwuchsgenossen, auf die Klingbeil setzt. Sein Ziel: Die SPD, Deutschlands älteste Partei, soll jünger, weiblicher, vielfältiger werden.
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Dieses Ziel allerdings hatte sich Klingbeil schon bei seinem Antritt vor drei Jahren gesetzt. Und auch seine Vorgängerinnen im Amt wollten der SPD eine Frischzellenkur verpassen. Der Erfolg ist bis heute überschaubar.
Klingbeil ficht das nicht an. In der nächsten Bundestagsfraktion sollen mindestens 30 Sozialdemokraten unter 40 Jahren sitzen. Ist das realistisch? Der Generalsekretär steht vor einer kaum lösbaren Aufgabe: In einem Jahr ist Bundestagswahl und die SPD dümpelt in Umfragen weiter bei 16 Prozent. Vom Corona-Krisenmanagement profitiert bundesweit nur die Union. Und weder die neuen Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans noch der früh nominierte Kanzlerkandidat Olaf Scholz konnten die SPD bisher aus ihrem jahrelangen Dauertief ziehen.
Die Partei ist völlig verunsichert, ihr fehlen die Erfolgserlebnisse. Zuletzt endeten die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, dem einstigen Stammland, mit dem historisch schlechtesten Ergebnis. In Baden-Württemberg liegt die SPD in Umfragen nur knapp über zehn Prozent, in Bayern sogar darunter.
Klingbeil weiß, wie tiefgreifend der Vertrauensverlust bei den Wählern ist, vor allem bei den Jüngeren. Doch jammern hilft nicht, Klingbeil kämpft unverdrossen für die Trendwende. Dafür reiste er Anfang der Woche auch nach Rheinland-Pfalz, eines der wenigen Länder, in denen die Welt für die SPD noch in Ordnung ist. Die Genossen stellen seit 1991 den Regierungschef: erst Rudolf Scharping, dann 19 Jahre Kurt Beck. Seit 2013 ist Malu Dreyer Ministerpräsidentin.
"Wir brauchen einen Start-up-Spirit"
In Mainz trifft der Generalsekretär Verena Hubertz, "eine unserer spannendsten Kandidatinnen", wie Klingbeil sie vorstellt. Hubertz, 32, hat vor sieben Jahren erfolgreich ein Unternehmen gegründet. Mit einer Kommilitonin und 25.000 Euro von Freunden und Familie startete sie eine Koch-App. Mittlerweile hat die Firma 50 Mitarbeiter und 20 Millionen Nutzer weltweit.
Hubertz entschied sich nun, ihr Unternehmen zu verlassen und für den Bundestag zu kandidieren, in Trier, dem Wahlkreis von Katarina Barley, die seit 2019 im Europaparlament sitzt. "Wir brauchen einen Start-up-Spirit in der SPD", sagt Hubertz. Aber wie soll man den einer 157 Jahre alten, ziemlich kranken Tante einhauchen?
Hubertz trat 2010 in die Partei ein – aus Frust über den Wahlsieg von Union und FDP, sagt sie. Obwohl sie in den vergangenen Jahren in Berlin gelebt hat, konnte Hubertz die Genossen in Trier überzeugen. Sie setzte sich gegen zwei Kandidaten durch und sicherte sich die Unterstützung des Kreisvorstands. Um zu kandidieren, müsse man nicht mehr 20 Jahre Ochsentour in der Partei hinter sich haben, sagt die Unternehmensgründerin.
Der Wahlkampf im kommenden Jahr werde deutlich digitaler als in der Vergangenheit, sagt Klingbeil. Nicht nur, aber natürlich auch wegen Corona. Großveranstaltungen werde es auch 2021 kaum geben, persönliche Begegnungen würden seltener – die Kandidaten müssten daher stärker online für sich werben, sagt er.
Klingbeil ist überzeugt: Die Trendwende gelingt der SPD nicht mit Beschlüssen, sondern mit starken Personen. "Es gibt diese Leute in der Partei", sagt er, "wir müssen sie nur sichtbarer machen."
"Tür-zu-Tür-Wahlkampf ist nicht zu ersetzen"
Für einen dieser Hoffnungsträger hält Klingbeil auch Bijan Kaffenberger. Der 31-jährige Darmstädter ist der jüngste SPD-Abgeordnete im hessischen Landtag. Er gewann seinen Wahlkreis direkt – als einziger Sozialdemokrat beim 19,8-Prozent-Desaster vor zwei Jahren.
Kaffenberger erlangte bundesweite Prominenz, weil er der erste Berufspolitiker mit Tourettesyndrom war. Der Sozialdemokrat geht entspannt mit seiner Krankheit um, sagt aber auch, dass er gern als Politiker mit inhaltlichen Anliegen wahrgenommen werden will – "und nicht nur als der mit Tourette".
Kaffenberger ist wie Klingbeil Digitalexperte und setzt stark auf soziale Netzwerke. Doch auch in Corona-Zeiten reiche es nicht, nur Onlinewahlkampf zu machen, sagt er. "Das persönliche Gespräch, der Tür-zu-Tür-Wahlkampf ist nicht zu ersetzen." Mittlerweile würden die Darmstädter ihn auch auf der Straße erkennen, erzählt Kaffenberger stolz. Für Landtagsabgeordnete sei das nicht selbstverständlich.
Klingbeil setzt auch beim Wahlprogramm auf Onlineformate. Im Sommer befragte er die Mitglieder, welche Themen ihnen wichtig sind. Für Mitte Dezember plant der Wahlkampfchef ein "hybrides Debattencamp" – mit Treffen an verschiedenen Orten, die per Video zusammengeschaltet werden. Mitte Januar soll es dann einen ersten Entwurf des Wahlprogramms geben, bei einer Klausur des Parteivorstands. Ende Februar soll das Programm stehen und beim Parteitag Ende März beschlossen werden.
Die inhaltlichen Schwerpunkte stehen noch nicht fest. Aber die SPD dürfte auch im kommenden Jahr die soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Kampagne stellen. Wie kommt Deutschland aus der Krise? Wie sind die Lasten in der Gesellschaft verteilt? Und wie können die "Corona-Helden" Anerkennung nicht nur über Applaus, sondern auch beim Gehalt zu spüren bekommen?
Dreyer soll Scholz Rückenwind geben
Doch Personal und Programmatik hin oder her – vor allem setzen die Genossen darauf, dass die Union sich nach dem Abschied von Angela Merkel selbst zerfleischt. Die Hoffnung: Wenn den Wählern erst einmal richtig bewusst wird, dass da nicht mehr die Kanzlerin antritt, sondern Armin Laschet, Friedrich Merz oder Markus Söder, werden die Umfragewerte von CDU und CSU schon fallen.
Außerdem soll die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz dem Kanzlerkandidaten Scholz Rückenwind verschaffen. Zwar liegt die SPD auch hier derzeit einige Prozentpunkte hinter der CDU. Doch die Sozialdemokraten verweisen darauf, dass Dreyer auch bei der Wahl 2016 die Wende gelang und sie bei den persönlichen Werten deutlich vor CDU-Herausforderer Christian Baldauf liege. Laut einer SWR-Umfrage würden sich bei einer Direktwahl 55 Prozent für sie entscheiden, nur 15 Prozent favorisieren demnach Baldauf.
Doch im Frühjahr wird nicht nur in Rheinland-Pfalz gewählt. Auch in Baden-Württemberg sind Landtagswahlen. Und hier liegt die SPD bei den Demoskopen abgeschlagen hinter CDU und Grünen auf Platz drei.
Eine aktuelle Allensbach-Umfrage muss den SPD-Strategen noch mehr Sorgen machen. Demnach kann die Partei bislang nicht von der Scholz-Nominierung profitieren. Ein Grund: Nur 23 Prozent der Befragten seien überzeugt, dass Scholz den Rückhalt seiner Partei hat, schreibt Allensbach-Chefin Renate Köcher in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". 48 Prozent hätten daran Zweifel.
Wie passt das zu Klingbeils Verjüngungskur? Schließlich waren es gerade Kevin Kühnerts Jusos, die im vergangenen Jahr die Kampagne anführten, Scholz als Parteivorsitzenden zu verhindern. Im Schillerpark geben sich die Nachwuchsgenossen nun erstaunlich linientreu. Sie finde Scholz "mega", sagt die Mannheimer Juso-Chefin Annalena Wirth. Er sei "ein lustiger Typ, auch wenn er das nicht immer zeigt".
Von einem Hype, wie es ihn nach der Nominierung von Martin Schulz 2017 gab, kann derzeit aber keine Rede sein. Damals hatte Wirths Vorgänger im TV mit einer kessen Bemerkung über Schulz Schlagzeilen gemacht, die in die euphorisierte Stimmung jener Tage perfekt passte. Die 19-Jährige Wirth will den Satz nun zitieren, ummünzen auf den aktuellen Kandidaten. Wie vieles derzeit in der SPD, wirkt auch das aber eher bemüht. Wirth sagt: "Olaf Scholz ist 'ne geile Sau."
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