Seriell sanieren mit Robotern: “In unseren Gebäuden werden Heizkörper nie wieder aufgedreht”
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Ein Mehrfamilienhaus, das Ecoworks in Bochum saniert hat.
Mit dem aktuellen Tempo vergehen noch knapp 100 Jahre, bis der deutsche Gebäudebestand energetisch saniert ist. Emanuel Heisenberg verspricht eine Lösung, mit der es schneller geht: Seine Firma Ecoworks spannt Fertighaushersteller für die serielle Sanierung von Plattenbauten in Ost und West ein. "Auf deren Linien laufen jetzt Außenwände für die serielle Sanierung vom Band", sagt Heisenberg im "Klima-Labor" von ntv. "Und zwar mit einer unglaublich hohen Qualität, die man mit handwerklicher Sanierung gar nicht erreichen kann." Das Ergebnis klingt zu schön, um wahr zu sein: Durch die neue Gebäudehülle sinkt Energiebedarf Heisenberg zufolge um 90 Prozent. Werden diese zusätzlich mit Solaranlagen und Wärmepumpen ausgestattet, erzeugen sie deutlich mehr Energie, als sie verbrauchen. "Das ist ein anderes Lebensgefühl", schwört der Ecoworks-Chef. Kritik der konventionellen Sanierungsbranche am seriellen Ansatz lässt er nicht gelten: "Auch bei Wind und Solar wurde anfangs gesagt, das ist ein Hirngespinst", sagt Heisenberg. "Jetzt wird über die Kosten gemeckert, die bringen wir aber auch runter, das ist nur eine Frage der Zeit."

"Wir arbeiten eine Pipeline an Aufträgen im dreistelligen Millionenbereich ab", sagt Emanuel Heisenberg.
(Foto: Timm Koelln, Ecoworks)
ntv.de: Inwieweit kann das serielle Sanieren dabei helfen, den deutschen Wohnbestand zu sanieren?
Emanuel Heisenberg: Wir fokussieren uns erst einmal auf Mehrfamilienhäuser, weil wir große Projekte brauchen, um den Planungs- und Produktionsaufwand gegenrechnen zu können. Deutschlandweit gibt es 43 Millionen Wohnungen. Ungefähr die Hälfte davon befindet sich in Mehrfamilienhäusern. Von dieser Hälfte können wir 8 Millionen seriell sanieren.
Das sind gut 36 Prozent aller Wohnungen in Mehrfamilienhäusern. Wie genau funktioniert das?
Wir konzentrieren uns derzeit bewusst auf Gebäude, die architektonisch eher nicht so schön sind, denn wir wollen sie nicht nur effizienter, sondern auch schöner machen.
Also Plattenbauten?
Absolut, gerade sanieren wir einen Plattenbau in Berlin-Marzahn. Wir scannen die Gebäude von innen und außen mit einem Laser. Dann erhalten wir eine Punktwolke, also einen digitalen Zwilling. Mit unserer Planungssoftware, die wir mit künstlicher Intelligenz (KI) weiterentwickelt haben, können wir weitgehend automatisiert eine zweite Hülle entwerfen, die wir um das bestehende Gebäude bauen.

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Die Plattenbauten in Ost-Berlin sind relativ groß. Die meisten haben sechs Geschosse, aber speziell in Marzahn sind es gerne mal acht oder sogar zwölf. Wie lange dauert das Scannen, wenn von jeder Wohnung ein digitaler Zwilling erstellt werden muss?
Das kann mehrere Tage dauern, weil alles millimetergenau passen muss. Die reine Bauzeit liegt anschließend bei 12 bis 15 Wochen. Die Montage der zweiten Hülle klappt in zwei bis drei Wochen.
Und welcher Teil dieses Prozesses ist seriell? Darunter versteht man ja eine günstige Serienproduktion. Passgenau jede Wand und Wohnung abzumessen, klingt nach dem Gegenteil.
In der Autoindustrie wird auch in Serie gebaut, im Schnitt sind aber nur 1,4 Autos identisch, also eigentlich gar keine. Es gibt immer kleine Abweichungen. So ist das bei Gebäuden auch: Das äußere Design oder einzelne ingenieurtechnische Eigenschaften der Hülle können abweichen; vielleicht gibt es in dem einen Gebäude auch eine Kellertreppe und in dem anderen nicht. Aber im Kern teilen alle Gebäude dieselbe Plattform: Die Elemente haben eine Trägerkonstruktion, auch die Fenster und andere Elemente sind immer gleich.
Der deutsche Gebäudebestand
In Deutschland gibt es ungefähr 21 Millionen Bestandsgebäude, von denen die allermeisten energetisch saniert werden müssen. Bei den allermeisten Gebäuden handelt es sich laut Statistischem Bundesamt um Einfamilienhäuser (13 Mio.) und Zweifamilienhäuser (3,2 Mio). Hinzu kommen speziell in großen Städten 3,3 Millionen Mehrfamilienhäuser und 500.000 Wohnheime. Der übrige Bestand entfällt auf Nichtwohngebäude wie Schulen oder Bürogebäude. In diesen 21 Millionen Gebäuden befinden sich insgesamt 43,4 Millionen Wohneinheiten. Die Hälfte davon (ca. 22 Mio.) ist in den 3,3 Millionen Mehrfamilienhäusern untergebracht. Die Sanierungsquote lag nur noch bei 0,7 Prozent.
Sie produzieren in einer Fabrik möglichst viele ähnliche Teile und basteln die zusammen?
Eine unserer größten Innovationen ist, dass wir eine ganz andere Industrie für die Sanierung motivieren konnten und jetzt deren Fabriken für die Herstellung unserer Elemente nutzen: Fertighaushersteller. Ich war vorletzte Woche bei Bien-Zenker. Die gehören zur Oikos Gruppe, die wiederum zu Goldman Sachs gehört. Das ist ein großer Fertighaus-Konzern für Ein- und Zweifamilienhäuser. Dieser Bereich hat derzeit ein riesiges Konjunkturproblem. Deswegen hat der Vorstand von Bien-Zenker gesagt: Lass uns Module für die serielle Sanierung produzieren. Jetzt laufen auf diesen riesigen Linien mit Kuka-Robotern keine Fertighaus-Wände mehr vom Band, sondern Wände für die serielle Sanierung; und zwar mit einer unglaublich hohen Qualität, die man mit handwerklicher Sanierung gar nicht erreichen kann und auch zu sehr viel niedrigeren Kosten.
Aber es wird doch gar nicht saniert, die Quote liegt bei 0,7 Prozent. Welche Bauteile stellen die Werke her?
Wir arbeiten eine Pipeline an Aufträgen im dreistelligen Millionenbereich ab und geben diese Aufträge an die Fabriken der Fertighaushersteller weiter.
Und anders als die restliche Baubranche haben Sie das nötige Kleingeld und die notwendigen Fachkräfte für diese Projekte?
Die Probleme im Gebäudebereich sind unglaublich groß, weil Arbeit und Material immer teurer werden. Historisch betrachtet sind weder Arbeitskräfte noch die Kosten für Fenster oder Dämmung je günstiger geworden. Deswegen ist es wichtig, dass wir bezahlbar sanieren. Wenn wir 80 Prozent der Arbeit in die Fabrik verlagern, müssen Handwerker keine einzelnen Arbeitsschritte mehr durchführen, das machen Roboter. Durch die starke Standardisierung der Bauteile können wir die Komponenten außerdem zu einem Bruchteil der Kosten beziehen, als es bei einem Handwerksbetrieb der Fall wäre. Dadurch schaffen wir einen unternehmerischen, aber auch einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert.

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Welchen Effekt erzeugen Sie mit diesen Sanierungen? Wie stark sinkt der Energieverbrauch?
Nach der Sanierung spart man 90 Prozent der Primärenergie ein. Die braucht man, um ein Gebäude zu beheizen und den Strom dafür zu erzeugen. Baut man noch eine Photovoltaikanlage aufs Dach und eine Wärmepumpe in den Keller, erzeugt dieses Objekt bis zu 30 Prozent mehr Energie, als die Mieter für Heizung, Warmwasser und Strom benötigen.
Nur durch die Dämmung benötigen die Bewohner anschließend 90 Prozent weniger Energie?
Exakt. Sie sparen auch mit normalen energetischen Sanierungen viel Energie ein, in Deutschland werden dafür aber immer noch zu über 50 Prozent Öl basierte Dämmmaterialien verwendet. Die nennt man in der Fachsprache EPS, im Volksmund Styropor. Wenn der verklebt wird, entstehen viele neue, sogenannte graue Emissionen. Später landen diese Elemente häufig im Sondermüll. Unsere Elemente sind im Wesentlichen aus Holz, die Dämmung aus Zellulose. Mit Blick auf Emissionen sind unsere Fassaden 37-mal effizienter als eine handwerkliche Sanierung mit Öl basierten Dämmelementen. Unsere Hülle ist auch zirkulär. Die hält 50 bis 70 Jahre, dann kann man die einzelnen Schichten trennen und wiederverwerten.
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Das wissen Sie jetzt schon?
Es gibt fortschrittliche Fensterhersteller wie Schüco, die sogar eine Rücknahmegarantie geben. In Ländern wie Dänemark werden diese grauen Emissionen auch schon reguliert. Dort wird also nicht nur geschaut, wie viele Betriebsemissionen man nach einer Sanierung bei der Energieerzeugung einspart, sondern auch, wie diese Hülle hergestellt wurde.
Die Plattenbauten, mit denen Sie beginnen, sind aber von allen Gebäuden, die saniert werden müssen, jene, die noch am besten gedämmt und energieeffizientesten sind. Eigentlich erledigen Sie gerade die einfachste Aufgabe. Die schwierigen Fälle wären Altbauten und Gründerzeithäuser.
Wir konzentrieren uns auf die Systembauten der 50er- bis 70er-Jahre. Das sind in der Regel sogenannte Westplatten. Die sind sehr viel ineffizienter als ostdeutsche Platten aus den 70er- und 80er-Jahren. Denn bei diesen WBS-70-Gebäuden haben die Ingenieure schon damals sehr clever eine leichte Dämmung verbaut. Deswegen hat der ostdeutsche Typenbau eher die Effizienzklasse C oder D, der westdeutsche eher G oder H. Dort erreichen wir die höchste Energieeinsparung. 80 Prozent unserer Aufträge richten sich auf diese Gebäude.
Wo finde ich das Klima-Labor?
Das "Klima-Labor" könnten Sie sich bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify oder über den RSS-Feed anhören.
Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an podcasts@ntv.de oder nehmen Sie Kontakt zu Clara Pfeffer und Christian Herrmann auf.
Das klingt zu schön, um wahr zu sein. Warum wird das dann nicht überall gemacht?
Es freut mich, wenn es simpel klingt, aber operativ ist es unglaublich schwierig, die Module in den Decken einzuhängen und Budget, Zeit und Qualität auf unseren 19 Baustellen mit mehr als 1000 Wohneinheiten so hinzubekommen, dass man das skalieren kann. Wir konnten die Kosten in den vergangenen zwei Jahren bereits um 28 Prozent senken, aber die sind die größte Herausforderung. Wenn wir den Förderanteil weiter senken wollen, müssen wir das weiter skalieren. Auch die Bundesregierung müsste sich öffnen und Funktionsbauten und Verwaltungsgebäude seriell sanieren lassen, damit wir es so machen können, dass es für die Menschen nicht zu einer Belastung wird.
Können wir es uns leisten, auf die Politik zu warten? Von Unternehmen, die konventionell sanieren, hört man: "Serielles Sanieren klappt frühestens in fünf bis zehn Jahren. So viel Zeit haben wir nicht. Warum machen wir nicht das, was funktioniert? Wir haben 50 Jahre Erfahrung mit Dämmen. Die Handwerker warten. Legen wir endlich los."
Wenn man lange in diesen Branchen unterwegs war, sieht man immer dieselben Muster: Auch bei Wind und Solar wurde anfangs gesagt, das ist ein Hirngespinst. Dann hat es funktioniert und es wurde gesagt, es ist viel zu teuer. Dann wurde es günstiger und es wurde gesagt, dass die Vögel leiden und Windräder hässlich sind. Auch uns wurde anfangs gesagt, dass serielles Sanieren Quatsch ist. Dann haben wir die erste Sanierung gemacht, nach der 25 bis 30 Prozent mehr Energie erzeugt als verbraucht wurden. Jetzt wird über die Kosten gemeckert. Die bringen wir aber auch runter, das ist nur eine Frage der Zeit.

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Aber haben wir diese Zeit? In Deutschland gibt es 15 bis 16 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser, bei denen so gut wie nichts passiert. Was bieten Sie denen an?
Wir werden diese Objekte nicht sanieren, unsere Lösung ist für Mehrfamilienhäuser gedacht. Wir bieten der Wohnungsindustrie an, mit weniger Fachkräften, KI und smarten Mitteln günstigeren, klimaneutralen Wohnraum zu ermöglichen. Das ist alles.
Die dann die Kosten für die Maßnahmen auf die Menschen in den Wohnungen umlegt?
Wir haben Genossenschaften, die die Warmmiete gar nicht erhöhen, sondern nur die Kaltmiete in dem Maße, wie die Nebenkosten sinken. Wir haben aber auch kommerzielle Vermieter, die die Mieten stark anheben. Das liegt außerhalb unseres Einflussbereichs. Aber durch die Sanierung schaffen wir auch zusätzlichen Wohnraum, weil Balkone oder Aufstockungen entstehen. Der Wohnstandard und die Behaglichkeit steigen ungemein. Kinder werden in diesen Wohnungen besser Hausaufgaben machen als in einem alten Gebäude, in dem es vielleicht sogar schimmelt. Das ist ein anderes Lebensgefühl.
Und für dieses Lebensgefühl müssen die Menschen wie lange raus aus ihren Wohnungen?
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In dieser zweiten Hülle ist alles vorgefertigt. Die Fenster sind drin, die Dämmung, sogar Leitungen für die Heizelemente. Am Tag des Einbaus die Flächen um die Fenster in den Wohnungen mit Plastikfolie abgehängt, dann schneiden wir die alten Fenster raus, stecken die vorgefertigten Leitungen ein, schließen die Rollos und die Elektronik an und verputzen alles. Dann gehen wir wieder. In 90 Prozent der Wohnungen können wir sogar die alten Leitungen und Heizkörper benutzen, aber ganz ehrlich: In praktisch allen Objekten, die wir saniert haben, werden die Heizkörper nie wieder aufgedreht.
Mit Emanuel Heisenberg sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
Klima-Labor von ntv
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Klima-Labor ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen auf Herz und Nieren prüfen. Ist Deutschland ein Strombettler? Vernichtet die Energiewende Industrie & Arbeitsplätze? Warum erwarten so viele Menschen ihren ökonomischen Abstieg? Warum sind immer die Grünen schuld? Sind Seeadler wirklich wichtiger als Windräder? Kann uns Kernkraft retten?
Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
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Quelle: ntv.de